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Wenn der politische Gegner zum Teufel wird, hat dies Konsequenzen auf die Politik

Manuel Fischer, Karin Ingold, Pascal Sciarini, Frédéric Varone
26th Juli 2016

Die Schweiz gilt als das Paradebeispiel einer Konsensdemokratie. Doch unser politisches System ist konfliktreicher geworden. Das hat Folgen: Wird der politische Gegner als "Teufel" gebrandmarkt, beschädigt dies das Vertrauen zwischen den einzelnen Akteuren. Kompromisse werden zunehmend schwieriger. 

Die Schweizer Politik war lange Zeit durch die starke Problemlösungsbereitschaft, die ausgeprägte Machtaufteilung und das hohe Vertrauen zwischen den Akteuren geprägt. Das erleichterte das Finden von Kompromissen zwischen unterschiedlichen Partnern.

Die Verteufelung des Gegners bleibt nicht folgenlos 

Diese grosse Verhandlungs- und Lernbereitschaft sowie die Suche nach effizienten politischen Lösungen wird jedoch auch in unserem politischen System erschwert, wenn zwischen den verschiedenen Akteuren ein starker Konflikt herrscht und unausgeglichene Machverhältnisse die Auseinandersetzung beeinflussen. Es besteht in diesem Fall die Gefahr, dass politische Prozess zu einer Verteufelung des Gegner führen, was die Kompromissfähigkeit und das Vertrauen zwischen den Akteuren längerfristig schädigt.

Infobox: Theorie der Verteufelung des politischen Gegners
Die Idee, dass sich politische Akteure gegenseitig verteufeln und so ihren Konflikt unabhängig von inhaltlichen Positionen über die Zeit verstärken, basiert auf Argumenten aus der sozio-psychologischen Verhaltensforschung und kognitiven Theorien. Diese gehen davon aus, dass Akteure grundsätzlich Mühe haben, andere Akteure, und vor allem ihre Gegner, einzuschätzen. Dieselben objektiven Informationen werden von Akteuren unterschiedlich aufgefasst und verwertet. Während Informationen, welche bestehende Auffassungen und Bilder bestätigen, verstärkt aufgenommen werden, haben Informationen, welche bestehenden Auffassungen und Bildern widersprechen, kaum einen Einfluss auf Akteure (Sabatier et al. 1987).

Die Verteufelung und die darauf folgende Negativspirale sind auf die Unfähigkeit von Akteuren, ihre Gegner richtig einzuschätzen, zurückzuführen (siehe Indobox 1). Dies gilt sowohl für die Einschätzung des Konfliktes mit Gegnern, als auch für die Einschätzung deren Einflusses.

Konflikte mit dem politischen Gegner - das heisst Differenzen bezüglich angestrebter Politiklösungen - werden systematisch überschätzt. Dies, weil es für Akteure einfacher ist, eine durch's Band negative Auffassung des politischen Gegners zu haben.

«Konflikte mit dem politischen Gegner werden systematisch überschätzt.»

Manuel Fischer, Karin Ingold, Pascal Sciarini, Frédéric Varone

Der Einfluss des Gegners im Entscheidungsprozess wird deshalb überschätzt, weil Akteure Niederlagen stärker empfinden als Erfolge. Frühere politische Niederlagen verstärken also das Gefühl der Übermacht des Gegners, während eigene Erfolge dieses Bild nur wenig korrigieren können.

Das Phänomen der Verteufelung des politischen Gegners ist grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen zu beobachten. Es kann zwischen einzelnen Parlamentsmitgliedern, zwischen Parteien und Verbänden im Politikprozess oder auch zwischen Staaten in internationalen Beziehungen auftreten.

Verteufelung in der Schweizer Politik

Für unsere Untersuchung haben wir uns auf Organisationen in neun Schweizer Politikprozessen zu Beginn des 21. Jahrhunderts konzentriert und versucht aufzuzeigen, inwiefern das Phänomen der Verteufelung in der Schweizer Politik die Entscheidungsfindung erschweren könnte. Wir haben dafür jeweils die „subjektive“ Einschätzung eines Akteures über seinen Konflikt mit dem Gegner sowie dessen Macht mit einer eher „objektiven“ Einschätzung verglichen. Letztere wurde basierend auf inhaltlichen Divergenzen (Konflikt) und der Gesamteinschätzung aller Akteure (Einfluss) erhoben.

