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Wie der Euro die Europäische Union spaltet

Klaus Armingeon, Kai Guthmann, David Weisstanner
9th März 2016

Welche Folgen hat die Eurokrise auf die Unterstützung der Demokratie? Unsere Studie zeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger der von der Krise hart getroffenen Euroländer von der Demokratie entfremdet haben. Dies, weil der Euro die demokratische Auswahl an wirtschaftspolitischen Optionen massiv einschränkt.

Als die Staats- und Regierungschefs der EU 1992 den Vertrag von Maastricht unterzeichneten und mit der Währungsunion den Grundstein zur Einführung des Euros legten, sollte dies den Völkern Europas langfristig zu einer gemeinsamen Identität verhelfen. Heute – bald ein Vierteljahrhundert später – bleibt dieses Ziel in weiter Ferne. Im Gegenteil: die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie in der Europäischen Union driften deutlich auseinander.

Seit der Eurokrise verursachten die durch die EU auferlegten ökonomischen Anpassungsprogramme ein Absinken der Löhne und Preise in den Krisenstaaten. Dies wiederum führte zu einer starken Zunahme des Anteils der Bürgerinnen und Bürger, der sich vom politischen System entfremdet fühlt. In den Kernländern des Euroraums, wie beispielsweise Deutschland, den Niederlanden oder Österreich, oder in Nicht-Euroländern, bleibt der Anteil der von der Demokratie Entfremdeten hingegen relativ stabil.

Gespaltenes Europa

Abbildung 1 führt diese Spaltung Europas eindrücklich vor Augen. Während vor der Eurokrise eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zufrieden mit der Demokratie waren und den politischen Institutionen vertrauten, führte die Eurokrise zu einem teils drastischen Einbruch. Eine Reihe von Ländern – darunter Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern und Italien – bevölkert nun den Quadranten links unten in der Abbildung, der anzeigt, dass dort eine Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden mit der Demokratie ist. In anderen Ländern hingegen gab es kaum Verschiebungen. Hervorzuheben sind nicht nur Deutschland oder Schweden, an welchen die Finanzkrise relativ rasch vorbeizog, sondern auch Grossbritannien (das seine Währung abwertete) oder Lettland (das freiwillig darauf verzichtete, seine Währung abzuwerten).

Abbildung 1:

Spaltung Europas

Die vier Graphiken zeigen die Zufriedenheit mit der Demokratie im Nationalstaat und in der EU (links) sowie das Vertrauen in das nationale Parlament und in die EU (rechts), jeweils vor der Eurokrise (2006/2007) und während/nach der Eurokrise (2013/2014). Innerhalb der Graphiken bezieht sich die vertikale Achse auf die Einstellungen auf der nationalen Ebene, während die horizontale Achse die europäische Ebene abbildet.

Lesebeispiel: In Griechenland (GRC) lag die Zufriedenheit mit der nationalen Demokratie 2006/2007 etwa bei 60% und mit der Demokratie in der EU etwa bei 55%. 2013/2014 sanken diese Werte auf 19% (national) und 25% (EU). Eine deutliche Mehrheit ist somit unzufrieden mit der Demokratie sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene.

Der Euro als nicht-optimaler Währungsraum

Doch welche Entwicklung führte zu dieser Spaltung? Zur Zäsur kam es im Anschluss an die Finanzkrise seit 2008 und die etwas später eintretende „Schuldenkrise“ in Europa. Während sich die Interpretation hartnäckig hält, die Krise in den peripheren Eurostaaten Griechenland, Irland, Italien, Portugal oder Spanien sei die Folge übermässiger Verschuldung, wiesen andere Beobachter auf ein strukturelles Merkmal der Währungsunion hin: Die vorhandenen geld- und fiskalpolitischen Instrumente auf europäischer Ebene genügen nicht, um die stark unterschiedlichen Wirtschaftszyklen der Euroländer (besonders die teils institutionell bedingten Lohn- und Preisschwankungen) zu vereinheitlichen. Die Folge: auseinanderlaufende Wettbewerbsfähigkeiten und „Zahlungsbilanzkrisen“ in den Defizitländern.

