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Warum die SP die eigentliche Volkspartei ist

Rolf Badat
16th Februar 2017

Welche ist die wahre Volkspartei der Schweiz? Betrachtet man nicht nur das Abschneiden bei den Nationalratswahlen, sondern nimmt den Einfluss auf Volksabstimmungen als Kriterium, dann wird die SVP von der SP und der FDP in den Schatten gestellt. Dies zeigt die folgende Analyse mittels Vox-Umfragedaten. Das Ergebnis muss allerdings vorsichtig interpretiert werden.

Die SVP wird gemeinhin als die Volkspartei der Schweiz bezeichnet – nicht nur ihrem Namen nach, sondern auch aufgrund ihres Abschneidens bei Nationalratswahlen. Legt man den Fokus allerdings auf Volksabstimmungen, ergibt sich ein anderes Bild: Die SP hat den grössten Einfluss auf Abstimmungsausgänge, während die Grünen über eine hohe Parteidisziplin ihrer Anhängerschaft verfügen und die BDP am meisten auf der Gewinnerseite steht.

Das sind die Resultate folgender Analysen mittels Vox-Umfragedaten zu Volksabstimmungen auf Bundesebene zwischen 2009 und 2014. Der Titel der wahren Volkspartei wird dabei derjenigen Partei zugestanden, die den grössten Einfluss auf die Abstimmungen aufweist – und das ist die SP.

Um den Einfluss auf Volksabstimmungen zu messen, werden verschiedene Kriterien einbezogen: Sowohl die Grösse und Parteidisziplin der Anhängerschaft einer Partei spielen dabei eine Rolle als auch die Häufigkeit, mit der eine Partei bei Abstimmungen als Siegerin hervorgeht.

Grüne haben ihre Anhängerschaft im Griff

Die jährlichen Durchschnittswerte der Anteile der Parteianhängerschaften, die identisch mit den Parolen ihrer Partei gestimmt haben (siehe Abbildung 1), zeigen, dass sich vor allem die Grünen und die SP auf ihre Anhängerschaften verlassen konnten. Ein anderes Bild zeigt sich für die FDP und die CVP. Sie konnten ihre Sympathisantinnen und Sympathisanten weniger gut von ihren Anliegen überzeugen. Für die SVP, die BDP und die GLP zeigt sich kein eindeutiger Trend.

Im Jahr 2011 war die Parteidisziplin generell sehr hoch. Dieses markante Ergebnis kann darauf zurückgeführt werden, dass in diesem Jahr nur gerade eine einzige Vorlage auf Bundesebene vors Volk kam – die Volksinitiative „Für den Schutz vor Waffengewalt“. Im Jahr 2012 wurden die Parteiparolen vor allem von den Anhängerschaften der bürgerlichen Parteien unterdurchschnittlich befolgt. Danach stimmten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aber wieder zunehmend, wie es die Parteien vorgaben. Am wenigsten gelang die Überzeugungsarbeit der SVP. Die BDP konnte sich ab dem Jahr 2013 auf eine sehr hohe Parteidisziplin verlassen.

Abbildung 1:

SP, FDP und SVP mit grossem Einfluss

Um eine Aussage machen zu können, welche Parteien mit ihren Anhängerschaften viel oder wenig zu Gewinnen bei Abstimmungen beitragen, genügt eine prozentuale Betrachtung der Parteidisziplin der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger allerdings nicht. Es muss vor allem berücksichtigt werden, wie oft Abstimmungen im Sinne einer Partei ausgehen und mit wie vielen Stimmen ihre Anhängerschaft dazu beigetragen hat.

Für Abbildung 2 wurde anhand dieser zwei Kriterien für verschiedene Parteien der durchschnittliche jährliche Einfluss ihrer Anhängerschaften auf Abstimmungen berechnet (siehe Tabelle 1 und Infobox für Details). Ausser im Jahr 2011, in dem nur eine Vorlage auf Bundesebene vors Volk kam, vermögen die Anhänger der SP, der FDP und der SVP stets den grössten Einfluss auf Abstimmungen auszuüben. Parteien mit kleinerer Anhängerschaft wie die Grünen, die GLP und die BDP haben kaum Einfluss auf Abstimmungen, während sich der Einfluss der CVP kontinuierlich zwischen dem der grösseren und der kleineren Parteien bewegt.

