1

Ich, der Troll: Wieso Online-Hasser gerne ihren vollen Namen nennen

Lea Stahel
30th Juni 2016

Hass-Stürme in den sozialen Medien gehören mittlerweile zum digitalen Alltag. Schuld daran sei die Anonymität im Internet, wird oft moniert. Dass ein Anonymitätsverbot die gefürchteten Hass-Stürme allerdings nicht verhindern, sondern gar anheizen könnte, legt eine Studie der Universität Zürich nahe.

«Scheisskorrupter Staat!», «Bestechliches Gesindel!», «Tu uns den Gefallen und stirb!»: 832 Kommentare, 4211 Likes. Markus A. überfliegt spätabends die Kommentarflut auf der Social-Media-Seite eines bekannten Politikers. Der Politiker war wegen Korruptionsverdacht in Ungnade gefallen. Markus A. konnte diesen Politiker noch nie leiden. Also beginnt auch Markus A. seinen Hass in die Tastatur zu hämmern - unter seinem vollen Namen.

Online-Hasser verzichten auf Anonymität

Dass nicht-anonyme Hasser wie Markus A. zunehmend die Regel statt die Ausnahme sind, legt eine Studie der Universität Zürich nahe. Entgegen weitverbreiteter Annahmen fanden Rost, Stahel & Frey (2016), dass Online-Hasser, d.h. beleidigende, schimpfende, oder abwertende Social-Media-Kommentierer, oft nicht anonym sind - sogar öfters als friedliche Kommentierer. Dass sich Online-Hasser zunehmend nicht um Anonymität scheren, beobachten unlängst auch besorgte Medienschaffende, wie z.B. die deutsche Moderatorin Anja Reschke (2015). Nicht-anonymes Hassen wird zunehmend salonfähig.

Das ist eine schlechte Nachricht für Online-Newsportale, die im Bestreben nach einer zivilisierten Diskussionskultur ihre Kommentarspalten entanonymisieren. Oder für Staaten wie Südkorea, die Identifikationszwänge auf populären Plattformen einführen, um ihre Bürger zu Friedfertigkeit zu erziehen. Summa summarum erteilen die Befunde der Zürcher Forscher eine Absage an die immer lauter brodelnden Rufe nach mehr Überwachung und Totalabschaffung von Anonymität im Internet.

Hass-Stürme als digitale Fata Morganas

Doch wieso sollten wir uns überhaupt mit Online-Hassern und ihren Stürmen befassen - unabhängig von deren Identifizierbarkeit? Hass-Stürme im Internet sind besonders sichtbar: nicht, weil sie eine öffentlichen Meinung repräsentativ abbilden, sondern lediglich wegen ihrer aggressiven Methoden. Sie gleichen mittlerweile modernen Hexenjagden, die plötzlich über Politikerinnen und Politiker, Unternehmen, in der Öffentlichkeit stehende Personen, aber auch über Flüchtlinge, Menschen bestimmter Nationalitäten oder soziale Benachteiligte hinwegfegen.

Hass-Stürme flachen zwar meistens genauso rasant ab wie sie aufkommen – ihre Wucht ist jedoch nicht zu unterschätzen. Einerseits vermögen sie breite Aufmerksamkeit auf relevante, aber ignorierte Themen zu lenken. Andererseits zerstören sie in wenig Zeit Menschen und Reputationen öffentlich – ob gerechtfertigt oder nicht, fragt meist niemand.

Hass-Stürme können uns im Sinne einer digitalen Fata Morgana auch Macht oder gar Legitimation vortäuschen, die gar nicht da ist. Seien es dauerkommentierende Überzeugungstäter, politische Randgruppen oder sogenannte Social Bots, d.h. programmierte Maschinen, die in Online-Portalen als vorgetäuschte „Menschen“ Propaganda verbreiten: sie können Hass-Stürme initiieren oder Diskussionen an sich reissen. Ihre Dominanz entspringt oft bloss ihrer Aggressivität. Diese überproportionale Sichtbarkeit wird wiederum verstärkt, sobald klassische Medien auf Hass-Stürme aufmerksam werden und anfangen, darüber zu berichten.

