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Schweizer Föderalismus in Krisenzeiten: Stabilität durch Anpassungsfähigkeit

Philipp Trein
27th Oktober 2016

Wirtschafts- und Staatsschuldenkrisen stellen föderale Staaten vor besondere Herausforderungen. Denn im Zuge der Krisenpolitik versuchen alle Beteiligten, Vorteile auf Kosten anderer Mitgliederstaaten oder der Bundesebene herauszuschlagen. Der Schweizer Föderalismus steht im internationalen Vergleich allerdings gut da: Dank der Mischung von fiskalpolitisch autonomen Kantonen und einer stark konsensorientierten politischen Kultur kann er als besonders robust bezeichnet werden. 

Föderalstaaten unterscheiden sich von Ländern mit einem zentralisierten politischen System durch eine weitreichende Delegation politischer Kompetenz an die Mitgliedsstaaten. Beispielsweise erheben in der Schweiz die Kantone einen grossen Teil der direkten Steuern und besitzen eine Vielzahl von Kompetenzen bei der Entscheidung und im Vollzug der Politik.

In Wirtschafts-und Staatsschuldenkrisen bedarf es einer umfassenden Koordination zwischen den unterschiedlichen Ebenen, um Massnahmen gegen die Krise zu koordinieren. Dabei besteht die Gefahr von Konflikten und ineffizienten Lösungen, da die einzelnen Mitgliedsstaaten und auch die Bundesregierung versucht sind, ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen anstatt gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Föderation nach der besten Lösung für das gesamte Land zu suchen. Im schlimmsten Fall kann eine ökonomische und fiskalische Krise zu grundsätzlichen Konflikten über die föderale Ordnung führen und die Stabilität der gesamten Föderation gefährden.

Föderationen in Krisenzeiten

Als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-2009 übernahm in den meisten Föderalstaaten die Regierung auf nationaler Ebene die Führungsrolle in der Gestaltung und Verabschiedung von wirtschafts- und fiskalpolitischen Massnahmen zur Bekämpfung der Krise.

Wie unsere Forschung zeigt, beschränkte die Krisenpolitik dabei oftmals – zumindest temporär – die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten. Einerseits durch Vorschriften über die Verwendung von Zuschüssen der nationalen Regierung für die subnationale Ebene. Andererseits durch längerfristige Regulierungen, welche die Handlungsfreiheit der Mitgliedsstaaten einschränkten - etwa beim Aufnehmen eigener Schulden.

Nichtsdestotrotz konnten Mitglieder der Föderation in manchen Ländern auch neue Kompetenzen hinzugewinnen. So erhielten beispielsweise die Flämische und Wallonische Regierung neue Kompetenzen im Bereich der Steuererhebung und mehr Autonomie bei den Ausgaben.

Unterschiedliche Anreize zu sparen

Zwischen den föderalen Staaten gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede im Hinblick darauf, wie weitreichend die politische und fiskalische Autonomie der Mitglieder der Föderation geht. Dabei unterschieden wir zwei Gruppen. Einerseits Föderalstaaten mit einer dezentralisierten Fiskalpolitik, in denen die Mitgliedsstaaten einen grossen Teil ihrer Einnahmen durch eigene Steuern abdecken, wie etwa Kanada, die Schweiz und die USA. Andererseits gibt es eine Reihe von Föderationen mit einem fiskalpolitischen Regime, in welchem die Mitgliedsstaaten hauptsächlich von Transfers der Bundesregierung leben, beispielsweise Deutschland, Österreich oder Spanien.

Die Ergebnisse unserer Forschungen zeigen, dass gerade in der zweiten Gruppe die Anreize für die Mitgliedsstaaten gering sind, in Krisenzeiten den Gürtel enger zu schnallen, da die Verantwortung für die Fiskalpolitik – einschliesslich möglicher Steuererhöhungen – bei der Regierung auf nationaler Ebene liegt. Die Konsequenz davon ist, dass es in dieser Gruppe föderaler Staaten zu Konflikten zwischen der Regierung auf nationaler Ebene und den Mitgliedsstaaten kommt, welche in Verschiebungen innerhalb der föderalen Ordnung resultierten, etwa der Einführung oder Verschärfung fiskalpolitischer Regeln. Dabei wurde jedoch in keinem Land die föderale Ordnung als solche ernsthaft in Frage gestellt.

