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Entwicklungshilfe: Schaden oder Nutzen durch viele Geldgeber?

Kai Gehring, Katharina Michaelowa, Axel Dreher, Franziska Spörri
14th Dezember 2015

Es gilt unter Experten als etablierte Wahrheit, dass Entwicklungshilfe vor allem dann besser hilft, wenn möglichst wenige Akteure beteiligt sind. Unsere Untersuchung zeigt, dass es dafür keinen klaren Beleg gibt. Wenn viele Geldgeber in einem Land aktiv sind, muss dies nicht unbedingt bedeuten, dass sie schlecht koordiniert sind. Im Gegenteil: Es kann auch ein sinnvoller Wettbewerb entstehen. 

Seit rund 15 Jahren gibt es – angeführt von der OECD und ihren „High Level Forums“ – unter Experten für Entwicklungshilfe einen Konsens: Damit sie besser wirkt, braucht es nicht unbedingt mehr Entwicklungshilfe, sondern sie muss vor allem besser koordiniert sein. Denn als grosses Problem wird die sogenannte Fragmentierung der Entwicklungshilfe betrachtet, d.h. die Tatsache, dass häufig zu viele Projekte unkoordiniert an zu vielen Orten zu unterschiedliche Ziele verfolgen. Die verbesserte Koordination der Entwicklungshilfe war denn auch zentral in der Erklärung von Paris 2005 (Infobox 1). Sie wird seither immer wieder zitiert und hat reale Auswirkungen darauf, wie und über wen Entwicklungsgelder verteilt werden.

Mit unserer Untersuchung stellen wir diese Grundannahme der generell schädlichen Fragmentierung von Entwicklungshilfe in Frage. Denn unsere Analyse zeigt, dass eine höhere Anzahl von Akteuren und fragmentierte Entwicklungshilfe nicht zwingend zu einer schlechteren Wirksamkeit führen muss. Ganz im Gegenteil, sie kann sogar zu einem sinnvollen Wettbewerb führen. Wir hoffen mit unseren Ergebnissen einen Beitrag dafür zu leisten, dass künftige Evaluationen von Entwicklungshilfe dem individuellen Kontext jedes Empfängerlandes mehr Bedeutung beimessen.

Infobox 1: Erklärung von Paris 2005, OECD-Ziele
Mit der Erklärung von Paris 2005 wurde ein besser funktionierendes internationales Hilfssystem und mehr Effizienz in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bezweckt. Sie beinhaltet unter anderem einen Aufruf zur Vermeidung von Doppelstrukturen und zur grösseren Spezialisierung der Geber auf einzelne Länder und Sektoren, gemessen an Indikatoren wie der Verringerung der Geberzahl pro Entwicklungsland. Die OECD misst das Erreichen dieser Ziele und bemängelt falls nötig ein Fehlverhalten. Die Messung erfolgt grösstenteils durch das Development Assistance Committee (DAC) der OECD, aber auch die einzelnen Geberländer (siehe z.B. für die USA). Die Vereinten Nationen führen die Reduktion der sogenannten Fragmentierung ebenfalls als wichtige Massnahme an (siehe in Punkt 21 und Punkt 86).

Nur eine Handvoll Studien belegen negativen Effekt der Fragmentierung

Die Erklärung von Paris basierte allerdings nur auf einer Handvoll empirischer Studien, die häufig auch nur eine sehr eingeschränkte Stichprobe betrachten (siehe Kimura et al. 2012, Annen und Kosempel 2009, Djankov et al. 2009, Knack and Rahman 2007). Diese belegen überwiegend einen negativen Effekt der Fragmentierung auf die wichtigsten Ziele in den Empfängerländern.

Der grosse Einfluss dieser Studien auf die Politik kann wohl unter anderem damit begründet werden, dass ein negativer Effekt – vor allem durch eine Überlastung der Bürokratien der Entwicklungsländer – theoretisch sehr plausibel scheint. Zudem stützen sie möglicherweise das Argumentarium grosser Organisationen oder wichtiger Geberländer, die sich selbst für die Koordination der Entwicklungshilfe anbieten.

Wettbewerb unter Geberländern ist nicht nur negativ

Doch es gibt auch Experten, die die Fragmentierung anders bewerten. Frot und Santiso (2010) bemängeln, dass der Wettbewerb der Geberländer pauschal als negativ angesehen wird, obwohl Ökonomen doch überlicherweise den Wettbewerb als wohlfahrtsteigernd wahrnehmen.

