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Rechtspopulistisches Wählen: Alles nur eine Frage der Ausländerfeindlichkeit?

Ursina Dorer
28th September 2017

Die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien in Westeuropa lässt sich nicht nur mit Ausländerfeindlichkeit erklären. Auch nicht-populistische Rechtsparteien können immigrationskritische Personen für sich gewinnen. Die Wählerschaft beider Parteien unterscheidet sich aber bezüglich ihres Vertrauens in das politische Establishment. Insgesamt schöpfen rechtspopulistische Parteien ihr Mobilisierungspotenzial schlechter aus, als gemeinhin angenommen wird.

Fremdenfeindliche Positionen sind ein Charakteristikum rechtspopulistischer Parteien wie dem Front National in Frankreich oder der SVP in der Schweiz. Die Unterstützung im Stimmvolk für diese Parteien wird häufig mit Angst vor Migration und Ausländerfeindlichkeit erklärt. Dabei geht mitunter vergessen, dass sich in Westeuropa auch andere, nicht-populistische Rechtsparteien für eine restriktive Migrationspolitik stark machen. Auch sie sind für eine zuwanderungskritische Wählerschaft grundsätzlich attraktiv.

Welche dieser Wählerinnen und Wähler entscheiden sich also zugunsten populistischer, welche zugunsten nicht-populistischer Rechtsparteien? Und wie ist es möglich, dass in gewissen Ländern Westeuropas, etwa Frankreich oder Dänemark, beide Parteien erfolgreich nebeneinander be­stehen, obwohl sie sich in ihren migrationspolitischen Positionen so nahe stehen?

Volk gegen Elite – das populistische Politikverständnis

Der Hauptunterschied zwischen populistischen und nicht-populistischen Rechtsparteien liegt in deren generellem Gesellschafts- und Politikverständnis. Populisten sehen Politik als Antagonismus zwischen dem guten, homogenen Volk und der korrupten Elite (Mudde 2004: 543). Mit ihrer prononcierten „Anti-Establishment“-Rhetorik schüren sie gezielt Miss­trauen gegenüber der politischen Elite und Unzufriedenheit mit dem politischen System. Nicht-populistische Rechtsparteien hingegen teilen diese systemkritische, anti-elitäre Position grundsätzlich nicht. Vielmehr sind sie meist selber Teil des politischen Establishments.

Vor diesem Hintergrund wurden in der vorliegenden Bachelorarbeit folgende Hypo­thesen aufgestellt: Immigrationskritische Wählerinnen und Wähler werden von populistischer Politik besonders angesprochen, wenn sie sich von der politischen Elite hintergangen und missver­standen fühlen. Gleichzeitig hält dieses Misstrauen immigrationskritische Wählende davon ab, für nicht-populistische Rechtsparteien zu stimmen, obwohl sie deren Migrationspolitik grundsätzlich befürworten würden. Anhand von Daten aus dem European Social Survey 2014 sind diese Annahmen für dreizehn Länder Westeuropas geprüft worden.

Daten und Methoden
Basierend auf Daten aus dem 2014 European Social Survey ESS (2014) untersucht Ursina Dorer in ihrer Bachelorarbeit Wählerinnen und Wähler aus insgesamt dreizehn Westeuropä­ischen Ländern. Die einzelnen Länder gruppiert sie dabei in Länder mit nur einer populist­ischen, Länder mit nur einer nicht-populistischen und Länder mit sowohl einer populistischen, als auch einer nicht-populistischen Rechtspartei. Mittels logistischer Regression ermittelt sie sodann den Einfluss immigrationskritischer Einstellungen, sowie politischer Unzufriedenheit oder Misstrauen, auf die Wahl populistischer und nicht-populistischer Rechtsparteien. Dabei rechnet sie jeweils sowohl ein Modell mit direkten Effekten der beiden unabhängigen Variablen, als auch ein Interaktionsmodell. Die Variablen werden als Index basierend auf mehreren Fragen aus dem European Social Survey gebildet.

Misstrauen im Stimmvolk: Populisten bleiben verschont

Sowohl populistische als auch nicht-populistische Rechtsparteien können Personen, die Immigration als wirtschaftliche oder kulturelle Bedrohung für ihr Land ansehen, besonders gut mobilisieren. Das bestätigt die Analyse für sämtliche der untersuchten Länder. Auch zeigen die Daten, dass Misstrauen und Unzufriedenheit immigrationskritische Wählende tatsächlich daran hindern, für eine nicht-populistische Rechtspartei zu stimmen. Je misstrauischer eine Person ist, desto kleiner ist also auch die Chance, dass sie für eine nicht-populistische Rechtspartei stimmt. Dies obwohl ihre migrationspolitische Einstellung mit der Parteilinie übereinstimmen würde.

Wider Erwarten wählen immigrationskritische Personen hingegen nicht vermehrt rechts­populistische Parteien, wenn sie generell unzufrieden oder misstrauisch sind. So spielen Gefühle gegenüber dem politischen Establishment für rechtspopulistisches Wählen überraschender­weise praktisch keine Rolle. Zur Theorie passend werden aber populistische – anders als nicht-populist­ische Rechtsparteien – für Unzufriedenheit und Misstrauen im Stimmvolk nicht abgestraft. Offensichtlich gelingt es ihnen, sich für ihre Wählerschaft glaubhaft von etablierten Insti­tutionen und Akteuren zu distanzieren. Trotzdem stellt sich die Frage, wieso die populistische „Anti-Establishment“-Politik auf der Wählerseite nicht stärker zieht.

