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Twitter & Co: Nicht nur Waffen der Demokratisierung

Anita Gohdes
22nd September 2016

Die weltweite digitale Vernetzung wird von Wissenschaftlern, Politik und NGOs als Erfolgsgeschichte der Demokratisierung gefeiert. Millionen an Menschen sollen dadurch befreit und mobilisiert werden. Doch ist dem so? Meine Forschung zeigt, wie sich auch Regimes die Eigenheiten von Social Media zu Nutze machen, beispielsweise im anhaltenden Krieg in Syrien.

Die Aufstände der Zivilbevölkerung von Damaskus bis Kairo zeigten, dass soziale Medien das Potenzial haben, die kollektive Mobilisierung von Demonstrierenden in einer Art und Weise zu vereinfachen, wie sie bisher für unmöglich gehalten wurde.

Jede Öffnung von digitalen Kommunikationsplattformen bringt jedoch auch neue Möglichkeiten der digitalen Unterdrückung von Seiten der Regierungen mit sich. Denn mit dem steigenden Vertrauen in die demokratisierenden Eigenschaften der digitalen Vernetzung wächst die Gefahr, die von Netzwerkunterbrechungen durch Regierungen und Behörden aus geht. 

 Politischer Wandel dank digitaler Vernetzung?

Die digitale Vernetzung gilt mittlerweile als wirksames Instrument zur Beschleunigung und Stärkung des politischen Wandels und als effektive Waffe im Kampf gegen repressive Herrschaftsformen aller Art.

Diese Hoffnung teilte beispielsweise die amerikanische Regierung und bat Twitter im Jahre 2009 offiziell, geplante Wartungsarbeiten zu verschieben, um Aktivistinnen und Aktivisten während der Proteste im Iran vollen Zugang zu allen Kommunikationskanälen zu ermöglichen. Ein Berater des Nationalen Sicherheitsrats des Weissen Hauses ging sogar so weit zu behaupten, dass Twitter als „weiche Waffe“ der Demokratie einen Friedensnobelpreis erhalten sollte.

Das Internet im Zentrum des Syrienkonflikts

Zwei Jahre später, als sich zivile Aufstände wie ein Lauffeuer im gesamten Nahen Osten sowie im arabischen Maghreb verbreiteten, wurden soziale Medien zur wirksamsten Waffe dieser neuen Protestbewegung erklärt. So auch in Syrien.

Noch nie zuvor ist ein Konflikt solchen Ausmasses so stark durch die sozialen Medien begleitet und dokumentiert worden wie aktuell in Syrien. Täglich werden hunderte Ereignisse akribisch erfasst, dokumentiert und via verschiedenster Internetplattformen kommuniziert.

Tausende von YouTube-Videos halten Bilder der Toten und Verletzten in Leichenhallen, Krankenhäusern und Marktplätzen fest. Aktivistinnen und Aktivisiten nutzen Twitter und Facebook-Konten, um sich gegenseitig über die militärischen Operationen und Massaker zu informieren und eigene Aktionen zu koordinieren.

Doch auch das syrische Regime hat seine virtuelle Präsenz konsequent ausgebaut, nicht zuletzt durch seine berüchtigte Electronic Army. Das sind Hacker, die mit einer Reihe von Überwachungsprogrammen, so genannter Spyware,  gegen die eigene Bevölkerung vorgehen.

Syrische Behörden nutzen dazu unterschiedlichste Tricks. So senden sie beispielsweise unechte Sicherheitszertifikate an Facebook-Nutzer, um deren Passwörter abfangen zu können und um Zugriff auf die soziale Medienpräsenz potentieller Ziele zu erlangen. Berichten zufolge wurden Zivilisten in Verhören sogar gefoltert, um an Facebook-Passwörter zu kommen. In den letzten vier Jahren hat das syrische Regime aber vor allem in regelmässigen Abständen den Zugang zum Internet gesperrt.

Internet-Abschaltungen gehen mit Gewalt einher

Ich habe untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen Internetabschaltungen und Regimetötungen gibt. Meine Resultate zeigen, dass Internetausfälle in Syrien mit einer höheren Anzahl von Gewalttaten seitens des syrischen Regimes auftreten. Das bewusste, kurzfristige Abschalten des Internets führt zu Kommunikationsbrüchen auf Seiten der Opposition, was die Koordination von Gegenangriffen erschwert und die Position des Regimes stärkt. 

