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Die Kampagnenstrategien der Parteien bei den Nationalratswahlen 2015

Marc Bühlmann, Marlène Gerber, David Zumbach
20th April 2016

Die Wahlkampfstrategie der SVP hob sich auch 2015 vom Vorgehen anderer Parteien ab. Die Partei schaltete schweizweit die grösste Anzahl an Zeitungsinseraten und setzte – wie auch die FDP – auf eine prononciert national geführte Kampagne. Das zeigt die Analyse der Wahlinserate der eidgenössischen Wahlen 2015, die von Année Politique Suisse durchgeführt wurde.

In der Schweiz gelten die eidgenössischen Wahlen als kantonale Angelegenheiten. Zum einen wegen den unterschiedlichen institutionellen Voraussetzungen (z.B. variiert die Sitzzahl von Kanton zu Kanton), zum anderen wegen verschiedenster kantonaler Partei- und Mediensystemen. Lange Zeit hiess es darum, dass es kaum Sinn mache, nationale Kampagnen zu organisieren oder die unterschiedlichen kantonalen Sektionen auf eine Linie zu trimmen.

Doch stimmt dies auch noch für die nationalen Wahlen 2015? Wir gingen dem nach. Für unsere Analyse haben wir 5'689 Wahlinserate untersucht, die zwischen Januar 2015 und dem Wahltag am 18. Oktober 2015 in 56 nationalen und kantonalen Zeitungen erschienen sind. Ausgehend von diesen Daten haben wir den Grad der Nationalisierung, Koordination und Personalisierung des Wahlkampfes für die eidgenössischen Wahlen 2015 bestimmt.

Nationale Parteien koordinieren den Wahlkampf 

Wie unsere Analyse zeigt, ist der Einfluss nationaler Parteizentralen auf die Art und Weise der Wahlkampfgestaltung nach wie vor eher koordinierend. Eine Zentralisierung im Sinne eines Zwangs zum uniformen Auftreten aller kantonalen Sektionen kann nicht festgestellt werden. Nicht nur die kantonale Institutionenvielfalt, sondern auch der Umstand, dass die Wahlkampffinanzierung auch von den Kandidierenden selber geleistet wird, verhindert eine rein nationale Ausrichtung der Wahlkampagnen.

Allerdings schliessen sich kantonale Vielfalt und eine professionalisierte, themenfokussierte, koordinierte und nationale Wahlkampagne nicht aus. Die FDP und insbesondere auch die SVP haben gleichsam eine doppelte Strategie verfolgt. Während die kantonalen Sektionen eigene Kampagnen fuhren, fokussierten die nationalen Komitees des Freisinns und der Volkspartei auf schweizweite Kampagnen und bewarben die Partei als nationalen Akteur. 

Die SVP ging dabei gar noch einen Schritt weiter, indem sie national bekannte Parteistars aufbaute und mit diesen nicht nur nationalisierte, sondern auch personalisierte Werbung betrieb. Diese Strategie dürfte vor dem Hintergrund der Mobilisierung eines neuen Wählerklientels, das sich vielleicht eher für nationale als für kantonale Politik interessiert, wahrscheinlich aufgegangen sein.

Nationalisierung und Professionalisierung der Wahlkampagnen in der Schweiz

In der Schweiz lässt sich die Entwicklung hin zu mehr national und professionell geführten Kampagnen seit einiger Zeit aufzeigen. Die Einrichtung von so genannten „war rooms“, d.h. nationalen Hauptquartieren, in denen Wahlkampagnen schweizweit koordiniert werden, war in den 1990ern noch kaum ein Thema. Im vergangenen Wahljahr jedoch richteten alle grösseren Parteien ein nationales Wahlkampfkomitee ein.

Auch die teilweise stark wachsenden Wahlkampfausgaben können als Zeichen für eine zunehmende Professionalisierung der Politik gedeutet werden.* Als bedeutsam gilt ebenso die Ausrichtung von Wahlkampagnen an die Medienlogik: Um mediale Aufmerksamkeit zu erheischen, muss eine Partei Nachrichtenwert erzeugen, was unter anderem mit nationalen Themen, einem koordinierten Erscheinungsbild und personalisierten Auftritten gelingen kann.

Mehr als die Hälfte aller Inserate von SVP und FDP

Insgesamt wurden die meisten Inserate von der SVP (29.5% aller gesammelten Inserate) geschaltet, dicht gefolgt von der FDP (27.1%). Beide Parteien warben mehr als doppelt so häufig wie die CVP (12.8%) und die SP (12.3%) sowie mehr als fünf Mal so intensiv wie die GP (4.2%), die BDP (3.5%) oder die GLP (1.5%).

