Am offenen Herzen der Gesellschaft forschen
Lea Stahel
28th July 2016
Ulrike Klinger erforscht die politische Kommunikation auf Social Media. Nicht nur wir Normalbürger informieren uns über Twitter, teilen Persönliches auf Facebook und vertrauen Tinder-Algorithmen unsere Partnerwahl an. Auch Politiker haben Social Media entdeckt und nutzen sie fleissig. Allerdings nicht ganz so erfolgreich wie sie möchten. Weshalb das so ist, dem geht die Publizistikwissenschaftlerin der Universität Zürich (IPMZ) nach.
Ein Bob gegen Bots
Ulrike Klingers schwarzer Bob ist so gradlinig wie ihr Kommunikationsstil und zugleich so peppig wie ihre futuristisch klingenden Forschungsthemen. Sie spricht über die digitale Welt – und unbefangene Neugier sprüht aus ihr. Dabei wird auch sie bisweilen von digitalen Geistern wie z.B. Bots in die Irre geführt.
«Das Ausmass von Bots in der politischen Kommunikation scheint mittlerweile erschreckend hoch. Auch für Forschende sind die Zeiten der einfachen Auszählung von Followern und Kommentaren vorbei.»
Ulrike Klinger, Medienforscherin
Ein Viertel von Donald Trumps Social-Media-„Fans” sind Kommentarmaschinen und keine Menschen (Woolley&Howard 2016). Diese Bots erhöhen künstlich die Onlinepopularität eines politischen Akteurs. Öffentlichkeit und Wähler können somit leicht getäuscht werden – und dies erst noch kostengünstig. Sie erweitern damit das Repertoire an möglichen Manipulationen wie beispielsweise möglichst viele Facebook-Freunde aus Osteuropa zu kaufen oder ein Schreiber-Heer für schmeichelnde Kommentare zu bezahlen.
Experimentierfreudige Schweizer Politiker
Aktuell erforscht Ulrike Klinger, wie Schweizer Politiker und Parteien soziale Medien wie Facebook oder Twitter nutzen. Politiker und Parteien glauben zwar an den Ertrag dank Social Media, doch bislang setzen sie sie noch nicht ideal ein.
Nichtsdestotrotz ist von der Lokalpolitik bis ins Bundeshaus das Interesse an Social Media gross. Theoretisch könne man über Social Media besser mit Wählern kommunizieren, mehr Stimmen gewinnen und dem Volk in Eigenregie sein gewünschtes Profil vermitteln.
Die Realität ist jedoch ernüchternd. Zwar nutzen alle Parteien und eine grosse Mehrheit der Parlamentsmitglieder Social Media, jedoch erreichen sie damit nur wenige Wähler, von Interaktionen mit ihnen ganz zu schweigen (Klinger 2013). Ausserdem bleiben Machtunterschiede im digitalen Raum unverändert bestehen. So haben beispielsweise mächtige Parteien im Gegensatz zu kleinen Nischenparteien nicht nur offline viel mehr Wählerstimmen, sondern akkumulieren auch online viel mehr Facebook-Friends und Likes.
Drei Gründe, warum soziale Medien die Schweizer Politlandschaft nicht auf den Kopf stellen
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Erstens hängt es auch vom politischen System ab, ob sich der Einsatz sozialer Medien für Politikerinnen und Politiker auszahlt. Und das politische System der Schweiz belohnt die Social-Media Präsenz von Politikern kaum, findet Klinger. Der Kantönligeist lässt Politiker oft nur im Heimatkanton populär sein – kantonsübergreifende Popularität ist weder besonders erwünscht noch vorgesehen. Ausserdem sind im konsensorientierten System der Schweiz Wahlkämpfe weniger wichtig als beispielsweise in den USA.
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Zweitens nutzen Politiker soziale Medien zur einseitigen Informationsverbreitung statt sich interaktiv mit Wählern auseinanderzusetzen (Klinger & Svensson, 2014). Die strategische Kommunikation über etablierte, klassische Medien wie Zeitungen lässt sich aber nicht ins digitale Zeitalter übertragen.
