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Wie Bundesräte ihr Vokabular ändern

Robin Gut
23rd Juni 2016

Von Bundesrätinnen und Bundesräten wird gemeinhin erwartet, dass sie sich ein Stück weit von ihren Parteien emanzipieren und kollegial die Gesamtinteressen der Regierung vertreten. Ob und in welchem Ausmass dies tatsächlich der Fall ist, wird in den Medien immer wieder kontrovers diskutiert. Verändert sich die Wortwahl von National- und Ständeräten, wenn sie zu Bundesräten werden? Vertreten sie tatsächlich die Interessen der Gesamtregierung? Wie diese Untersuchung zeigt, verwandeln sich parteiorientierte National- und Ständeräte tatsächlich in auf ihr Gebiet spezialisierte Bundesräte.

Ein Grossteil der Bundesrätinnen und Bundesräte der letzten vier Legislaturperioden rekrutierte sich aus dem nationalen Parlament. So wurden aus dem National- und dem Ständerat seit 1999 je eine Frau und vier Männer in den Bundesrat gewählt. Nur die drei Bundesrätinnen Ruth Metzler, Micheline Calmy-Rey und Eveline Widmer-Schlumpf hatten nie einen Sitz in der nationalen Legislative inne, sondern entstammten ihrer jeweiligen Kantonsregierung.

Abbildung 1:

Stammrat

Sämtliche im Schweizer Parlament seit 1995 gehaltenen Reden sind im Volltext auf der Datenbank Curia Vista (Schweizerische Eidgenossenschaft 2016b) abrufbar. Die Datenbank dieser Parlamentsreden ermöglicht es, sowohl die redegewandten, als auch die eher zurückhaltenden Magistraten zu identifizieren und Unterschiede in der Häufigkeit der Wortmeldungen herausarbeiten. Ebenfalls lässt sich durch eine Textanalyse dieser Rohdaten die Veränderung der Wortwahl von Legislativ- und Exekutivpolitikern zu untersuchen.

Forscher Alain Berset – zurückhaltender Ueli Maurer

Die obigen Magistraten haben sich mit höchst unterschiedlicher Frequenz zu Wort gemeldet. Während sich SVP Nationalrat Ueli Maurer nur 92 Mal zu Wort meldete, tat dies Ständerat Alain Berset insgesamt 873 Mal. Auch wenn man berücksichtigt, dass Ständerätinnen und Ständeräte aufgrund ihrer kleineren Zahl öfters zu Wort kommen, ist dieser Unterschied immer noch frappant. Mit 2392 Wortmeldungen ist im Bundesrat Doris Leuthard die absolute Spitzenreiterin,. Auch hier ist Ueli Maurer mit nur 633 Beiträgen das klare Schlusslicht.

Abbildung 2:

Wortmeldungen

Berücksichtigt man die unterschiedliche Amtsdauer von Bundesräten und vergleicht den Mittelwert der Wortmeldungen pro Session, so bleiben die Unterschiede bestehen. Alain Berset ist nach wie vor mit 24.9 Wortmeldungen pro Session im Ständerat vorne. Im Bundesrat jedoch übernimmt Christoph Blocher die Führungsposition mit 72.7 Wortmeldungen pro Session. Bundesrat Blocher kam also in seiner kurzen Amtszeit von vier Jahren auf deutlich mehr Beiträge pro Session als Bundesrätin Leuthard in ihren bisher neun Jahren. Auch wenn man für die Anzahl Sessionen kontrolliert, bleibt Ueli Maurer derjenige Magistrat mit den wenigsten Wortmeldungen, sowohl als Legislativ- als auch als Exekutivpolitiker.

Über alles gesehen besteht jedoch kein starker Zusammenhang zwischen der Anzahl der Wortmeldungen in der Legislative und derjenigen in der Exekutive.

Abbildung 3:

Wortmeldungen

«Le langage politique» – gleich bleibende Wortwahl

Die detaillierten Daten der Curia Vista Datenbank (Schweizerische Eidgenossenschaft 2016b) ermöglicht es auch, die Wortwahl der zehn Magistraten vor und nach der Wahl in den Bundesrat zu analysieren.

Vergleicht man die am häufigsten verwendeten 50 Wörter vor und nach der Wahl, so sieht man, dass das Vokabular im grossen und ganzen gleich geblieben ist.