Verglichen mit der Kampagne zu den eidgenössischen Wahlen 2011 stellen wir keine Zunahme der Wahlwerbung in Printmedien fest, jedoch eine geringfügige Öffnung der Schere: Während die FDP und die SVP ihre prozentualen Anteile an den geschalteten Inseraten etwas vergrössern konnten, nahm der Anteil der CVP, der SP und der Grünen am Gesamtvolumen leicht ab.

Die GLP und die BDP schalteten zwar in den beobachteten Zeitungen ähnlich viele Inserate wie 2011, konzentrierten ihre Wahlwerbung in Printmedien jedoch auf weniger Kantone (Bochsler et al. 2016). Im Parteienvergleich fällt ferner auf, dass FDP und SVP bedeutend früher in den Wahlkampf gestartet sind als ihre Kontrahenten. Wie die Abbildung 1 zeigt, verlängert sich die Wahlkampfdauer mit der Grösse der Wahlkampfbudgets (siehe auch Hermann 2012).

Abbildung 1:

Inserate

CVP und SP werben kantonal, SVP und FDP national

Den Grad der Nationalisierung von Wahlkampagnen messen wir mittels der Anzahl von nationalen Wahlinseraten. Unter nationalen Wahlinseraten verstehen wir Wahlwerbung, welche eine Partei und ihre zentralen Themen hervorhebt anstatt Kandidierende zu präsentieren. Knapp ein Fünftel aller Inserate, die bis zum 18. Oktober 2015 registriert wurden, haben wir als national betrachtet.

Der grösste Teil der von uns registrierten Wahlinserate (82%) hat ein klassisches Format, d.h. es bewirbt einen oder mehrere Köpfe, allenfalls begleitet von einem Slogan, einem Logo oder einer Empfehlung zu einem zentralen Politikthema. 

Im Vergleich zum Wahlkampf von 2011 können Veränderungen in der Kampagnenstrategie der Parteien beobachtet werden. Während bei den Wahlen vor vier Jahren noch rund zehn Prozent aller CVP- und SP-Inserate – auch aufgrund der damals laufenden Initiativkampagnen – national ausgerichtet waren, verzichteten die beiden Parteien im Wahljahr 2015 beinahe komplett auf eine nationale Kampagne in den Printmedien.

Ganz anders die FDP: Beim Freisinn konnte 2011 lediglich eines von zwanzig Inseraten (5%) als national bezeichnet werden. 2015 betrug dieser Anteil mehr als ein Viertel (26.1%). Die SVP zeichnete sich wie schon vor vier Jahren als diejenige Partei mit dem höchsten Anteil an nationaler Wahlwerbung aus – sowohl 2015 wie auch 2011 war jedes dritte Inserat der SVP ein nationales.

Die Parteien treten nicht einheitlich auf

Wir haben weiter untersucht, ob die Inserate von Kandidierenden der gleichen Partei, unabhängig vom Kanton, immer das Parteilogo, den Wahlslogan oder die hauptsächlichen Parteithemen aufwiesen. Ein einheitlicher Auftritt könnte als Zeichen für Koordination durch die nationale Mutterpartei oder eben für Nationalisierung gewertet werden. 

Unsere Analysen zeigen, dass bei keiner Partei von einem strikt einheitlichen Auftreten gesprochen werden kann. Im Gegenteil: Die kantonalen Verantwortlichen und sogar die einzelnen Kandidierenden – die nicht selten auch ihren persönlichen Wahlkampf mitfinanzieren – verfügen über viel Spielraum hinsichtlich Gestaltung der Inserate. Während sich das Logo noch auf 64 Prozent (Grüne) bis 88 Prozent (GLP und CVP) aller kantonalen Inserate finden lässt, ist der Slogan auf höchstens einem Fünftel der kantonalen Inserate abgebildet (SP) – oder fehlt im Falle der Nicht-Regierungsparteien gar komplett.

Bei der Bewirtschaftung der Themen stechen die Grünen hervor. Deren Kernthemen Umwelt und Energie finden sich immerhin auf beinahe einem Drittel all ihrer Parteiinserate.

Auf der anderen Seite erstaunt, dass auf weniger als zehn Prozent der klassischen SVP-Inserate neben Kandidierenden auch Asyl und/oder Migration als Themen beworben werden (ähnlich viele werben auch gegen einen EU-Beitritt). Die Themen Asyl und Migration sind dafür prominent vertreten bei der nationalen SVP-Werbung, nämlich auf knapp neun von zehn Inseraten. Auf rund zwanzig Prozent der klassischen Inserate machen sich SVP-Kandidierende für die Wirtschaft stark.

Der gleiche Wert findet sich auch bei den Kandidierenden-Inseraten der FDP. Die EU ist ebenfalls Thema beim Freisinn: Die Botschaft „Bilaterale ja – EU nein“ findet sich in 6.1% aller klassischen FDP-Inserate. Interessant ist allerdings die national orchestrierte Verbreitung dieser Botschaft. Besonders häufig wurden die Inserate mit der freisinnigen EU-Haltung nämlich an zwei spezifischen Tagen im Juni in zahlreichen regionalen Printmedien geschaltet.