Infobox: Forschungsprojekt und Methode
Die Analyse war Teil des Forschungsprojektes „The Swiss decision-making system in the 21th century: power, institutions, conflicts.”: Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojektes haben Pascal Sciarini und Manuel Fischer zusammen mit Denise Traber die elf wichtigsten Entscheidungsprozesse zu Beginn des 21. Jahrhunderts untersucht. Laut einer breiten Expertenumfrage waren folgende Entscheidungsprozesse die wichtigsten zwischen 2001 und 2006: 11. AHV-Revision, Verfassungsartikel Bildung, Kernenergiegesetz, Infrastrukturfonds, Neuer Finanzausgleich, Neues Ausländergesetz, Entlastungsprogramm 2003, Revision Fernmeldegesetz, Bilaterales Abkommen Schengen-Dublin, Bilaterales Abkommen Zinsbesteuerung, Erweiterung Personenfreizügigkeit.

Die Untersuchungen im Projekt basieren auf 251 Interviews mit Vertretern der Verwaltung, Parteien, Interessengruppen, Kantonen und der Wissenschaft. Zwei sehr konsensuelle Prozesse (Bildungsreform, Zinsbesteuerung) wurden für die Untersuchung der Verteufelung nicht einbezogen, weshalb diese auf nur neun Prozessen beruht. Ein Buch, welches aufgrund der Projekterkenntnisse den Zustand des politischen Systems der Schweiz diskutiert, ist letztes Jahr erschienen (Sciarini et al. 2015).

Unsere Resultate zeigen, dass Akteure sich gegenseitig vor allem bezüglich des Konflikts (im Gegensatz zum Einfluss) verteufeln, und dass dies vor allem in gewissen Politikprozessen der Fall ist. Tabelle 1 zeigt Durchschnittswerte aller Akteure bezüglich ihrer Einschätzung der Gegner und gibt Hinweise auf die Prozesse, bei denen Verteufelung eher präsent war.

Der politische Einfluss der Gegner wird im Durchschnitt in keinem der neun Prozesse überschätzt, in dreien unterschätzen die Akteure ihre Gegner gar. Hingegen wird der Konflikt mit dem Gegner in sieben von neun Prozessen im Durchschnitt überschätzt. Die Verteufelung der Gegner findet also in der Schweiz vor allem in Bezug auf den Konflikt statt.

Abbildung 1:

Graph 1

In der Schweiz werden vor allem Parteien verteufelt

In einem zweiten Analyseschritt haben wir die Resultate nicht auf Prozessebene aggregiert, sondern einer statistischen Analyse auf Akteursebene unterzogen. Dabei zeigt sich, dass vor allem Parteien unter einer Verteufelung leiden; ihr Einfluss wird von Gegnern systematisch überschätzt. Politische Akteure überschätzen ihren Konflikt mit Interessengruppen und Parteien, allerdings nicht mit der Verwaltung. Zudem wird der Konflikt mit einflussreichen Akteuren generell überschätzt. Schlussendlich zeigt sich, dass vor allem Politikprozesse mit sozio-ökonomischen Konfliktlinien (im Gegensatz zu öffnungspolitischen Konfliktlinien) vom Phänomen der Verteufelung betroffen sind.

Diese Resultate beleuchten ein wenig bekanntes, aber potentiell wichtiges Phänomens in der Schweizer Politik. Unser traditionell konsens-basiertes politisches System ist konfliktreicher geworden (siehe Sciarini et al. 2015). Aufgrund psychologischer Mechanismen und verfälschten Auffassungen des Gegners können sich Konflikte verstärken und Konfliktlinien verhärten. Die Gefahr der Verteufelung etwas abschwächen dürfte die Tatsache, dass Konfliktlinien in der Schweizer Politik nicht in allen Bereichen gleich verlaufen.

Hinweis: Dieser Beitrag bezieht sich auf Fischer, Manuel, Karin Ingold, Pascal Sciarini und Frédéric Varone (2016). Dealing with bad guys: actor- and process-level determinants of the "devil shift" in policy making. Journal of Public Policy 36(2). 


Titelbild: Parlamentsdienste 3003 Bern