Im Kampf gegen Hass-Stürme wird gemeinhin die Anonymität zum Sündenbock gemacht, was nicht überraschend ist. In der Wissenschaft finden sich genug Erklärungen, wieso Personen unter Anonymität ihren Aggressionen freien Lauf lassen: weil Anonymität bei offensichtlich unrechten Taten enthemmt, weil Menschen ihre Selbstverantwortung abstreifen können oder auch weil Anonymität vor unmittelbarer Rache schützt. Die Frage lautet also: Wieso verzichten viele Online-Hasser trotzdem auf ihre Anonymität?

Nicht-anonyme Online-Hasser sind glaubwürdiger und beliebter

Erstens halten es Online-Hasser schlicht nicht für nötig, anonym zu sein. Wieso sollte man sich im Einsatz für eine gerechte Sache hinter Anonymität verstecken? Anstatt rein persönlicher Racheakte sind Hass-Kommentare oft Reaktionen auf Verletzungen einer sozialen Norm, d.h. Verstösse gegen sozial erwünschtes oder erwartetes Verhalten wie politische Korrektheit, Einhaltung von Umweltstandards oder Plagiatsnormen.

Der Hassende kann seinen Protest als moralische Pflicht rechtfertigen, da es der Angegriffene "ja verdient hätte“. Darüber hinaus kann der Online-Hasser davon ausgehen, dass er für sein aggressives Verhalten nicht sanktioniert wird, denn wieso sollte ein viel beschäftigter Politiker gerade ihn verklagen, wenn sich doch eine ganze Flut von Beleidigungen auf ihn gestürzt hat?

Zweitens zahlt es sich für Online-Hasser aus, nicht anonym zu sein. Nicht anonyme Online-Hasser können zum einen die Mitmenschen in ihren Netzwerken leichter überzeugen und mobilisieren, wenn sie mit ihrem richtigen Namen auftreten. Dadurch signalisieren sie, dass sie bereit sind, Risiken einzugehen, um ihre Wahrheit in die Welt hinauszuposaunen und erarbeiten sich so einen Vertrauensbonus. Zum andern können nicht anonyme Hasser im günstigsten Fall ihren sozialen Status erhöhen. In digitalen sozialen Netzwerken wie Facebook schwimmen wir nämlich oft in sozialen Blasen, d.h. „Freundeskreisen“, in denen unsere Meinungen grösstenteils widerhallen. Kritisiert man einen gemeinsamen Feind, sind unterstützende Likes garantiert.

Verbot von Anonymität verhindert Hass-Stürme nicht

Online Hasser in Empörungsstürmen haben also ausreichend Anlass, unter eigenem Namen zu hassen. Die Abschaffung der Anonymität führt darum nicht automatisch zum Verschwinden von Hass-Stürmen – sondern möglicherweise gar zu einer Zunahme. 

Methode und Analyse
Die Soziologinnen Katja Rost und Lea Stahel und der Ökonom Bruno S. Frey analysieren in ihrer Studie 532'197 sozial-politische Kommentare aus 1'612 online Petitionen einer deutschen Petitionsplattform (https://www.openpetition.de/). Die Kommentare wurden zwischen 2010 und 2013 zu unterschiedlichen Themen im Bereich Wirtschaft, Politik, Umweltschutz, etc. abgegeben. Online-Hasser wurden über automatische Auszählungen von Beleidigungen, Schimpfwörtern oder Abwertungen in Kommentaren gemessen. Anschliessend wurde mit statistischen Regressions-Methoden überprüft, ob Online-Hasser häufiger anonym oder nicht anonym auftreten als ihre friedlichen Mitkommentierer.

Hinweis: Dieser Beitrag bezieht sich auf Katja Rost, Lea Stahel & Bruno S. Frey (2016). Digital Social Norm Enforcement: Online Firestorms in Social Media. PLoS ONE, 11(6).


Quellen

Foto: Flickr.