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Ein starker Service public fördert das Vertrauen ins Mediensystem

Mario Schranz, Linards Udris, Lucie Hauser, Jörg Schneider, Mark Eisenegger
18th November 2016

Ein starker Service public fördert das Vertrauen ins Mediensystem. Das ist einer der Hauptbefunde der aktuellen Medienqualitäts-Forschung des fög-Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, die an der gut besuchten Medienkonferenz vom 17. November 2016 in Bern vorgestellt wurden. Das Jahrbuch Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera erscheint in diesem Jahr bereits zum siebten Mal. Neben dem Jahrbuch wurden in diesem Jahr auch zwei Vertiefungsstudien präsentiert: eine international vergleichende Analyse zum Medienvertrauen und eine weiterführende Analyse zu den News-Repertoires der Schweizer Bevölkerung. 

Mehr zum Jahrbuch in Deutsch, Französisch oder Italienisch

Im internationalen Ländervergleich ist das Vertrauen der hiesigen Bevölkerung in die Schweizer Medien nach wir vor gross, deutlich grösser als beispielsweise in den USA oder in den Ländern mit Mediensystemen, die in der Forschung als „Southern“ bezeichnet werden (z.B. Italien oder Spanien). Dies zeigt eine Regressionsanalyse, die auf Umfragedaten zur Newsnutzung in 13 Ländern basiert. Diese repräsentativen Befragungen wurden im Kontext des «Digital News Report 2016» von der University of Oxford durchgeführt. In diesem Jahr wurden erstmals mit dem fög als Kooperationspartner auch für die Schweiz Daten erhoben.

Im Vergleich dieser Länder wird also deutlich: Vertrauen ist offenbar vom grösseren gesellschaftlichen und politischen Kontext abhängig. Aber auch Faktoren auf der Individualebene spielen eine entscheidende Rolle. Signifikant hängen Mediensystemvertrauen und politische Selbstverortungen der Befragten zusammen. Je mehr die Befragten mit politischen Flügelparteien sympathisieren, desto grösser ist das Misstrauen in die Medien – bei rechts Stehenden gegenwärtig noch stärker als bei links Stehenden.

Einen ganz entscheidenden Einfluss auf das Medienvertrauen hat aber das individuelle Newsnutzungsverhalten. Wer regelmässig traditionelle Informationsmedien nutzt, entwickelt ein grösseres Vertrauen ins Mediensystem. Umgekehrt geht Vertrauen verloren, wenn die ritualisierte Nutzung professioneller Informationsmedien an Bedeutung verliert oder News überwiegend bis ausschliesslich via Social Media konsumiert werden.

Es zeigt sich zudem, dass wer häufig Nachrichten des öffentlichen Rundfunks nutzt, ein grösseres Vertrauen ins Mediensystem hat. Dieser Befund gilt sowohl im internationalen Vergleich als auch für die Schweiz. Es erstaunt deshalb nicht, dass junge Erwachsene ein besonders grosses Misstrauen ins Mediensystem äussern: In dieser Altersgruppe ist der Anteil derjenigen, die dem News-Journalismus den Rücken kehren, besonders hoch.

Medienvertrauen zahlt sich auch für die Branche aus

Ein grundlegendes Vertrauen ins Mediensystem ist nicht nur gesellschaftspolitisch bedeutsam, sondern auch für die Medienbranche selbst wichtig. Ein positives Mediensystemvertrauen erhöht nämlich bei den Nutzerinnen und Nutzern die Bereitschaft, für News zu bezahlen und auch Werbung, beispielsweise in Form von Online-Bannern, zu akzeptieren. Dies heisst letztlich, dass die Nutzung von Service-public-Angeboten, die eng mit dem Vertrauen, zusammenhängen insgesamt positive (ökonomische) Effekte auf das Mediensystem insgesamt und eben auch für private Medien hat (vgl. auch Fletcher/Kleis Nielsen 2016).

Dies ist eine wichtige Erkenntnis gerade in Zeiten, in denen der öffentliche Rundfunk politisch unter Druck steht. Trotzdem ist klar, dass die „Gratiskultur“ in der Schweiz wie auch in den Vergleichsländern ausgeprägt ist und wohl nicht so leicht zu überwinden ist. Bei der Zahlungsbereitschaft für News belegt die Schweiz im internationalen Vergleich einen Platz im Mittelfeld.