Populistische und nicht-populistische Rechtsparteien in Westeuropa
Für die Klassifizierung rechtspopulistischer Parteien stützt sich Ursina Dorer in ihrer Arbeit auf bestehende Literatur. Als nicht-populistische Rechtsparteien definiert sie sämtliche Parteien, die im 2014 Chapel Hill Expert Survey (Bakker et al. 2015) einen besonders hohen Wert auf der Anti-Immigrations-Variable erzielten (>7), gleichzeitig in der Literatur aber nicht als populistisch bezeichnet werden. Allgemein berücksichtigt ihre Analyse nur Parteien, die in den letzten nationalen Wahlen vor 2014 einen Stimmenanteil von mindestens 5 Prozent erreichten. In Abbildung 1 sind sämtliche untersuchte Parteien ersichtlich.

Unzufrieden und fremdenfeindlich, aber nicht rechtspopulistisch

Diese Arbeit zeigt, dass populistische und nicht-populistische Rechtsparteien in Westeuropa unterschiedliche Arten immigrationskritischer Wählender mobilisieren. Insbesondere unterscheiden sie sich bezüglich der Zufriedenheit mit dem System und dem Vertrauen in die politische Elite. Damit wird eine mögliche Erklärung dafür geliefert, weshalb beide Parteien auch im gleichen Land erfolgreich nebeneinander bestehen können.

Gleichzeitig legen die Resultate nahe, dass weitere Faktoren einen Einfluss darauf haben, ob immigra­tionskritische Stimmbürgerinnen und Stimmbürger tatsächlich rechtspopulistisch wählen oder nicht. Denn obwohl nicht-populistische Rechtsparteien potenzielle Wählerinnen und Wähler aufgrund deren Unzu­friedenheit und Misstrauen verlieren, scheitern rechtspopulistische Parteien daran, diese Lücke effektiv zu schliessen. Offenbar wählen einige Personen, die sowohl immigrationskritisch als auch misstrauisch oder unzufrieden sind, weder nicht-populistische, noch  populistische Rechtsparteien.

Es gibt also Wählerinnen und Wähler, die der rechtspopulistischen Plattform ideologisch gesehen ideal entsprächen und dennoch nicht rechtspopulistisch wählen. Weshalb dies geschieht, bleibt derzeit noch offen. Deutlich wird aber, dass rechtspopulistische Parteien ihr Mobilisierungspotenzial möglicherweise schlechter ausschöpfen, als gemeinhin angenommen wird.

Populistische und nicht-populistische Rechtsparteien in den untersuchten Ländern Westeuropas mit einem Stimmenanteil >5% (Stand letzte nationale Wahl vor 2014)
Land Populistische Rechtspartei Nicht-populistische Rechtspartei Stimmen
Österreich Freiheitliche Partei Österreichs, FPÖ - 20.5 %
Belgien

Partei Flämische Interessen, VB

Neu-Flämische Allianz, N-VA

7.8%

17.4%

Dänkemark

Dänische Volkspartei, DF

Linke – Liberale Partei Dänkemarks, V

12.3%

26.7%

Deutschland -

Christlich Soziale Union in Bayern, CSU

7.4%

England -

Konservative Partei, Cons

36.1%

Finnland

Finnen-Partei, PS

 

19.1%

Frankreich

Front National, FN

Union für eine Volksbewegung, UMP

13.6%

27.1%

Niederlande

Partei für die Freiheit, PVV

Volkspartei für Freiheit und Demokratie, VVD

10.1%

26.6%

Norwegen

Fortschrittspartei, FrP

-

16.3%

Portugal -

Demokratisches und Soziales Zentrum – Volkspartei, CDS-PP

11.7%

Schweden

Schwedendemokraten, SD

-

12.9%

Schweiz

Schweizerische Volkspartei, SVP

-

26.6%

Spanien -

Spanische Volkspartei, PP

44.6%

Quellen: Mudde (2007: 305-308), Lubbers et al. (2002: 357), Golder (2003: 448), Álvarez-Rivera (2016), Bakker et al. (2015).


Referenzen

  • Álvarez-Rivera, Manuel (2016): Election Resources on the Internet: Western Europe (http://electionresources.org/western.europe.html [25.11.16]).
  • Bakker, Ryan, Edwards, Erica, Hooghe, Liesbet, Jolly, Seth, Marks, Gary, Polk, Jonathan, Rovny, Jan, Steenbergen, Marco, and Vachudova, Milada (2015): 2014 Chapel Hill Expert Survey. Version 2015.1. Available on chesdata.eu. Chapel Hill: University of North Carolina.
  • ESS (2014): European Social Survey Round 7. Data file edition 2.1. NSD – Norwegian Centre for Research Data, Norway – Data Archive and distributor of ESS data for ESS ERIC.
  • Golder, Matt (2003): Explaining variation in the success of extreme right parties in Western Europe. Comparative Political Studies 36(4), 432-466.
  • Lubbers, Marcel, Gijberts, Mérove und Scheepers, Peer (2002): Extreme right-wing voting in Western Europe. European Journal of Political Research 41(3), 345-378.
  • Mudde, Cas (2004): The Populist Zeitgeist. Government and Opposition 39(4), 542-563.
  • Mudde, Cas (2007): Populist Radical Right Parties in Europe. Cambrige: Cambridge University Press.

Foto: Wikimedia Commons.