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Drittens posaunt der Schweizer Wähler seine politische Meinung ungern in die sozialen Medien. Es entspräche nicht der hiesigen politischen Kultur, sich mit Likes zu SP, SVP oder anderen Parteien zu outen, so Klinger.
In der aktuellen Präsidentschaftsvorwahl kam beispielsweise sogar die Dating-Plattform Tinder zum Zug: Weibliche Unterstützer des Kandidaten Sanders hatten über Tinder statt Liebesanfragen Wahlpropaganda verschickt. Social Media durchdringt also zunehmend unseren politischen Alltag.
Gefahren oder Chancen für die Politik durch Social Media?
Eine weitere, laut Klinger besorgniserregende Entwicklung der politischen Kommunikation, ist Data Mining. Data Mining bedeutet, dass die Spuren, die jede und jeder beim Surfen im Internet hinterlässt, so zusammengeführt werden, dass daraus ein personalisiertes Wählerprofil erstellt werden kann.
Das heisst, dass politische Werbung immer weniger alleine auf Grund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (beispielsweise Frauen, Landwirte oder Stadtbewohner) verschickt wird, sondern immer mehr auf digitale Datenspuren zugeschnitten wird.
Einerseits bringt diese erhöhte Transparenz die Gefahr, dass die Privatsphäre zunehmend verletzt wird. Andererseits ist auch das Risiko für Diskriminierung hoch. Denn frühere Verhaltensmuster einer Person werden von einem Algorithmus dafür benutzt, zukünftiges Verhalten vorauszusagen. Die Folge ist, dass man nur noch mit bestimmten Ausschnitten politischer Werbung konfrontiert wird, die perfekt auf die eigenen vergangenen Präferenzen zugeschnitten sind. Andere Positionen werden einem vorenthalten. Somit wird die Vorhersage zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Die Digitalisierung der politischen Kommunikation hat aber auch gute Seiten, bemerkt Klinger: “Durch Social Media bekommen mehr Leute etwas von Politik mit, obwohl sie gar nicht danach suchen”. Social-Media-Kommentare versorgen einen auch mit Informationen ausserhalb der regulären sozialen Kreise. Auf Facebook zu sehen, dass der alte Schulfreund nun an Verschwörungstheorien glaubt, kann zwar erschrecken – bietet aber auch eine alternative Weltsicht, meint Klinger.
Ordnung im Social Media-Gewirr finden
Wie analysieren Forscherinnen und Forscher wie Ulrike Klinger die gesellschaftlichen Herausforderungen, die Social Media mit sich bringen? Im Wirrwarr ständig neuer Plattformen und Hypes die Konstante finden, das treibe sie an, sagt Klinger. Einerseits nehme sie eine Vogelperspektive auf das bewegliche Forschungsobjekt der digitalen Welt ein, andererseits wolle sie die Logik konkreter Verfahren verstehen.
Algorithmen beispielsweise treffen tagtäglich eine Unmenge an Entscheidungen, reproduzieren aber auch gleichzeitig bestimmte Normen, Werte und Geschäftsmodelle. Um diese Logiken transparent zu machen, bedarf es Forschung „am offenen Herzen der Gesellschaft“ wie es Klinger ausdrückt. Um Einfluss auf die Gestaltung der sich rasch ändernden, digitalen Welt und seine Algorithmen zu nehmen, sollte Forschung im Hier und Jetzt erfolgen – und nicht erst im Rückblick in hundert Jahren, wenn der Zug für jegliche Einflussnahme längst abgefahren ist.
Quellen:
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Klinger, Ulrike (2013). Mastering the art of social media. Information, Communication & Society, 16(5): 717–736.
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Klinger, Ulrike & Svensson, Jakob (2014). Vernetzung als Problem: Social Media in der Politik. Digitales, Publiziert am 16. Dezember 2014.
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Woolley, Samuel & Howard, Phil (2016). Bots unite to automate the presidential election. Wired magazine. 05/2016.