«News-Deprivierte» bilden heute die grösste Nutzergruppe überhaupt

Die zweite Studie, die an der diesjährigen Medienkonferenz vorgestellt wurde, widmet sich den Newsrepertoires der Schweizerinnen und Schweizer. Dabei zeigt sich, dass immer weniger Personen ein breites Bündel an qualitativ hochwertigen Medien nutzen. Basis der Analyse bilden Online-Interviews zum Mediennutzungsverhalten in der Schweiz, die das fög in Zusammenarbeit mit GfK Switzerland seit 2009 durchführt.

Die Analyse zeigt, dass bereits ein Drittel der Schweizer Bevölkerung zur Gruppe der so genannten «News-Deprivierten» gehört. Diese Nutzergruppe interessiert sich weit unterdurchschnittlich für professionelle Informationsangebote und wenn, dann greift sie auf qualitätsmindere Informationsangebote zurück oder konsumiert News via Social Media. Ihr Anteil stieg in den letzten Jahren um bemerkenswerte 10 Prozentpunkte von 21 Prozent (2009) auf 31 Prozent (2016). Es handelt sich hier um eine Nutzergruppe, bei denen Junge übervertreten sind: Bei den Frauen unter dreissig Jahren gehört sogar fast die Hälfte zu dieser Gruppe der "News-Deprivierten".

Legende:
Die Darstellung bildet den Anteil der Repertoiretypen an der Schweizer Wohnbevölkerung in den Jahren 2009 und 2016 ab.
Quelle: Schneider/Eisenegger (2016).
Lesebeispiel: Der Anteil der «News-Deprivierten» ist seit 2009 um beträchtliche 10 Prozentpunkte auf heute 31 % gestiegen.

Diese Form des Medienkonsums hat Auswirkungen darauf, wie die Gesellschaft und ihre Probleme wahrgenommen werden. Fragt man die Menschen, welche Themen sie beachtet haben, dann ergeben ihre Antworten folgendes Bild: «News-Deprivierte» schenken vor allem sehr punktuellen, auf die Person zielenden oder moralisch-emotional aufgeladenen Ereignissen wie Katastrophen und Skandalen viel Aufmerksamkeit. Unterdurchschnittlich beachtet werden Themen aus Politik und Wirtschaft, die längerfristige Prozesse beinhalten und die weniger emotional aufgeladen sind. Der Blick der «News-Deprivierten» auf die Welt orientiert sich am Empörenden und Bedrohlichen, das dann weniger gut eingeordnet werden kann. Es ist plausibel anzunehmen, dass dies diese Nutzergruppe für verkürzte Welterklärungen von populistischen Akteuren anfällig macht. Diese These gilt es mit weiteren Daten empirisch zu prüfen.

Normatives Qualitätsverständnis wird durch die Bevölkerung gestützt

Das Qualitätsscoring des fög, mit dem im Jahrbuch die Qualität der Medien gemessen und dargestellt wird, bescheinigt für das Jahr 2015 den Informationsangeboten des öffentlichen Rundfunks und den überregionalen, gedruckten Abonnementszeitungen auch im aktuellen Untersuchungsjahr die beste Berichterstattungsqualität. Das vom Stifterverein Medienqualität Schweiz initiierte Projekt Medienqualitätsrating (MQR-16) ermöglichte es dem fög in diesem Jahr erstmals, diese Ergebnisse aus der Inhaltsanalyse mit Publikumsbefragungen zu koppeln. Dabei zeigt sich, dass die Schweizer Bevölkerung sehr ähnliche Qualitätseinstufungen vornimmt.

Legende:
Die Darstellung zeigt auf der horizontalen Achse die Ergebnisse der Inhaltsanalyse des Medienangebots (Skala 0 bis 10) sowie auf der vertikalen Achse die Befragungsergebnisse zur Medienqualität (Skala 1 (sehr schlecht) bis 5 (sehr gut)). Die Regressionsgerade (inkl. 95 %-Konfidenzintervall) verdeutlicht die starke Korrelation zwischen Inhaltsanalyse- und Befragungsergebnissen (r = 0.77; p < 0.001) (n Beiträge: 18'365; n Befragte 1'613).
Quelle: fög 2016, S. 50.
Lesebeispiel: Der Typ der «Boulevardzeitungen» erhält in der Inhaltsanalyse einen Qualitätsscore von 4.23. In der Befragung erhält er eine durchschnittliche Bewertung von 3.18. Da der Typ der Boulevardzeitungen unter der Regressionsgeraden liegt, ist der gemessene Score für das Angebot besser als die bei den Befragten erhobene Qualitätsbeurteilung.

Das demokratietheoretische Qualitätsverständnis, das der Inhaltsanalyse des fög zugrunde liegt, wird von der Bevölkerung gestützt. Das gilt für sämtliche Befragtengruppen, auch jene der jungen Erwachsenen, die gemäss der Untersuchung im Vergleich zu den anderen Altersgruppen mehr Informationsmedien von minderer Qualität nutzen.