Beim Blick auf die Inserate der CVP-Kandidierenden erstaunt, dass Botschaften zur Familienpolitik, ein Kernthema der Christdemokraten, kaum vorhanden sind.

SVP setzt auf nationale Stars und Videos

Die Unterschiede zwischen den Kantonen und den Parteien können zu einem grossen Teil auch auf die individuellen Wahlkämpfe der einzelnen Kandidierenden zurückgeführt werden. Unsere Analyse zeigt, dass sich die Bewerbung der einzelnen Kandidierenden in den verschiedenen Kantonen stark unterscheidet. In Abbildung 2 ist dargestellt, wie oft die einzelnen Kandidierenden pro Kanton und Partei durchschnittlich mittels Inserat beworben wurden. 

Abbildung 2:

Inserate

Hinweis: Eine detailliertere Abbildung kann hier gefunden werden. 

Beispielhaft sei der Kanton Basel-Stadt erwähnt: Dort wurde der via Inserate ausgetragene Wahlkampf stark durch drei bisherige Amtsträger dominiert, sie wurden deutlich öfter beworben als die anderen Kandidierenden. In anderen Kantonen, beispielsweise im Jura oder im Tessin, sind hingegen kaum solche Ausreisser festzustellen. 

INFOBOX: Analyse der Inseraten
Datensatz zu den eidg. Wahlinseraten: Année Politique Suisse sammelte vom 1.1.-18.10.15 rund 5‘700 Wahlinserate (National- und Ständerat) in 56 auflagestarken Schweizer Tages- und Wochenzeitungen (ausschliesslich Print). Zum Vergleich wurde eine Inseratedatensatz herbeigezogen, der von APS für die eidgenössischen Wahlen 2011 erstellt wurde, der aber auf weniger Zeitungen beruht. Für Details vgl. den Originalartikel.

Notiz zu Abbildung 2: In den Boxplots in Abbildung 2 finden sich mit dem Median (weisse Linie), dem Interquartilabstand IQR (violette Fläche, umfasst 50% der mittleren Kandidierenden) sowie dem oberen Whisker (1,5*IQR, senkrechte Linie) Streuungsmasse zur Verteilung der Wahlinserate. Die originale Abbildung berücksichtigt nur Kandidierende, die ausschliesslich für den Nationalrat (und nicht ebenfalls für den Ständerat) kandidierten, sowie Kantone mit Proporzwahlsystem, sofern sich in den Inseraten ein ausreichender Parteienwettbewerb abzeichnete. Über die Kampagnenintensität zwischen den Kantonen gibt diese Abbildung keine Auskunft, da für einige Kantone mehr als eine Zeitungsquelle beigezogen wurden.

Lesebeispiel zu Abbildung 2: Für den Kanton Zürich zeigt sich beispielsweise, dass es bei den Zürcher Nationalratskandidierenden der CVP und der FDP keine Personen gab, für die ausserordentlich häufig inseriert wurde. Der relativ lange Whisker bei der FDP signalisiert jedoch, dass die Spannbreite der Inseratehäufigkeit trotzdem relativ gross war. Im Falle der Zürcher SVP und SP zeigt sich, dass diverse Kandidierende mindestens 1,5 Mal häufiger inseriert haben als 50% der mittleren Kandidierenden.

Auch wenn die Parteien verglichen werden, zeigen sich teilweise starke Unterschiede: Einzelne Kandidierende werden innerhalb der Parteien wesentlich stärker beworben als andere. Auch hier lässt sich also kaum von einem einheitlichen Parteiauftritt sprechen. Dies dürfte ebenfalls wiederum der individuellen Kampagnenfinanzierung geschuldet sein.

Freilich lassen sich Nationalisierung und Personalisierung verknüpfen: Die SVP schlug diesbezüglich einen für die Schweiz neuen Weg ein. National bekannte Persönlichkeiten der Volkspartei warben schweizweit – und nicht nur in den Kantonen der jeweiligen Kandidierenden – für sich und ihre Partei. Manifestiert wurde diese Idee eines eigentlichen Starkultes nicht nur in den Zeitungsinseraten, sondern auch im viel diskutierten Parteivideo.

Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf einem kürzlich erschienenen Artikel in der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft: Bühlmann, Marc, David Zumbach und Marlène Gerber (2016). Campaign Strategies at the Swiss National Elections 2015: Nationalization, Coordination, and PersonalizationSwiss Political Science Review 22(1): 15–28.


Referenzen:

Lektorat: Sarah Bütikofer

Graphiken und Titelbild: Pascal Burkhard