Indien und China beispielsweise nutzten den Wettbewerb der Geberländer, um die für sie günstigsten Geberländer auszuwählen. Unsere Untersuchung in Vietnam und Burkina Faso, zwei Länder ohne vergleichbare Verhandlungsmacht wie China und Indien, lieferte ebenfalls differenzierte Einblicke (Dreher and Michaelowa 2010). Unsere Interviewpartner in Burkina Faso sprachen häufig von Problemen und Überlastungen bei zu vielen Geberländern. In Vietnam hingegen wurde die Vielzahl an Gebern eher als Chance zum Wissensaustausch und zur Etablierung internationaler Kontakte wahrgenommen.

Offenbar hängt es vom jeweiligen Kontext ab, ob das Auftreten und Engagement verschiedener Geberländer im selben Land und Sektor eher als Pluralismus und Chance zum Wissenstransfer oder vielmahr als eine die lokale Bürokratie überfordernde, ineffiziente Doppelstruktur angesehen wird.

Unsere Ergebnisse sind in Abbildung 1 eindrücklich dargestellt: Je nach Wahl des Indikators unterscheidet sich die gemessene Fragmentierung der Entwicklungshilfe drastisch.

Abbildung 1:

Karte

Legende: Die Darstellung zeigt die Unterschiede in der geografischen Ausprägung von Fragmentierung. Die fünf Kategorien sind so gebildet, dass jede Kategorie ein identisches Intervall des jeweiligen Fragmentierungsindikators abbildet (z.B. 0-20, 21-40,…, 81-100). Diese Darstellung vereinfacht die Interpretation und ermöglicht Anteile und Ausmass von Fragmentierung zwischen Ländern zu vergleichen.

Kein generell negativer Einfluss von Fragmentierung

Basierend auf dieser ersten Auswertung haben wir unter Verwendung der vier Indikatoren systematisch den Zusammenhang mit drei besonders relevanten Entwicklungszielen neu evaluiert (siehe Infobox 2).

Besonders überraschend bei diesen sehr umfangreichen Analysen ist, dass es den bisher postulierten generellen negativen Einfluss von Fragmentierung so nicht zu geben scheint. In Bezug auf das Wirtschaftswachstum finden wir nur in vereinzelten Spezifikationen einen signifikanten Koeffizienten der Fragmentierungsvariablen.

In der absoluten Mehrzahl der Tests lässt sich kein signifikanter Zusammenhang finden. Auch für die Hypothese, dass das Auftreten vieler Geber vor allem in Ländern mit schwacher Bürokratie belastend wirkt, findet sich kein klarer Beleg. Dies ist besonders überraschend, da dieses Argument in der bisherigen Argumentation eine zentrale Rolle innehatte.

Auch der direkte Einfluss von Fragmentierung auf die Qualität der Bürokratie ist insgesamt weniger eindeutig als erwartet. Nur wenn ein Land stark von Entwicklungshilfezahlungen abhängt ist, ergibt sich mit einer grossen Anzahl an Gebern der erwartete negative Zusammenhang .

Fast schon weniger überraschend ist dann, dass sich auch im Bildungssektor kein klarer negativer Zusammenhang zeigt. Hier sind die Empfängerländer an eine grosse Zahl von Gebern gewöhnt, wobei die von uns untersuchten staatlichen Geber in diesem Bereich typischerweise nur eine kleine Minderheit ausmachen. Klar ersichtlich ist zudem, dass sich je nach gewähltem Indikator die Ergebnisse unterscheiden.

Fazit: Den Einzelfall genau betrachten

Nun stellt sich die Frage, wodurch diese Resultate zustande kommen. Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass die existierenden Daten das tatsächliche Ausmass der Fragmentierung und die Problematik insgesamt nicht komplett abbilden. Die OECD erhebt zwar Daten, aus denen sich auch sektorspezifische Indikatoren ableiten lassen, diese stehen aber erst seit Anfang 2000 durchgängig zur Verfügung.

Zukünftige Forschung sollte in Betracht ziehen, inwiefern die Modalität von Entwicklungshilfe und insbesondere spezifische Koordinationsmechanismen zwischen Geldgebern eine Rolle spielen. Nur weil viele Geldgeber in einem Land aktiv sind, muss dies nicht unbedingt bedeuten, dass sie schlecht koordiniert sind. Dem sollten künftige Evaluationen Rechnung tragen.

Beispielsweise gibt es in vielen Ländern regelmässige Treffen von Gebern eines Sektors. Heutzutage werden zudem viele Entwicklungsprojekte im Rahmen von Multi-Donor Trust Funds umgesetzt, so dass trotz einer beachtlichen Anzahl von Gebern kaum von Fragmentierung gesprochen werden kann.

