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Öffentliche Mitwirkung stärkt die lokale Raumplanung bei fehlender Kapazität

Jan Berli, Tobias Schulz
22nd Februar 2017

Haben jene Interessengruppen, die von einer baulichen Entwicklung profitieren, in einer Gemeinde grossen Einfluss, so ist eine Stärkung der lokalen Raumplanung oft schwieriger durchzusetzen. Dies behindert letztlich den haushälterischen Umgang mit der Ressource Boden. Verfahren zur Mitwirkung einer breiteren Bevölkerung in der lokalen Raumplanung schränken die Einflussnahme solcher Interessen ein. Dies gilt jedoch vor allem in jenen Gemeinden, die über keine eigene Verwaltungsstelle für Raumplanung verfügen. Zu diesen Ergebnissen führt eine Untersuchung der Raumplanung in den Schweizer Gemeinden der letzten dreissig Jahre, welche die eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds durchgeführt hat.

Die Nutzungsrechte an der Ressource Boden wurden in den letzten Jahren zunehmend Gegenstand politischer Debatten. In der kleinräumigen Schweiz stehen sich wirtschaftliche Interessen und das Schutzbegehren von Umweltverbänden immer häufiger unvereinbar gegenüber; gerade auch auf der lokalen Ebene. Im Rahmen der Revision des Raumplanungsgesetzes wurden die Kompetenzen der Kantone gestärkt und das Instrumentarium der Gemeinden betreffend Umsetzung des Raumplanungsgesetzes verbessert.

Befragung zur kommunalen Raumplanung

Mit dem Ziel, die Einflussnahme lokaler Interessen auf die kommunale Raumplanung systematisch abschätzen zu können, führten wir im Jahr 2014 eine Befragung der Schweizer Gemeinden durch. Damit haben wir neben den in den letzten dreissig Jahren ergriffenen raumplanerischen Massnahmen auch die Organisation der Raumplanung in den Gemeinden und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung erhoben.

Von den ca. 2400 kontaktierten Gemeinden haben wir ca. 1600 Antworten erhalten (Rücklauf: 69%). In der hier vorgestellten Untersuchung konnten letztlich aber nur jene 740 Gemeinden berücksichtigt werden, für die zu den relevanten Fragen, sowie allen weiteren in die Analyse einbezogenen Aspekten Informationen vorlagen. Ein Bericht mit umfangreichen deskriptiven Auswertungen dieser Befragung ist hier öffentlich zugänglich.

Interessenpolitik in der kommunalen Raumplanung

Gemeinhin wird erwartet, dass die öffentliche Mitwirkung von Bürgern im Planungsprozess die politische Einflussnahme mächtiger Interessengruppen einschränkt. Es ist zudem von Interesse, ob die Möglichkeiten zur Mitwirkung auch davon abhängen, wieviel Kapazität die Gemeindeadministration für die Durchführung entsprechender Veranstaltungen aufbringen kann.

Kommunale Raumplanungsentscheide, wie beispielsweise kleinere Auf- oder Umzonungen oder die Revision der kommunalen Zonenpläne und Baureglemente, sind in der Regel ein heiss umstrittenes Politikum. Oftmals treffen die Partikularinteressen von Bauwilligen und Landeigentümern auf die Interessen von Hauseigentümern, die ihre unbebaute Nachbarschaft wahren möchten. Auch Mitglieder kantonaler und nationaler Umweltverbände setzen sich auf kommunaler Ebene für den Schutz der offenen Landschaft und dementsprechend für die Förderung der baulichen Verdichtung der bestehenden Siedlungsfläche ein.

Ein weiterer wichtiger Akteur sind die Vertreter der regionalen Bauwirtschaft, deren wirtschaftliche Erfolgsaussichten unmittelbar von den baulichen Entwicklungsmöglichkeiten abhängen. Da die Bauunternehmen vielerorts zu den wichtigsten Arbeitgebern und Steuerzahlern gehören, erstaunt es wenig, dass auch Studien in anderen Ländern sie als besonders einflussreichen Akteur der lokalen Raumplanungspolitik identifiziert haben.

Partizipative Planungsverfahren als „Katalysator“ divergierender Interessen?

Die „geeignete“ Mitwirkung der Bevölkerung in der Raumplanung ist gesetzlich vorgeschrieben. Folglich ist jede Gemeinde dazu verpflichtet, Revisionen des Zonenplans und des Baureglements öffentlich aufzulegen. Es ist hingegen etwas weniger verbreitet, die Bewohner zusätzlich zur öffentlichen Auflage zu Orientierungsveranstaltungen einzuladen, an denen sich die Verantwortlichen von Bauprojekten kritischen Fragen stellen.

Nur relativ wenige und hauptsächlich grössere Gemeinden ermöglichen ihren Bewohnern darüber hinaus, in sogenannten „kooperativen Planungskommissionen“ direkt am Planungsverfahren teilzunehmen. Für unsere Analysen sind wir davon ausgegangen, dass partizipative Planungsverfahren helfen können, die unterschiedlichen raumplanerischen Interessen in einer Gemeinde besser zu berücksichtigen. Befürworter einer restriktiven kommunalen Planung sind im Vergleich mit der Bauwirtschaft oft weniger gut organisiert. Folglich sollten ausgeprägte Mitwirkungsmöglichkeiten vor allem der Durchsetzung dieser Interessen förderlich sein.