Welche Optionen blieben nun den Krisenstaaten im Euroraum übrig, um auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu reagieren? Historisch war das wichtigste Instrument die Abwertung der eigenen Währung. Dies war bis zur Einführung des Euro gang und gäbe in Europa und wurde im Zuge der Krise beispielsweise vom Nicht-Euroland Grossbritannien angewandt – blieb den Euroländern wegen der gemeinsamen Währung nun jedoch verwehrt. Staatliche Konjunkturpakete waren keine Option, dies schlossen die restriktiven Stabilitätskriterien aus. Die Europäische Zentralbank darf keine Inflation anstreben, um die Schuldenlast  zu erleichtern.

Mangelnde demokratische Legitimität der Krisenpolitik

Als einziges Mittel blieb den Defizit-Euroländern in der Krise somit die „interne Abwertung“ – die Reduktion von Löhnen und Preisen, um die verloren gegangene internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Diese Politik legt der Bevölkerung erhebliche soziale Kosten auf, da sie mit Stellenverlusten und Lohneinbussen verbunden ist. Zudem wurde der Fokus auf Kürzungen der staatlichen Ausgaben gelegt. Gravierender noch ist es, wenn die interne Abwertung einem Land als alternativlos aufgezwungen wird und die Bevölkerung keine echte Auswahl unter realisierbaren Alternativen hat. 

Heterogenität der Euroländer sorgt für Spannungen

Da der Euro andere wirtschaftspolitische Optionen einschränkt, waren die Defizitländer der Eurozone in der aktuellen Krise gezwungen, eine Politik der internen Abwertung (Senkung von Löhnen und Preisen) in Kombination mit einer rigiden Sparpolitik zu verfolgen. Diese Politik führte zu gravierenden demokratischen Konsequenzen: Die Unterstützung der Demokratie ist in einigen Euroländern regelrecht eingebrochen. Weil die Eurozone weiterhin aus wirtschaftlich und institutionell sehr verschiedenen Ländern zusammengesetzt ist, werden die Spannungen zwischen Krisenpolitik und Demokratie in der Zukunft kaum abnehmen. Alternativen zum Euro sind jedoch nicht in Sicht, weil die Kosten des Austritts aus dem Euro weiter hoch bleiben.

INFOBOX: Methoden und Daten

Wir argumentieren in unserer Studie, dass die Kombination aus mangelnder „Output-Legitimität“ (soziale/wirtschaftliche Kosten der internen Abwertung) und mangelnder „Input-Legitimität“ (mangelnde Auswahlmöglichkeiten) zu einer Zunahme des Anteils der Bürgerinnen und Bürger führt, der sich vom politischen System entfremdet. 

Um dieses Argument zu überprüfen, haben wir Eurobarometer-Umfragen in 28 EU-Mitgliedsländern zwischen 2002 und 2014 ausgewertet. Die Befragten gaben an, wie zufrieden sie mit der Demokratie im Nationalstaat und in der EU sind, sowie ob sie dem nationalen Parlament und der Europäischen Union vertrauen. Bürgerinnen und Bürger, welche die Fragen sowohl für die nationale und die europäische Ebene negativ beantworteten, wurden als „entfremdet“ von der Demokratie eingestuft. Im zweiten Schritt überprüften wir ob sich der Anteil der Entfremdeten durch das Ausmass der internen Abwertung erklären lässt (unter Kontrolle einer Reihe von zusätzlichen Faktoren).

Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung von: Klaus Armingeon, Kai Guthmann und David Weisstanner (2016). How the Euro divides the union: the effect of economic adjustment on support for democracy in EuropeSocio-Economic Review 14(1): 1-26.


Foto: Wikimedia Commons

Lektorat & Layout: Pascal Burkhard