Nutzerinnen und Nutzer, die qualitätsmindere News konsumieren, sind sich also dessen zumindest bewusst. Die grosse Herausforderung besteht also demnach, hier anzusetzen und neue Wege zu finden, dass Nutzerinnen und Nutzer bereit sind, für guten Journalismus auch zu bezahlen. Hier werden Ansätze auf verschiedenen Ebenen – von der Medienpolitik wie Medienförderung, flexibleren Zahlungsmodellen im Online-Bereich bis hin zu deutlich mehr Medienkunde im Bildungsbereich – notwendig sein. Die Debatte hierzu sollte verstärkt geführt werden, damit auch in Zukunft die Schweiz über ein gesundes Mediensystem als wichtiger Pfeiler der (direkten) Demokratie verfügt.

Informationen zum Projekt Jahrbuch Qualität der Medien

Alle methodischen Angaben zum Jahrbuch finden sich hier.

Seit seinem erstmaligen Erscheinen im Jahr 2010 ist das Ziel des Jahrbuchs, die Diskussion über die Qualität der Medien zu vertiefen und zu einer Verbesserung ihrer Qualität beizutragen. Es bildet eine Quelle für Medienschaffende, Akteure aus Politik und Wirtschaft, für die Wissenschaft und alle Interessierten, die sich mit der Entwicklung der Medien und ihren Inhalten auseinandersetzen. Anstoss für das Jahrbuch ist die Einsicht, dass die Qualität der Demokratie von der Qualität medienvermittelter Öffentlichkeit abhängt. Durch das Jahrbuch erhält das Publikum einen Massstab, welchem Journalismus es sich aussetzen will, die Medienmacher erhalten einen Massstab, welchen Journalismus sie produzieren und verantworten wollen, und die Politik erhält Einsicht in die Entwicklung des Medienwesens und in die Ressourcen, die dem Informationsjournalismus in der Schweiz zur Verfügung stehen.

Wer zeichnet für dieses Jahrbuch verantwortlich?

Das Jahrbuch wird erarbeitet und herausgegeben durch das fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich. Neun wissenschaftliche und sieben studentische Mitarbeitende sind an der Forschung beteiligt und garantieren die Qualität der Analysen.

Wer finanziert und unterstützt dieses Jahrbuch?

Die Finanzierung des Jahrbuchs wird durch die gemeinnützige Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität und die Universität Zürich eingebracht. Der Stiftungsrat setzt sich zusammen aus: Christine Egerszegi-Obrist, Mark Eisenegger, Barbara Käch, Yves Kugelmann, Fabio Lo Verso, Dick Marty, Oswald Sigg und Peter Studer.

Die Stiftung verdankt die Mittel für das Projekt folgenden Donatoren: Adolf und Mary Mil-Stiftung, BAKOM Bundesamt für Kommunikation, Die Schweizerische Post AG, Verband Interpharma, Paul Schiller Stiftung, Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, Zürcher Kantonalbank und verschiedenen Einzeldonatoren.

Beiträge für die Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität können überwiesen werden auf die Bankverbindung: ZKB Zürich-Oerlikon – Kontonummer: 1100-1997.531 – Postkonto Bank: 80-151-4, IBAN: CH28 0070 0110 0019 9753 1, Bankenclearing-Nr. 700, SWIFT: ZKBKCHZZ80A.

Kontakt: fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich, Andreasstrasse 15, CH-8050 Zürich, Telefon: +41 44 635 21 11, E-Mail: kontakt@foeg.uzh.ch.

Wo sind das Jahrbuch, die Studien und weiterführende Informationen erhältlich?

Das Jahrbuch ist in gedruckter Form (ISBN 978-3-7965-3550-5) und zusätzlich als E-Book (ISBN 978-3-7965-3551-2) beim Schwabe Verlag erhältlich und erscheint jeweils im Herbst. Die Studien werden als separate E-Publikationen publiziert und sind ebenfalls beim Schwabe Verlag erhältlich. Pro Jahr werden ca. 2–3 solcher Studien veröffentlicht.


Referenzen

Weitere Befunde

Hauptbefunde aus dem aktuellen Jahrbuch im PDF (deutsch, français, italiano) oder als Sway

Ergebnisse der Jahrbuchkapitel «Medienstrukturen», «Medienqualität», «Presse&Web», «Rundfunk&Web», «Social Media»

Grafiken

Salim Brüggemann

Titelbild

SRF-Fernsehstudio in Zürich Leutschenbach, aufgenommen von Falk Lademann (CC-BY).