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Wie Emotionen in der Politik Sinn stiften und die Partizipation fördern

Lukas Golder
25th November 2016

Die Schweizer Politik ist besonders intensiv auf Partizipation und konstruktive Dialoge angewiesen. Der Medienwandel bietet hierfür gerade dank einfacher emotionaler und persönlicher Ansprache eine Chance. Emotionsbewirtschaftung auf Social Media dient dabei als Katalysator und fördert den Konsum etablierter Medienmarken zur vertieften Informationsbeschaffung.

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Medien helfen, die Teilnahme an Abstimmungen zu erhöhen. Seit den Neunzigerjahren steigt im Mittel die Teilnahme bei Abstimmungen und Wahlen, obwohl mit der Individualisierung Wählen und Stimmen immer weniger als allgemeingültige Bürgerpflicht wahrgenommen wird.

Die meisten Stimmberechtigten und besonders die Jungen entscheiden heute dabei selektiv, ob sie stimmen oder wählen wollen. Die nationale Politik ist lauter und polarisierter geworden und sie wird massenmedial gerne auch so dargestellt. Das Fernsehen spielte hierfür eine Schlüsselrolle. Der Umbruch der Medien und Kampagnen im Rahmen der Digitalisierung wird zwar kritisch diskutiert, bietet aber erneut eine Chance, mehr Personen für die Partizipation zu begeistern.

Politische Information muss greifbarer werden

Das politische System der Schweiz ist nicht nur wegen der wegweisenden Abstimmungsentscheidungen auf intensive Partizipation angewiesen. Die stark föderale und dezentrale Struktur und das verwurzelte Milizprinzip sowie die zahlreichen Konfliktlinien erfordern Mitbestimmung und –gestaltung in zahlreichen Gremien. Hier krankt unser System laut Gemeindemonitoring des kpm schon heute, denn es gelingt immer weniger, genügend Personen für politische Mandate zu finden.

Die Generation der Millenials ist gemäss CS-Jugendbarometer wenig von institutionalisierter Politik begeistert. Wenn nicht systematisch versucht wird, Junge für die politische Partizipation zu gewinnen, steigt parallel zu den Problemen mit dem Milizsystem die Gefahr von Generationenkonflikten.

Basierend auf den Arbeiten von Clau Dermont warnt z.B. Avenir Suisse eindringlich vor einer Gerontokratie: Weil die Stimmbeteiligung vom Alter abhängt und die Stimmberechtigten im Mittel altern, verstärkt sich die Gefahr, dass Ältere Jüngere systematisch überstimmen. Der mittlere Stimmende wird in der Schweiz bald sechzig Jahre alt sein.

Um Interesse, Partizipation und damit auch das politische System langfristig zu stärken, muss die Zugänglichkeit der Politik für Junge erhöht werden. Hierfür ist einerseits die politische Bildung gefordert, die das Wissen besser vermitteln soll.

Andererseits können Kampagnen und Informationen, die ausserhalb der Schulen vermittelt werden, einen wichtigen Beitrag der Partizipationssteigerung leisten. Sehr viele Jugendliche wären besonders an nationalen Abstimmungen interessiert, der Zugang ist aber erschwert, weil Kenntnisse fehlen, die Informationssuche zu schwierig-, oder die Sprache schlicht zu kompliziert ist.

Überforderung ist also eher das Problem als ein grundsätzliche Desinteresse. Die grosse Chance einer direkten Demokratie ist aber, dass die Bürgerinnen und Bürger über verschiedene Themen direkt angesprochen und für die (selektive) Teilnahme motiviert werden können. Auch das senkt die subjektiv empfundenen Hürden.

Kampagnenführung in der Schweiz im digitalen Umbruch

Ein Element zur Steigerung der durchschnittlichen Teilnahme seit den Neunzigerjahren war die emotionalere und personalisierte Vermittlung über Massenmedien und spezifisch über das Fernsehen. Den Medienwandel kann man weiter zur Steigerung der Partizipation nutzen. Mit den Möglichkeiten der Online-Medien und von Social Media ist die mediale Vermittlung von Emotionen heute einfacher und in der Aufbereitung und Vermittlung sogar deutlich preiswerter geworden. Die Relevanz von Online-Medien und Online-Kampagnen steigen in der Schweiz dramatisch. Im Verlauf der Debatte zur Durchsetzungsinitiative, die schliesslich zur höchsten Mobilisierung seit der EWR-Abstimmung von 1992 führte, wurde der Öffentlichkeit die Bedeutung der Online-Mobilisierung definitiv vorgeführt.