Der Eigenbezug innerhalb des politischen Systems ist hoch. Die Frequenz von Wörtern wie «Bundesrat», «Kommission», «conseil fédéral», etc. zeigt, dass in den Reden viele Selbstreferenzen bestehen.

Abbildung 4:

Wordcloud

Treue Parteiexponenten vs. unabhängige Magistraten

Am interessantesten ist die Differenzierung zwischen den einzelnen Persönlichkeiten. Schaut man die oft vor der Wahl und selten nach der Wahl verwendeten Wörter an, so erkennt man einen klaren Parteibezug der einzelnen Politiker.

So nimmt z.B. SP Ständerat Alain Berset Bezug auf seine Partei- und Ratskollegin Simonetta Sommaruga, während die beiden CVP Exponenten oft explizit ihre eigene Partei erwähnen. Bei der FDP sticht Nationalrat Johann Schneider-Ammann heraus, welcher sehr oft Bezug auf die FDP Fraktion nimmt. Ständerat Hans-Rudolf Merz auf der anderen Seite bezieht sich des Öfteren auf seine Heimat Appenzell. Lediglich bei den SVP Vertretern lassen sich keine Referenzen zur Partei ausmachen. Hier fällt jedoch das starke Gewicht von wirtschaftspolitischen Themen auf.

Abbildung 5:

Legislative

Schaut man die selten vor der Wahl und oft nach der Wahl verwendeten Wörter an, so ergibt sich ein komplett anderes Bild. Verglichen mit den Reden in der Legislative weisen die Bundesräte jetzt eine gewisse «déformation professionelle» auf. Ohne jegliche Vorkenntnisse lässt sich anhand der verwendeten Wörter die ungefähre Zuständigkeit jedes Magistraten erkennen:

Abbildung 6:

Exekutive

Innenminister Alain Bersets Vokabular hat sich sehr auf den Gesundheitssektor ausgerichtet, während für Parteikollegin Simonetta Sommaruga das Asylwesen von grosser Bedeutung zu sein scheint. Die Wortwahl des ehemaligen EJPD Vorstehers Christoph Blocher veränderte sich von der Wirtschaftspolitik hin zum Justiz-Jargon. Die beiden anderen SVP Exponenten Ueli Maurer und Samuel Schmid sind klar als VBS Vorsteher zu erkennen. Der Einfluss des UVEK ist bei Doris Leuthard klar zu erkennen, während bei Didier Burkhalter die Erfahrung als Aussenminister im Vordergrund steht. Bei Hans-Rudolf Merz und Johann Schneider-Ammann zeigt sich das Vokabular, welches sie sich als Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements angeeignet haben.

Am wenigsten klar ist die Zuordnung bei Joseph Deiss, welcher jedoch auch zwei verschiedene Departemente geführt und zudem seine Reden auf Deutsch und auf Französisch gehalten hat.

Betreiben Bundesräte auch Parteipolitik?

Diese Analyse zeigt, dass sich Politikerinnen und Politiker sowohl in der Legislative als auch in der Exekutive in höchst unterschiedlichem Masse einbringen. Dabei sind Reden im Parlament nur ein Instrument unter vielen und die Wahl einer bestimmten Arena bringt wohl ein Stück weit auch die Wahl des Inhaltes mit sich.

Es zeigt sich, dass die Wortwahl von Parlamentariern und Bundesräten im Durchschnitt relativ ähnlich ist. Der Selbstbezug und der Bezug auf das politische System bleibt in beiden Fällen gross.

Differenziert man hingegen zwischen einzelnen Persönlichkeiten, so zeigt sich, dass zuvor eher parteipolitisch orientierte Äusserungen einer vermehrten Ausrichtung innerhalb des jeweiligen Departements gewichen sind. Dies stützt ein Stück weit die These, dass sich Bundesrätinnen und Bundesräte mehr auf ihr Amt und weniger auf die Parteipolitik konzentrieren. Zumindest zeigt die veränderte Wortwahl der Magistraten, dass sie für die Parteipolitik andere Foren wählen als offizielle Reden im Schweizer Parlament.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 17. April auf dem Datenjournalismus-Blog des IPZ.  


Titelbild: Flickr