Abbildung 2:

Abstimmungsgewinne, Grösse und Parteidisziplin der Anhängerschaft

Tabelle 1 zeigt die Rangliste für den Einfluss auf Abstimmungen und aus welchen Kennzahlen sich dieser zusammensetzt. Während die SP und die SVP dank vielen Stimmen ihrer grossen Anhängerschaften einen grossen Einfluss haben, gelingt dies der FDP vor allem deswegen, weil sieben von zehn Abstimmungen in ihrem Sinne ausgehen. Bemerkenswert ist die Grösse der Anhängerschaft der SVP. Trotz einer tiefen Parteidisziplin (siehe Abbildung 1 und Tabelle 1) kann sie im Vergleich zu anderen Parteien immer noch mit einer hohen Anzahl Stimmen aus ihrer Anhängerschaft rechnen und erzielt so trotz einer geringen Anzahl an Abstimmungsgewinnen und tiefer Parteidisziplin einen Einfluss in beträchtlicher Höhe.

Der BDP und der GLP werden ihre kleinen Anhängerschaften zum Verhängnis. Auch wenn sie mit 74.0 respektive 71.4 Prozent die meisten Abstimmungen gewonnen haben, ist ihr Einfluss auf Abstimmungen sehr gering.

Die Anteile an befragten Personen im Datensatz, die sich mit der SP (16.7 %) oder der SVP (12.59 %) identifizieren, lassen allerdings vermuten, dass dieser Datensatz verzerrt ist. In Nationalratswahlen ist die SVP seit 2003 klar stärkste Partei und scheint hier im Vergleich mit der SP klar untervertreten zu sein. In einem weniger verzerrten Sample hätte sich die SVP wahrscheinlich mit dem höchsten Einfluss auf Abstimmungen an die Spitze der Rangliste gesetzt.

Tabelle 1:

Anmerkungen:

Einfluss auf Abstimmungen: Multiplikation des Einflusses bei Gewinnen mit dem Anteil an gewonnenen Abstimmungen, zwischen 0 und 100.

Einfluss bei Gewinnen: Wird nur für Abstimmungsgewinne der jeweiligen Partei berechnet. Durchschnittlicher Anteil der Anzahl Stimmen der eigenen Anhängerschaft, die mit der Parteivorgabe gestimmt haben, an der gesamten Anzahl Gewinnerstimmen.

Gewonnene Abstimmungen: Anteil der Abstimmungen, bei denen die Parteiparole mit dem amtlichen Abstimmungsergebnis übereinstimmte.

Mobilisierung: Durchschnittlicher Anteil der Parteianhängerschaft, der abgestimmt hat.

Parteidisziplin: Durchschnittlicher Anteil der abstimmenden Parteianhängerschaft, der so abgestimmt hat, wie es die Partei mittels Parole vorgab.

Anhängerschaft in Datensatz: relative Grösse der jeweiligen Parteianhängerschaft im Datensatz.

Einfluss kleinerer Mitteparteien

Während der Periode von 2009 bis 2014 fassten die einflussreichen Polparteien SP und SVP in nur gerade sieben von 51 Abstimmungen die gleiche Parole. Unter diesen Umständen, in denen eher selten unheilige Allianzen zwischen den Polparteien geschmiedet werden und sich allgemein die verschiedenen Parteien über Vorlagen selten einig sind, erhöht sich der Einfluss der Anhängerschaft der kleineren Mitteparteien erheblich. Da eine Polpartei alleine zu wenig Stimmen aus ihrer Anhängerschaft für einen Abstimmungsgewinn generieren kann, ist sie auf die Stimmen aus der Mitte und der Stimmbürgerschaft ohne Parteiidentifizierung angewiesen. Indem die kleineren Parteien die nötigen Mehrheiten schaffen, kommt ihnen also doch eine einflussreiche Rolle zu. Ist die Anhängerschaft dieser Parteien allerdings sehr klein, sodass es für das Abstimmungsergebnis nicht relevant ist, ob sie für oder gegen eine Vorlage stimmt, hat sie keinen Einfluss auf die Abstimmungen. Dieser Punkt wurde hier für die Berechnung des Einflusses auf Abstimmungen aber vernachlässigt.