Mobile Kommunikation und Social Media beschleunigen die Informationsvermittlung und machen sie überraschender und unvorhersehbarer. Die persönliche Ansprache ermöglicht direkte, emotionale Appelle. Diese Digitalisierung wird Kampagnen in der Schweiz stärker verändern als das Fernsehen, denn politische Werbung am Fernsehen ist verboten.

Ein SVP-Wahlvideo erreicht zwischenzeitlich über Youtube ein Millionenpublikum, Facebook wird in grossem Mass für politische Werbung genutzt, Twitter wird erfolgreich als schnellstes Mittel für Medienarbeit und Spin-Doctoring genutzt, über Crowdfounding wurden mehrmals grosse Mittel für Inserate oder Plakate gesammelt und über eine Online-Plattform konnten bereits über 30'000 Unterschriften für die Initiative zur Einführung des Vaterschaftsurlaubs gesammelt werden.

Neue Formen der Integration, aber auch mehr negative Emotionen

Neben Chaos, Nichtlinearität und Desintegration führt die heutige Mediensituation zu überraschenden Mustern von Integration, wie das Andrew Chadwick 2013 theoretisch aufzeigte und uns die Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative 2016 praktisch vorführte. Kurzfristig bündelten unterschiedliche politische Nein-Akteure gegen dieses Initiative mindestens online ihre Aktivitäten und erfuhren unmittelbar starken Rückhalt aus der Bevölkerung.

Auch negative Folgen des Medienbruchs sind ernst zu nehmen. Negative Campaigning zielt immer mehr auf Schwächen von Personen statt auf Fakten, digitaler Populismus suggeriert wie beispielsweise im Migrationsbereich einfache Lösungen für komplizierte Probleme oder mit digitalen Feuerstürmen ("Shitstorm") werden ganze Organisationen von Wutbürgern bedroht oder diffamiert.

Effektiv ist beispielsweise die Wut die am meisten verbreitete Emotion auf Social Media und die Diskussion um digitalen Populismus sieht die Stärkung populistischer Parteien in Westeuropa auch online gespiegelt.

Der konstruktive Beitrag der Emotionen ist theoretisch untermauert

Emotionen haben einen schlechten Ruf. Die politik- und medienwissenschaftlichen Diskussion in der Schweiz ist von den normativen Forderungen von Jürgen Habermas und seinen Ansprüchen an Argumente und den Austausch von Argumenten geprägt. Mit der Vorstellung eines herrschaftsfreien Diskurses sperrte Habermas mit der Herrschaft auch gleich Emotionen aus.

Allerdings stellen theoretische Konzepte auch positive Leseweisen von Social Medial zur Verfügung. Social Media unterstützen neue Formen des Protests, weil sie die offene Vernetzung und Zusammenarbeit erleichtern. Diese Bottom-up-Phänomene befördern situative Beteiligung und politische Innovation.

Noch hilfreicher erscheinen Konzepte aus der Psychologie, die Emotionen eine hohe Bedeutung für gute Entscheidungen zuschreiben. Gerade negative Emotionen haben einen starken Effekt und fördern je nachdem aufgeklärte Entscheidungen. Negative Emotionen lenken besonders stark die Aufmerksamkeit, denn beispielsweise Angst macht auf ein Problem aufmerksam.

Das kann kurzfristige Reaktionen zur Emotionssteuerung auslösen und oberflächliche Entscheidungen zur Folge haben, wie uns der Fluchtreflex in der Natur aufzeigt. Negative Emotionen können aber parallel dazu eine vertiefte Auseinandersetzung fördern. Angst zeigt eben auch, dass ein Problem vorhanden ist und führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den hinterliegenden Ursachen.

Diese duale psychologische Logik wurde erfolgreich auf die empirische Kommunikationsforschung übertragen. Das Zwei-Prozess Modell des Unterhaltungserlebens postuliert, dass politische Information in einem Unterhaltungskontext nicht nur der puren unmittelbaren Unterhaltung und situativen Emotionsbewirtschaftung dient, sondern parallel dazu auch eudaimonisches ("sinnhaftes") Unterhaltungserleben fördert.

