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Die missglückte Demokratisierung von Lesotho — der „Schweiz Afrikas“

Jonathan van Eerd
25th April 2016

Nach dem Fall der Berliner Mauer erfasste die Welle der Demokratisierung viele Länder südlich der Sahara, darunter auch Lesotho, das kleines Königreich in den Bergen im südlichen Afrika. Lesotho gilt mittlerweile vielen als vollständige Demokratie. Doch meine Studie zeigt ein differenziertes Bild. 

Das Königreich Lesotho im südlichen Afrika wird gerne die „Schweiz Afrikas“ genannt. Es ist ein kleines Land, gebirgig und ressourcenarm. Während die Schweiz aber zu den reichsten Ländern der Welt gehört, findet man Lesotho am anderen Ende der entsprechenden Rangliste.

INFOBOX: Lesotho

Lesotho ist 30'000 km² gross, rund 10'000 km² kleiner als die Schweiz. Die einzigen Ressourcen sind Wasser und wenige Diamantenminen. Das Land ist komplett von der Regionalmacht Südafrika umgeben, so wie die Schweiz ihrerseits von der Europäischen Union.

Formell ist das Land seit seiner Unabhängigkeit von Grossbritannien im Jahre 1966 eine parlamentarische Monarchie mit einem demokratisch gewählten Parlament, Ministerpräsidenten und einem mit mehrheitlich rein repräsentativen Aufgaben befassten König.

In seiner noch jungen Geschichte erlebte Lesotho einen Mix aus Demokratie, autoritärer Einparteienherrschaft und verschiedenen Militärregierungen. Doch bislang konnte kein Regime das Land aus seiner Armut und ökonomischer Abhängigkeit vom grossen Nachbar Südafrika befreien. 

 Wind der Demokratisierung

Nach dem Ende des Kalten Krieges waren die Hoffnungen gross. 1993 fegte der Wind der Demokratisierung neben vielen anderen autoritären afrikanischen Regimen südlich der Sahara auch das damals herrschende Militärregime in Lesotho weg. Dieser Wandel ist auch der westlichen Entwicklungshilfe der 1990er-Jahre zu verdanken, die mit dem Wegfall der sowjetischen Konkurrenz um Einfluss in Afrika ihre Hilfe nun erstmals effektiv an Konditionen wie freie Wahlen und Menschenrechte knüpfen konnte. Vorher unterstützte der Westen despotische afrikanische Regimes wie das von Mobutu Sese Seko im vormaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) grosszügig, solange sie sich nicht der Sowjetunion annäherten.

Vollständige Demokratie nach Regierungswechsel? 

2012 erlebte das Land seinen ersten friedlichen Machtwechsel durch eine demokratische Wahl. Seither betrachten unabhängige Beobachter wie die NGO Freedom House die Entwicklung Lesothos zur vollständigen Demokratie als abgeschlossen.[1]

Meine Studie zeigt hingegen ein differenzierteres Bild: Statt sich vollständig zu demokratisieren, folgte Lesotho dem Weg vieler Staaten der 1990er- und 2000er-Jahre im subsaharischen Afrika, Lateinamerika und Asien: Die formellen Einparteienstaaten sind endgültig Geschichte, regelmässige Wahlen mit mehreren Parteien und Kandidaten wurden zum neuen Standard.

Doch die unfairen Spielregeln für Oppositionsparteien und -kandidaten im Vorfeld von Wahlen sind ein grosses Problem (vgl. Levitsky und Way 2010). Regierungsparteien geniessen nach wie vor wichtige Privilegien: Der Zugang zu staatlichen Rundfunkmedien mit landesweiter Reichweite, wichtigen Wahlkampfressourcen im Kontext mangelhafter Strasseninfrastruktur wie beispielsweise Pickups mit Vierradantrieb oder Helikopter sowie die nötigen Wahlkampfhelfer sind ihnen vorbehalten.

Lesotho

Abbildung 1: Passstrasse in Lesotho (© Jonathan van Eerd)

Erfolgreiche Regierungswechsel sind unter solchen Bedingungen zwar nicht ausgeschlossen, jedoch weniger wahrscheinlich als in den vollständigen Demokratien Westeuropas. Zudem führen Regierungswechsel in einem solchen Kontext nicht notwendigerweise zu Verbesserungen der Spielregeln im Vorfeld von Wahlen. Denn eine neue Regierung mag es als genauso vorteilhaft ansehen, unfaire Spielregeln zu ihren Gunsten zu nutzen.

Stille Regionalmacht Südafrika

2012 erfolgte in Lesotho ein Regierungswechsel. Doch dieser brachte nicht die erhofften Veränderungen. Ich ging im Rahmen meiner Studie auch dem Vermögen bzw. Unvermögen des demokratischen Post-Apartheid-Südafrikas, seine politische und ökonomische Regionalmacht für ein demokratischeres südliches Afrika einzusetzen, nach.

Südafrika vermochte im südlichen Afrika im Gegensatz zur EU in Osteuropa oder den USA in Mittelamerika den generellen Demokratisierungsdruck der 1990er-Jahre in seinem „Hinterhof“ weniger erfolgreich verstärken. Obwohl Mandela eine Politik der Demokratieförderung in Afrika verfolgte, fiel diese bereits unter seiner Führung und danach noch mehr unter der Regierung Thabo Mbekis regionalen Stabilitätsinteressen und einer Politik der „afrikanischen Solidarität“ zum Opfer.

Der ehemalige Apartheidstaat wollte nach Jahrzehnten der Isolation auf dem afrikanischen Kontinent die fragile Akzeptanz seiner neuartigen regionalen Hegemonie nicht durch übermässige Einflussnahme in innere Angelegenheiten anderer Länder verscherzen. Entsprechend beschränkte sich der Einfluss Südafrikas auf stille Diplomatie im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Krisen in Mugabes Simbabwe bis hin zu reinem Desinteresse im Fall der desaströsen Regierungsführung des letzten absoluten Monarchen Afrikas, Mswati III in Swasiland (oft verwechselt mit Lesotho).

Lesotho: noch keine vollständige Demokratie

In Lesotho ging der Einfluss um einiges weiter als in Simbabwe oder Swasiland, doch konzentrierte er sich vor allem auf die Promotion regelmässiger Wahlen, während Defizite bezüglich Medienfreiheit und -zugang und ungleicher Wahlkampfressourcen vernachlässigt wurden. Das Land kann nach zwei Jahrzehnten regelmässiger Wahlen noch nicht als vollständige Demokratie bezeichnet werden.

Hinweis: Dieser Beitrag bezieht sich auf: Van Eerd, Jonathan (2016). The limits of democratization through a regional hegemon: South African linkage and leverage and the skewed playing field in Lesotho party competition. Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 10(1): 137–154.


[1] https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/lesotho

Literatur:

  • Levitsky, Steven, and Lucan A. Way. 2010. Competitive Authoritarianism: Hybrid Regimes after the Cold War. New York: Cambridge University Press.

Titelbild: Maseru, die Hauptstadt Lesothos. Quelle: Wikimedia Commons. 

Abbildung 1: Passstrasse in Lesotho (© Jonathan van Eerd)

Lektorat: Sarah Bütikofer