Vor allem grosse Gemeinden ab 10.000 Einwohner verfügen über eine Verwaltungseinheit für Raumplanung. In mittleren und kleinen Gemeinden übernimmt in der Regel das Bauamt die raumplanerischen Aufgaben, während in den zahlreichen Kleinstgemeinden mit weniger als 1’000 Einwohnern meist der Gemeindeschreiber verantwortlich ist. Da dessen Pflichtenheft oft auch die gesamten restlichen administrativen Aufgaben der Gemeinde umfasst, ist zu erwarten, dass im Allgemeinen in Gemeinden mit weniger administrativer Kapazität auch weniger Raumplanungsmassnahmen umgesetzt werden können. Umgekehrt ist anzunehmen, dass in Gemeinden mit mehr administrativer Kapazität für die Raumplanung die Bevölkerung und die lokalen Interessengruppen noch besser in die Mitwirkungsverfahren eingebunden werden können. Dementsprechend sollte der angenommene Effekt der partizipativen Planungsverfahren in diesen Gemeinden noch ausgeprägter sein.

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Die Abbildung zeigt ein Mass für die Restriktivität der Raumplanung auf der lokalen Ebene: die mit ihrer inversen Häufigkeit gewichtete Anzahl in einer Gemeinde implementierter Massnahmen, jeweils im Durchschnitt über eine Raumplanungsregion.

Partizipative Planung erleichtert Planung da, wo Kapazität knapp ist

Für unsere Analysen haben wir die Angaben von 740 Gemeinden mit weiteren Informationen aus offiziellen Statistiken kombiniert (siehe untenstehende Infobox). Stark vereinfacht lässt sich die Erkenntnis aus anderen Ländern bestätigen, dass ein starker Einfluss der regionalen Bauinteressen auch in Schweizer Gemeinden eine weniger restriktive Regulierung der Raumplanung zur Folge hat. Ausserdem scheinen ausgeprägte Möglichkeiten der Mitwirkung vor allem in jenen Gemeinden zu einer restriktiveren Regulierung zu führen, in denen lediglich der Gemeindeschreiber für die kommunale Raumplanung verantwortlich ist und wo demnach eher Kapazitätsengpässe herrschen. Im Durchschnitt kommen in diesen Gemeinden mehr Planungsinstrumente zum Einsatz als in Gemeinden, in denen es weder genügend Kapazität noch ausreichende Partizipationsmöglichkeiten gibt.

Für jene Gemeinden, die hingegen ausreichend administrative Kapazität für die kommunale Raumplanung bereitstellen können, lässt sich der erwartete Effekt von partizipativen Planungsverfahren nicht nachweisen. Vielmehr ist die durchschnittliche Anzahl eingesetzter Planungsinstrumente in diesen Gemeinden von der Stärke der Vertretung der Interessengruppen unabhängig. Unsere Resultate deuten darauf hin, dass der Aufbau von Planungskapazitäten einen besseren Ausgleich zwischen divergierenden Interessen ermöglicht. Partizipativen Planungsverfahren haben hingegen nur dort den erwarteten Effekt, wo die Gemeindeverwaltung mit ihren Planungsaufgaben besonders gefordert ist.

Modellierung der kommunalen Raumplanung

  • Die Ergebnisse wurden über ein „Fixed Effects“-Regressionsmodell gewonnen, basierend auf Beobachtungen aus den Dekaden 80-90, 90-00 und 00-10, wobei die erklärende Variablen jeweils eine Dekade vor der Abhängigen gemessen wurden.
  • Interessengruppeneinfluss, Partizipation und administrative Kapazität wurden über eine Dreifach-Interaktionen miteinander in Verbindung gebracht.
  • Die Restriktivität der kommunalen Raumplanung wurde aus den Antworten der Gemeindebefragung gemessen (Anzahl Massnahmen gewichtet mit inverser Häufigkeit).
  • Die Stärke der Bauinteressen entspricht dem durchschnittlichen Anteil der in einer Gemeinde, und allen angrenzenden Gemeinden, in der Bauwirtschaft beschäftigten Personen. Die Stärke der Umweltschutzinteressen ergibt sich aus dem Wähleranteil der Grünen Partei und des LdU. Kategorisiert man diese beiden Variablen, so kann die Interessen-Disparität als deren Differenz erkennen.
  • Grade der Mitwirkung in der Raumplanung wurden dichotom aus der Gemeindebefragung unterschieden: Öffentliche Auflage versus weitergehende Mitwirkung.
  • Die administrative Kapazität konnte ebenfalls dichotom aufgrund der Gemeindebefragung gemessen werden: Verantwortung beim Gemeindeschreiber versus eigene Stelle.
  • Beigezogen wurden zahlreiche Kontrollvariablen: Anteil Einfamilienhaus-Besitzer, Bundessteuerertrag/Kopf, Erreichbarkeit, Bevölkerungsdichte und –wachstum, Anteil Siedlungsfläche an totaler Fläche, bebaubare Fläche, Anteil alter Gebäude, Zersiedelungsindex

Hinweis: Dieser Beitrag bezieht sich auf Berli, Jan und Tobias Schulz (under review): Participation in Local Land Use Planning: A Matter of Capacity?, in: Land Use Policy.