Konkret: Um den tieferen Sinn der politischen Satire oder Unterhaltung zu verstehen, suchen Menschen vertiefende Kontextinformation. So fördert unterhaltende Information zu Zuwendung zu traditionellen Hard News. Politische Satire genauso wie negative Emotionen gegenüber der Politik können somit langfristig Sinn stiften und einen positiven Effekt auf die politische Partizipation haben.

Wenn Emotionen mobilisieren, werden Fakten nicht ausgeblendet

Emotionen lenken unsere Aufmerksamkeit und können mobilisieren, die Mobilisation fördert aber nicht unaufgeklärte Entscheidungen. Das gilt spezifisch für Abstimmungen in der Schweiz und lässt sich empirisch nachweisen. Simon Lanz und Alessandro Nai zeigen in ihrer Arbeit auf, dass eher eher die Intensität der Kampagnen und der Typ der Vorlage für eine aufgeklärte Entscheidung wichtig sind.

Ein eigener, ähnlicher Test zeigte für eine Auswahl an Vorlagen mit besonders hoher und besonders tiefer Teilnahme, dass in der Regel über 80 Prozent der Stimmenden kongruent zu ihrer Argumentenpositionen stimmen. Bei der Volksinitiative gegen Masseneinwanderung – eine Vorlage mit besonders starker populistischer Aufladung und Mobilisierung, wie auch die SRG-Trend-Studien aufzeigen - war der Wert der kongruent Stimmenden besonders hoch.

Das bestätigt die Resultate von Thomas Milic aus dem Jahr 2015. Tiefer fällt dieser Wert argumentebasierter Stimmen eher bei schwach prädisponierten Vorlagen aus, wie dies beispielsweise die Spezialfinanzierung des Luftverkehrs war. Bei ausgewählten Vorlagen mit besonders tiefen Beteiligungsraten sind die Anteile, die kongruent zu ihrer Argumentenposition stimmen, ungefähr im Mittel und nicht etwa erhöht.

Wer sinnhafte politische Informationen sucht, wendet sich etablierten Medienmarken zu

Emotionsbewirtschaftung steigert die Wahrnehmung der Bedeutung einer Vorlage und damit die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme als Zuwendung zur Politik. Für die politische Informationsbeschaffung im Rahmen der Meinungsbildung werden dann aber selbst von Jugendlichen sehr gerne etablierte Medienmarken gewählt, wie die nachfolgende Grafik aus dem CS-Jugendbarometer zeigt.

Wenn also die gefühlte Distanz zwischen Jugend und Politik dank Emotionen und Social Media verringert wird, so liefert dieses Ranking einen Hinweis, dass diese Emotionen einen eudaimonischen Prozess befördern: Einen auf Sinnsuche ausgelegten Prozess der Informationsbeschaffung auf etablierten Medienkanälen. Emotionale Abstimmungskämpfe können einen sinnvollen Beitrag zur Steigerung der Partizipation leisten.


Referenzen:

  • Clau Dermont 2016, Taking Turns at the Ballot Box: Selective Participation as a New Perspective on Low Turnout. Swiss Political Science Review. 22 (2), 213-231.
  • Simon Lanz und Alessandro Nai 2015: "Vote as you Think: Determinants of Consistent Decision Making in Direct Democracy", Swiss Political Science Review, 21 (1), 119-139.
  • Brian D. Loader & Dan Mercea 2011: Networking Democracy?: Social media innovations and participatory politics. In: Journal Information, Communication & Society, 14 (6), 757-769.
  • Thomas Milic 2015. For They Knew What They Did. What Swiss Voters Did (Not) Know About The Mass Immigration Initiative. Swiss Political Science Review 21 (1): 48-62.
  • Andrew Chatwik 2013. The Hybrid Media System: Politik and Power. Oford: Oxford University Press
  • VOX-Analysen eidgenössischer Urnengänge in Zusammenarbeit mit den politikwissenschaftlichen Instituten der Universitäten Bern, Genf und Zürich. Durcheführt von gfs.bern.
  • Anne Bartsch, & Frank M. Schneider 2014. Entertainment and politics revisited: How non-escapist forms of entertainment can stimulate political interest and information seeking. Journal of Communication, 64(3), 369–396.

Titelbild: Streetart, aufgenommen von Ayana T. Miller (CC-BY-ND)