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Wohlbefinden in der Schweiz: Ausgrenzung macht unzufrieden

Franziska Ehrler
24th Oktober 2016

Schweizerinnen und Schweizer sind zufrieden mit ihrem Leben, positive Gefühle überwiegen und die grosse Mehrheit empfindet ihr Dasein als sinnvoll und selbstbestimmt. Der Sozialbericht 2016 zeigt mittels detaillierten Auswertungen, wie es der Schweizer Bevölkerung im Allgemeinen und wie es einzelnen Gruppen geht.

Wenn internationale Ranglisten zu Lebensqualität und Wohlbefinden veröffentlicht werden, steht die Schweiz meistens sehr weit oben. Das individuelle Wohlbefinden ist aber vielschichtig und nicht einfach zu erfassen.

Unser Wohlbefinden gründet erstens auf einer rationalen Einschätzung unsere Lebenssituation: Wie zufrieden sind wir mit unserem Leben, unserer finanziellen, sozialen und persönlichen Situation? Zweitens sind unsere positiven und negativen Emotionen wie Freude, Glück, Ärger und Trauer wesentlicher Ausdruck unseres Wohlbefindens. Und als Drittes ist da noch die Frage nach Sinn und Wert, den wir unserem Leben zuschreiben: Erachten wir unser Leben als sinnvoll, nützlich, erfüllt und selbstbestimmt?

Generell beurteilt ist das Wohlbefinden in der Schweiz auch in dieser differenzierten Betrachtungsweise hoch.

Bildung und Arbeit: Dabei sein ist alles!

Arbeit und Bildung sind Lebensbereiche mit einem wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden. Hier zeigt sich, dass die Schweizer Bevölkerung sehr zufrieden ist mit dem Bildungssystem und auch die Zufriedenheit mit der Arbeit und den Arbeitsbedingungen ist hoch (Abbildung 1).

Abbildung 1:

Schwierige Arbeitsbedingungen wie Stress, Lärm oder Nachtarbeit schmälern die Zufriedenheit. Im Grundsatz gilt: Je höher die berufliche Position, desto höher die Zufriedenheitswerte bezüglich der Arbeit. Allerdings sind die Unterschiede eher gering.

Auf den ersten Blick scheint auch das Einkommen einen eher geringen Einfluss auf das Wohlbefinden zu haben. So sind Personen mit einem hohen Einkommen zwar zufriedener mit ihrer finanziellen Situation, weniger traurig und machen sich weniger Sorgen. Aber die allgemeine Lebenszufriedenheit von Personen mit einem hohen Einkommen ist nicht wesentlich höher und sie erleben nicht mehr Freude.

Ausgrenzung beeinträchtigt das Wohlbefinden

Eine ernsthafte Beeinträchtigung des Wohlbefindens scheint sich zu ergeben, wenn Personen Ausgrenzung erfahren, weil sie aus dem Bildungssystem oder dem Arbeitsmarkt herausfallen, oder weil die finanzielle Situation in die Armut führt.

So sind praktisch alle Schulabgänger mit einer Anschlusslösung zufrieden, auch jene, die nur eine Zwischenlösung gefunden haben (Abbildung 2). Nur bei jenen, die gar keine Anschlusslösung haben, ist eine Mehrheit unzufrieden mit der Situation. Arbeitslose und invaliditätsbedingt Pensionierte sind generell unzufriedener mit dem Leben und vor allem mit ihrer finanziellen Situation als Erwerbstätige und solche, die aus anderen Gründen den Arbeitsmarkt verlassen haben.

Abbildung 2:

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An Armut gewöhnt man sich nicht

Menschen, die in Wohlstand leben, haben im Vergleich zu Menschen in prekären Situationen eine leicht höhere allgemeine Lebenszufriedenheit und eine deutlich höhere gegenüber Menschen in Armut. Dieser Effekt verstärkt sich im biographischen Verlauf. Wer in Wohlstand lebt, hat eine konstant hohe Lebenszufriedenheit. Bei Menschen in prekären Situationen nimmt die Lebenszufriedenheit mit den Jahren leicht ab, aber nur geringfügig. Eine deutliche Reduktion der Lebenszufriedenheit ergibt sich bei Armutsbetroffenen: Sie gewöhnen sich nicht an ihre Situation.

Wohlbefinden ist wichtig

Die Ergebnisse des Sozialberichts 2016 zeigen, wie wichtig es ist, das Wohlbefinden nach einzelnen Lebensbereichen und für verschiedene Bevölkerungsgruppen zu betrachten. Wird nämlich nur die hohe durchschnittliche Zufriedenheit rapportiert, besteht die Gefahr, dass politische Innovationen ausbleiben, notwendige Reformen nicht lanciert werden und Ungleichheiten akzeptiert werden, da die Bevölkerung schliesslich zufrieden ist. Hier kann die Sozialberichterstattung einen Beitrag leisten, indem sie sozialpolitische Problematiken so vielfältig wie möglich beleuchtet und dazu gehört auch die Analyse des Wohlbefindens.

Sozialbericht 2016
Der Sozialbericht gibt anhand systematisch aufbereiteter Daten Auskunft über die aktuelle Lage und Entwicklungstendenzen in der Schweizer Gesellschaft. Der Sozialbericht erscheint seit dem Jahr 2000 alle vier Jahre und wird vom Nationalfonds unterstützt. Die Ausgabe 2016 rückt das Wohlbefinden in den Fokus. Neben 75 ausgewählten Indikatoren zu verschiedenen sozialen Themen enthält der Sozialbericht fünf analytisch orientierte Vertiefungsbeiträge, die das Wohlbefinden beleuchten. Für den Sozialbericht 2016 wurden zahlreiche, bereits bestehende, nationale und internationale Datenquellen ausgewertet. Datenquellen wurden nur genutzt, wenn sie zuverlässige Erhebungsmethoden und unverzerrte Stichproben aufwiesen.

Alle Daten und Grafiken des Berichts sowie weitere Informationen stehen unter www.sozialbericht.ch zur Verfügung. Ausgewählte Indikatoren sind ausserdem auf der Webseite des FORS zu finden.

Sozialberichte können beim Seismoverlag bestellt werden.

Hinweis: Dieser Beitrag bezieht sich auf Franziska Ehrler, Felix Bühlmann, Peter Farago, François Höpflinger, Dominique Joye, Pasqualina Perrig-Chiello und Christian Suter (Hg.). Sozialbericht 2016: Wohlbefinden. Zürich: Seismo-Verlag.


Bild: Wikimedia Commons.