BDP – die Mittepartei schlechthin

Obwohl die Parolen der BDP im Untersuchungszeitraum am meisten mit den Abstimmungsergebnissen übereinstimmen, kann sie natürlich nicht als Volkspartei bezeichnet werden. Sie vertritt bei Abstimmungen zwar häufig eine Mehrheit der abstimmenden Bürger, doch wechseln diese Mehrheiten stets ihre Zusammensetzung. Die BDP vertritt also nicht ständig dieselbe Stimmbürgerschaft, sondern über die Zeit gesehen nur den Teil der Stimmbürger, der stets im Sinne der BDP abstimmt – und der ist nicht so gross. Viel eher bedeutet das gute Abschneiden der BDP mit ihren Parolen, dass sie die Mittepartei schlechthin ist. Dies deshalb, weil es einer Partei, die sich in der Mitte positioniert, am häufigsten möglich ist, als mehrheitsbildende Partei zu einem für sie positiven Abstimmungsergebnis beizutragen. Für das Prädikat „Volkspartei“ besitzt die BDP aber eine deutlich zu kleine Anhängerschaft.

Daten und Methoden
Für die Berechnungen wurden die Daten der Vox-Umfragen (Kriesi et al. 2016) verwendet. Es flossen für die Jahre 2009 bis 2014 total 51 Abstimmungen und 72’930 Beobachtungen in die Berechnungen ein. Für das Jahr 2009 wurden pro Abstimmung jeweils mindestens 1’000 Personen befragt. Ab dem Jahr 2010 waren es mindestens 1’500 Personen. Fehlende Parolenangaben für die GLP wurden anhand des Parolenspiegels der GLP Schweiz (2016) ergänzt. Fehlende Angaben zu Parolen der PdA wurden nicht ergänzt.

Berechnung der Parteidisziplin: Für die Berechnungen der Parteidisziplin der Anhängerschaft in Abbildung 1 wurden nur Personen berücksichtigt, die sich mit einer Partei identifizieren. Gab eine Partei zu einer Vorlage keine Parole oder „Stimmfreigabe“ bekannt, wurde die Vorlage für diese Partei nicht in die Berechnungen mitaufgenommen.

Berechnung des Einflusses auf Abstimmungen: Der in Abbildung 2 und Tabelle 1 aufgeführte Einfluss auf Abstimmungen wurde anhand des durchschnittlichen Anteils der Stimmen der Anhängerschaft einer Partei an der gesamten Anzahl Gewinnerstimmen im Datensatz berechnet. Für eine Verliererpartei – eine Partei, deren Parole nicht mit dem Abstimmungsergebnis übereinstimmt – wird dieser Anteil für diese Abstimmung mit null gewertet. Hat eine Partei keine Parole oder „Stimmfreigabe“ beschlossen, wird diese Abstimmung für diese Partei nicht berücksichtigt.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien bereits in einer längeren Fassung auf dem DDJ-Blog des IPZ.


Quellen:

  • GLP Schweiz (2016): Parolenspiegel Grünliberale Schweiz: www.grunliberale.ch/dms/schweiz/de/doku/politischearbeit/Parolenspiegel_D_20160701.pdf
  • Kriesi, Hanspeter, Brunner, Matthias und Lorétan, François (2016): Standardisierte Umfragen VoxIt 1981-2014 [Dataset]. Université de Genève – Faculté des Sciences da la Société – SdS – Département de science politique et relations internationales, Universität Zürich, Philosophische Fakultät – Institut für Politikwissenschaften – IPZ – Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, FORS – Centre de compétences suisse en sciences sociales. Distributed by FORS, Lausanne.

Foto: Pixabay.