Dezentralisierte Föderationen in der Krise

Die Schweiz gehört zur Gruppe von fiskalpolitisch dezentralisierten Föderationen. In diesen Ländern erfolgte die fiskal- und wirtschaftspolitische Anpassung in Zeiten der Krise vor allem durch relative unabhängige Massnahmen auf Bundes- und Mitgliedsstaatenebene. Ähnlich wie in anderen Föderationen stellte die Regierung auf nationaler Ebene Mittel für konjunkturbelebende Massnahmen zur Verfügung. Im Gegensatz zu Föderationen mit einer starken fiskalpolitischen Verantwortung der Bundesregierung kam es in diesen Ländern jedoch zu weniger Konflikten zwischen Bund und Mitgliedsstaaten.

Dennoch brachte die Krisenpolitik Probleme innerhalb der dezentralisierten Föderationen zum Vorschein. So verweigerten beispielsweise in den USA einige Mitgliedsstaaten Bundeshilfen anzunehmen, da sie diese Mittel als unrechtmässige Transfers bezeichneten. In Kanada kürzte die Regierung auf nationaler Ebene einseitig die Zuschüsse zu den Gesundheitsausgaben der Gliedstaaten, sodass diese selbst für die Konsolidierung ihrer Budgets aufkommen mussten.

Die Schweiz in Zeiten der Krise

Ähnlich wie in Kanada und den USA erfolgte die Krisenpolitik in der Schweiz durch Massnahmen auf der Bundes- und Kantonsebene. 2008 und 2009 stellte der Bundesrat ein Massnahmenpaket zusammen, welches den Kantonen Mittel für Konjunkturprogramme bereitstellte. Die Verwendung der Gelder war freiwillig, jedoch mussten die Kantone zusätzlich zu den Bundesmitteln eigene Gelder einbringen, falls sie diese annahmen.

Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundesrat und den Kantonen gab es bezüglich der Anschlussfinanzierung der Projekte, da die Kantonsregierungen auf eine Beteiligung des Bundes bestanden. Durch Koordination in der Konferenz der Volkswirtschaftsdirektoren konnte ein Kompromiss gefunden werden. Die Einigung über die Reform des Finanzausgleichs 2015, welche zwar nicht direkt im Zusammenhang mit der Finanz-und Wirtschaftskrise 2008-2010 steht, jedoch im Kontext wirtschaftlicher Unsicherheit in Europa und der Notwendigkeit fiskalischer Kürzungen in vielen Kantonen stattfand, kam unter Mitwirken der Konferenz der Kantonsregierungen zustande.

Die Analyse der Schweizer Krisenpolitik hat im Vergleich mit anderen dezentralisierten Staaten gezeigt, dass die starke konsensorientierte politische Kultur, wie beispielsweise die Vielzahl kantonaler Regierungskonferenzen, einen wichtigen Beitrag zur Auslegung und Anpassung der föderalen Staatsordnung macht.

Dies führt dazu, dass sich der Schweizer Föderalismus in Zeiten der Krise als besonders anpassungsfähig erwiesen hat. Neben klaren fiskalpolitischen Regeln und einem ausgeprägten Steuerwettbewerb wirken konsensorientierte Institutionen als Ausgleichsmechanismus und entschärfen föderale Konflikte. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Schweiz positiv von anderen föderal aufgebauten Staaten.


Referenzen:

  • Trein, Philipp und Dietmar Braun (2016). "How Do Fiscally Decentralized Federations Fare in Times of Crisis? Insights from Switzerland." Regional & Federal Studies 26 (2): 199-220.
  • Braun, Dietmar und Philipp Trein (2014). "Federal Dynamics in Times of Economic and Financial Crisis." European Journal of Political Research 53 (4): 803-821.

Titelbild: Parlamentsdienste