Die rechtspopulistische Wählerschaft ist unzufrieden mit der Demokratie
Alessandra Biagioni
6th December 2016
Die Wählerschaft von rechtspopulistischen Parteien in Europa weist eine tiefere Demokratiezufriedenheit auf als die Wählerschaft anderer Parteien. Nur in Ungarn sind rechtspopulistische Wählerinnen und Wähler deutlich zufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie als die übrige Wählerschaft. Dies geht aus meiner Bachelorarbeit hervor, in welcher ich die politische Zufriedenheit der rechtspopulistischen Wählerschaften in zwölf europäischen Ländern untersucht habe.
Fast überall in Europa konnten rechtspopulistische Parteien während der letzten Jahrzehnte stark an Wählerstimmen gewinnen. Parallel zum Aufstieg rechtspopulistischer Parteien war auch eine kontinuierliche Abnahme der politischen Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger in Europa beobachtbar (Kaase & Newton 1995, Newton 2007). Es liegt nahe, dass diese beiden Entwicklungen in einem direkten Zusammenhang stehen: Neben Fremdenfeindlichkeit und Euroskeptizismus ist politische Unzufriedenheit eines der Kernmerkmale der rechtspopulistischen Wählerschaft (Taggart 1998; Oesch 2008).
Politische Unzufriedenheit als Auslöser, rechtspopulistischen Parteien zu wählen
Rechtspopulismus basiert auf einer grundsätzlich negativen Bewertung oder sogar Ablehnung der aktuellen Politik und ihren Akteuren. Die rechtspopulistische Kritik richtet sich gegen eine als vom Volk entrückt diffamierte politische Elite, gegen die etablierten Parteien sowie gegen den allgemeinen politischen status quo (Decker 2006). Studien belegen, dass sich in der Wahl von rechtspopulistischen oder anderen systemfeindlichen Parteien eine grundsätzliche politische Unzufriedenheit ausdrückt (z.B. Betz 1994, Bélanger und Aarts 2006). Politische Unzufriedenheit wird damit zu einem der wichtigsten Bestimmungsfaktoren, um die Wahl einer rechtspopulistischen Partei zu erklären.
Vergleich Wählerschaft rechtspopulistischer vs. anderer Parteien
Doch ist die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien tatsächlich unzufriedener mit der Demokratie in ihrem Land als Wählerinnen und Wähler anderer Parteien? In meiner Bachelorarbeit untersuchte ich mit den Daten des European Social Surveys die relative Demokratiezufriedenheit der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in zwölf europäischen Ländern.
Den Erwartungen entsprechend weist die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in elf der zwölf untersuchten Länder tatsächlich eine (meistens signifikante) tiefere Demokratiezufriedenheit auf als die Wählerschaft anderer Parteien (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1:
Die Balken geben die durchschnittlichen Demokratiezufriedenheitswerte der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien (gelb) sowie der Wählerschaft aller anderen Parteien (violett) an. Je höher der Wert auf einer Skala von 0 bis 10, desto zufriedener sind die Befragten mit dem Funktionieren der Demokratie.
Wie aus der Abbildung hervorgeht, sind die rechtspopulistischen Wählerinnen und Wähler in Belgien deutlich unzufriedener als die Wählerschaft anderer Parteien. Auch in Norwegen, Dänemark, Frankreich, Finnland und den Niederlanden fällt die Bewertung der aktuellen Demokratie von rechtspopulistischen Wählerinnen und Wählern schlechter aus als jene der übrigen Wählerschaft. In Schweden und Polen sind die Unterschiede zwar kleiner, jedoch trotzdem beträchtlich. In drei von den elf Ländern – Tschechien, Italien und der Schweiz – gibt es keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Ungarn als Ausreisser
Einzig in Ungarn sind rechtspopulistische Wählerinnen und Wähler deutlich zufriedener mit der Demokratie als andere Wähler. Eine mögliche Erklärung dafür wäre die Tatsache, dass rechtspopulistische Parteien in Ungarn enorme wahlpolitische Erfolge erzielen konnten und eine rechtspopulistische Partei bereits seit mehreren Jahren an der Macht ist.
Bei den letzten Wahlen im Jahre 2014 konnte in Ungarn die Regierungspartei Fidesz fast die Hälfte der Stimmen abholen. 2010 erlangte sie mit 52,7 Prozent der Wählerstimmen sogar eine absolute Mehrheit. Wenn man die kleineren Parteien Jobbik und MIÉP, die beide zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus schwanken, auch dazu zählt, konnte die populistische Rechte zusammen sogar fast 70 Prozent der Wählerstimmen vereinen.
Auch bezüglich anderer untersuchter Variablen präsentiert sich Ungarn als Ausnahmefall. Das Geschlecht, das Einkommen oder der Bildungsstand der Wählerschaft hatten in Ungarn überraschenderweise und im Gegensatz zu den meisten anderen Untersuchungsländern keinen signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Demokratie. Neben der Parteiwahl hatten nur das Alter und die ökonomische Zufriedenheit einen signifikant positiven Einfluss auf die Demokratiezufriedenheit der ungarischen Befragten.
Was beeinflusst die Unterschiede?
Ich habe ebenfalls untersucht, was genau den Unterschied in der Demokratiezufriedenheit der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien und den Wählerschaften anderer Parteien beeinflusst. Machtteilende Institutionen wie beispielsweise ein proportionales Wahlsystem, Föderalismus und direkte Demokratie konnten den Unterschied aber entgegen der ursprünglichen Vermutung nicht erklären.
Vielmehr stellte sich heraus, dass die elektorale Stärke rechtspopulistischer Parteien in einem Land einen Einfluss hat. Das bedeutet, je grösser der prozentuale Stimmengewinn der rechtspopulistischen Parteien bei den letzten Wahlen, desto kleiner ist der Unterschied zwischen der Demokratiezufriedenheit der rechtspopulistischen Wählerschaft und der übrigen Wählerschaft.
Die Ergebnisse meiner Arbeit bestätigen eine weit verbreitete Vermutung: rechtspopulistische Wählerinnen und Wähler weisen eine tiefere Demokratiezufriedenheit auf als Wählerinnen und Wähler nicht rechtspopulistischer Parteien.
Literatur:
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Bélanger, E., & Aarts, K. (2006): Explaining the rise of the LPF: Issues, discontent, and the 2002 Dutch election. Acta politica, 41(1), 4-20.
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Betz, H. G. (1994): Radical Right-Wing Populism in Western Europe. Basingstoke: Macmillan.
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Decker, F. (2006): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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Kaase, M., & Newton, K. (1995): Beliefs in government. Volume 5. Oxford: Oxford University Press.
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Linde, J., & Ekman, J. (2003): Satisfaction with democracy: A note on a frequently used indicator in comparative politics. European Journal of Political Research, 42(3), 391- 408.
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Newton, K. (2007): Social and Political Trust. In: Dalton, R. & Klingemann, H. D. (Hrsg.): Oxford Handbook of Political Behavior. Oxford: Oxford University Press, 342-361.
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Oesch, D. (2008): Explaining Workers’ Support for Right-Wing Populist Parties in Western Europe: Evidence from Austria, Belgium, France, Norway, and Switzerland. International Political Science Review, 29(3), 349-373.
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Taggart, P. (1998): A Touchstone of Dissent. Euroscepticism in Contemporary Western European Party Systems. European Journal of Political Research, 33, 363-388.
Grafik und Lektorat: Pascal Burkhard
Titelbild: Marine Le Pen, Parteivorsitzende der rechtspopulistischen Partei Front National, am 1. Mai 2012 in Paris. Quelle: Flickr