 An Tagen, an denen das Internet in Syrien  unterbrochen wird, wird signifikant mehr Regierungsgewalt ausgeübt (Abbildungen 1 und 2). Das deutet darauf hin, dass das Assad-Regime Internetausfälle in Verbindung mit grösseren repressiven Operationen gegen die Oppositionsgruppen einsetzt.

Abbildung 1:

 Grafik 1

Abbildung 2:

Grafik 2

Die Abbildungen zeigen, an welchen Tagen es zu Internetausschaltungen kam (gelb). Die schwarzen Balken stehen für die dokumentieren Tötungen pro Tag (in Hama und Rif Dimaschq). 

An Tagen, an denen das Internet blockiert ist, wurden im Durchschnitt neun Prozent mehr Menschen durch das Regime getötet, als an Tagen mit normaler Internetverbindung. Diese Berechnungen zeigen das Ausmass der Grausamkeiten, die das Assad-Regime höchstwahrscheinlich auch heute noch täglich begeht.

Eine Analyse der Dunkelziffer der Gewalt vor und während den Netzwerkstörungen zeigt ausserdem, dass es sich dabei nicht um Verdeckungsstrategien handelt – das Regime also nicht versucht, seine Gräueltaten durch Internetausschaltung zu verbergen. Vielmehr handelt es sich um militärische Aktionen, die ohne Rücksicht auf Verluste nach dem Ausschalten der Kommunikationskanäle gegen die Bevölkerung durchgeführt wurden.

Internetzensur als gefährliche neue Waffe

Die syrische Regierung ist nicht die einzige, die in regelmässigen Abständen den Internetzugang innerhalb ihrer Landesgrenzen abschaltet. Gemäss der Nichtregierungsorganisation Access Now haben 2016 bereits fünfzehn Staaten den Internetzugang ihrer Bevölkerung abgeschaltet, darunter Brasilien, Indien, Malaysia und Pakistan. Eine Untersuchung von Human Rights Watch zeigt, dass die äthiopische Regierung regelmässig vor und an wichtigen Feiertagen sowie bei geplanten Protesten das Internet ausschaltet. Aktivisten aus Pakistan berichten, dass Internetausschaltungen in ihrem Land oft unter dem Vorwand von "Terrorprävention" angeordnet werden, dabei allerdings vor allem die persönlichen Freiheitsrechte der pakistanischen Bevölkerung untergraben werden.

INFOBOX: Daten und Methoden
Diese Untersuchung nutzt eine Datenbank, die sämtliche dokumentierten Tötungen des syrischen Regimes erfasst, die zwischen März 2011 und April 2014 von den fünf wichtigsten in Syrien agierenden Menschenrechtsgruppen gemeldet wurden. Die Organisationen sind das Syrian Center for Statistics and Research (SCSR), das Syrian Network for Human Rights (SNHR), das Syrian Observatory for Human Rights (SOHR), die Internetseite Syrian Shuhada (SS) und das Violations Documentation Centre (VDC).

Teile dieser Datenbank wurden im Auftrag des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte erstellt und in einer Reihe von Reporten veröffentlicht. Da nicht alle Gewalttaten beobachtet oder gar dokumentiert werden können, bedient sich die Arbeit der multiple-recapture estimation Methode, um die schwankende Dunkelziffer der nicht gemeldeten Tötungen zu schätzen. Hierbei werden die Überschneidungen zwischen den verschiedenen Quellen verwendet, um den Dokumentationsprozess statistisch zu modellieren und für jede Region in Syrien sowie jeden Zeitpunkt die Zahl der nicht dokumentierten Todesfälle akkurat vorherzusagen. Um auszuschliessen, dass der Zusammenhang zwischen Internetausschaltungen und erhöhter Gewalt zufällig ist, wird die Robustheit der Ergebnisse mit einem sogenannten Placebotests überprüft. Dazu werden zeitlich verschobene Placeboevents erstellt und getestet, ob diese Placebos den gleichen Effekt haben. Die Tests zeigen, dass der Effekt zwischen Internetausschaltungen und erhöhter Gewalt robust ist.


Referenzen: 

  • Gohdes, Anita. 2015. "Pulling the plug: Network disruptions and violence in civil conflict", Journal of Peace Research, 52(3): 352-367
  • Price, Megan, Anita R. Gohdes and Patrick Ball. 2014. "Updated Statistical Analysis of Documentation of Killings in the Syrian Arab Republic." Report commissioned by the Office of the UN High Commissioner for Human Rights.

Titelbild: DeFacto