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Populismus und Demokratie — Wo die Wissenschaft steht

Jens Lucht, Christian Caspar
21st Dezember 2016

Populistische Parteien sind überall in Europa auf dem Vormarsch. Doch was bedeutet Populismus genau? Wie eine wissenschaftliche Konferenz mit Expertinnen und Experten aus der Politik- und der Medienwissenschaft zeigte, besteht darüber keine Einigkeit. 

Der Front National in Frankreich, die Ukip in Grossbritannien, die SVP in der Schweiz - populistische Parteien verzeichnen seit Jahren europaweit deutliche Zuwächse in der Gunst von Wählerinnen und Wählern. Ebenfalls seit Jahren arbeiten sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen an der Erklärung dieses Phänomens ab. Nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA dürfte dies noch verstärkt der Fall sein.

Dieses Jahr trafen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Zürich, um sich in Bezug auf drei Hauptthemen auszutauschen: Populismus in verschiedenen Kontexten (historischen, politischen, ökonomischen, medienstrukturellen), populistische und nicht-populistische Akteure und Populismus & Wählende.

Es zeigte sich, dass fächerübergreifend klare Begriffe und Definitionen in der Populismusforschung teilweise fehlen und dass noch einiges an (theoretischer) Arbeit zu leisten ist. Eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist angezeigt, um das Phänomen besser erklären zu können, wie der nachfolgende Konferenzbericht deutlich macht.

Populism and Democracy-Konferenz
Die "Populism and Democracy“-Konferenz geht auf die Initiative des inzwischen verstorbenen Kurt Imhof, Gründer und früherer Leiter des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft fög der Universität Zürich, zurück. Veranstaltet wurde die Tagung vom NCCR Democracy, das sowohl Politik- als auch Medienwissenschaftler vereinigt sowie der Stiftung Bildung, Migration und Umwelt (BMU-Stiftung). Die zweitägige Konferenz fand am 28. und 29. Juni in Zürich statt.

Die Podiumsdiskussion, an der drei Wissenschaftler vom NCCR Democracy (Laurent Bernhard, Frank Esser, Werner Wirth), die Medienschaffenden Judith Huber (SRF Echo der Zeit), Christof Moser (Schweiz am Sonntag) und Peter Rásony (Neue Zürcher Zeitung) sowie Linards Udris vom fög/UZH als Moderator teilnahmen, kann hier nachgeschaut werden.

Populismus in verschiedenen Kontexten

Bereits die ersten Beiträge zeigten die Hauptproblematik der Populismusforschung auf: Teilweise ist auch unter Expertinnen und Experten nicht ganz klar, was unter Populismus genau zu verstehen ist und damit auch, wie der Populismus und sein Verhältnis zur Demokratie zu bewerten ist.

So erwähnte Cas Mudde den Linkspopulismus, während sich andere Referenten ausschliesslich auf den Rechtspopulismus konzentrierten. Und während einige Teilnehmende Populismus für „ultra-politisch“ halten (Mudde), finden andere, dass Populisten eigentlich „weniger Politik“ wollten (Paul Taggart) oder im selben Mass wie die Technokratie eine Gefahr für die (liberale) Demokratie darstellen (beispielsweise Daniele Caramani).

Auch sind in der theoretischen Herangehensweise und Begrifflichkeit deutliche Unterschiede zu sehen, wie die Präsentationen von Daniele Caramani, Marco Steenbergen, Laurent Bernhard, Tim Bale, Andreas Wimmer (der eine historische Perspektive einnahm) und Daniele Albertazzi zeigten. Weiter wurde von einigen Referenten bemängelt, dass zu wenig empirische Forschung vorhanden sei.

Aufgrund der Heterogenität der Beiträge entwickelte sich im Anschluss an die Vorträge eine lebhafte Diskussion, die insbesondere die Frage nach theoretischen Ansätzen, Wording und Modellen zum Inhalt hatte.

Man war sich einig, dass Massenmedien (und Social Media) in diesem Kontext mitgedacht werden müssen und dass vor allem die Dynamiken zwischen Eliten, Populisten und deren Kommunikationsstrategien und Medien verstärkt empirisch analysiert werden müssen und man sich nicht bloss auf die populistischen Akteure selbst konzentrieren darf. So sehr diese Forderung Anklang fand, so sehr fiel doch bei den meisten Präsentationen in theoretischer und in empirischer Hinsicht eben genau jene Engführung auf.

Medien und Populismus

Am zweiten Konferenztag wurde die Rolle der Medien für den Erfolg des Populismus thematisiert. Frank Esser stellte eine theoretische Systematik zum Verhältnis Medien und Populismus vor, die empirische Analysen in diesem Feld besser an die vorhandenen theoretischen Grundannahmen rückkoppeln soll (siehe Wirth et al. 2016). Eine dieser Annahmen, nämlich die Frage nach der möglichen „Komplizenschaft“ zwischen Boulevardmedien und Populisten (Mazzoleni), wurde bislang kaum systematisch empirisch überprüft.

Linards Udris und Jens Lucht fanden in ihrer empirischen Analyse anhand ausgewählter Schweizer Parlamentswahlen Hinweise für diese Komplizenschaft, die sich gerade durch die entsprechende Dynamik zeigt, d. h. durch die starke Medienresonanz für populistische Provokationen.

Gianpietro Mazzoleni versuchte, die Frage nach der Komplizenschaft auf das Phänomen Social Networks anzuwenden, und zeigte anhand von Resonanz- und Sentiment-Analysen auf Twitter im Ansatz ähnliche Dynamiken, obgleich er betonte, dass im Feld Social Media weitere Forschung vonnöten sei.

Populismus und Wählerschaft

Zum Abschluss der Konferenz ging es im dritten Panel zunächst anhand von Befragungsdaten um die alte Diskussion, welche Einstellungsmerkmale von Wählenden verantwortlich sind, damit sie Populisten unterstützen (Stijn van Kessel und Matthijs Rooduijn). Linda Bos, die sich auf ihre Studien zu Partei-Strategien und zu „media cues“ stützte, brachte die Rolle der Medien ein, die u. a. durch die Vermittlung von „issue ownership“ (d. h. die Deutungshoheit über ein Thema durch einen bestimmten Akteur oder eine bestimmte Partei) bei den Nutzern die Affinität für Populismus erhöhen.

Dass bestimmte Issues spezifisch wirken, wenn Nutzerinnen und Nutzer mit populistischen Botschaften konfrontiert werden, zeigte auch Martin Wettstein. Dominique Wirz konnte anhand eines Experiments zeigen, dass emotionale, populistische Botschaften von der Wählerschaft tatsächlich als besonders überzeugend wahrgenommen werden. Zudem erhöht das Auslösen von „Ärger“ bei den Wählerinnen und Wählern die Bereitschaft für politikverschärfende Massnahmen.


Referenzen:

Titelbild: Plakate der Schweizerischen Volkspartei, August 2010. Wikimedia Commons, gemeinfrei (CC0).