Ein potenzielles Problem besteht darin, dass die Annahme der Schädlichkeit von Fragmentierung zu Massnahmen führt, die möglicherweise die Effektivität von Entwicklungshilfe verschlechtern. So etwa die Empfehlung im Rahmen der Erklärung von Paris, Entwicklungshilfe über die eigene Verwaltung des Empfängerlandes laufen zu lassen („Use-of-Country-Systems“). Dies sollte eine Vereinfachung darstellen, brachte in der Praxis aber teils so hohe bürokratische Belastungen mit sich, dass schon eine geringe Anzahl solcher Projekte zu Kapazitätsengpässen führt.

Wir hoffen , dass unsere Studie einen guten Anlass liefert, ein wenig genauer auf die Umstände vor Ort zu achten und auf simple Unterscheidungen zwischen "guter" - da wenig fragmentierter - und "schlechter" - weil stark fragmentierter - Hilfe zu verzichten. Kriterien für wirksame Entwicklungshilfe sollten nicht als absolute Werte betrachtet, sondern pragmatisch und dem jeweiligen Länderkontext entsprechend umgesetzt werden.

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung von: Gehring, Kai, Katja Michaelowa, Axel Dreher und Franziska Spörri (2015). Do we know what we think we know? Aid fragmentation and effectiveness revisited. University of Göttingen Courant Research Centre: Poverty, Equity and Growth - Discussion Papers No. 185.

Infobox 2: Methodik und Indikatoren

Für unsere Analyse haben wir die Fragmentierung der Entwicklungshilfe in verschiedenen Staaten anhand von vier etablierten Indikatoren beurteilt. Anschliessend haben wir den so festgestellten Grad an Fragmentierung der Erfüllung wichtiger Entwicklungsziele im jeweiligen Empfängerland gegenüber gestellt.

So können wir testen, ob und inwieweit die Fragmentierung der Entwicklungshilfe über die Ziele hinweg einen einheitlichen Schaden anrichtet. Dabei betrachteten wir jeweils, ob Fragmentierung an und für sich einen negativen Effekt hat, ob sie die Effektivität der Entwicklungshilfe reduziert und ob diese beiden Zusammenhänge durch die ursprüngliche Qualität der Institutionen in den Empfängerländern beeinflusst werden.

Die vier Indikatoren:

1: Herfindahl-Index: Der aus der Wettbewerbsökonomie stammende Index misst die Konzentration zwischen Firmen innerhalb eines Sektors. Vereinfacht gesagt, misst er in unserem Anwendungsfall die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zufällig gezogene Euro innerhalb eines Jahres und Empfängerlandes vom selben Geber stammen.

2: Anzahl Lead-donors: Wir betrachten weiter die Konzentration federführender Geber (sogenannte Lead-donors), also den Anteil der grössten drei Geber an der Gesamthilfe eines Landes und Jahres. Dahinter steckt die Idee, dass wenige grosse Geber sich besser koordinieren können und ihnen zudem eine natürliche Führungsrolle zukommt, wenn es um die Koordination der Hilfe zwischen den Gebern insgesamt geht.

3: Anzahl kleiner Geber: Basierend auf einer Klassifikation der OECD betrachten wir auch die Anzahl „insignifikanter“ Geberländer. Das sind Geberländer mit einem Gesamtanteil von weniger als 10% der Hilfe, die total in ein Empfängerland fliesst. Dahinter steht die Annahme, dass sich viele kleine Geber selbst durch grosse Lead-donors nicht zu einem abgestimmten Vorgehen bringen lassen und daher überproportional zur Überforderung der lokalen Bürokratie beitragen.

4: Anzahl Geberländer: Zuletzt zählen wir die Anzahl der Geberländer, die in einem Entwicklungsland aktiv sind.

Die Entwicklungsziele:

Wir wählen bewusst drei sehr unterschiedliche Ziele der Entwicklungszusammenarbeit:
Zum einen das Wirtschaftswachstum, gemessen am BIP-Wachstum pro Kopf, dann die institutionelle Qualität, die anhand von verschiedenen Kriterien der Effizienz der ministeriellen Dienstleistungen dargestellt wird, und schliesslich die Schuldbildung, die an den Bildungsbeteiligungsraten im Primasektor gemessen wird. 

Wir bauen unsere Tests auf bestehenden Arbeiten auf: Clemens et al. (2012) um den Zusammenhang zwischen Hilfe, Fragmentierung und Wirtschaftswachstum zu untersuchen, Knack und Rahman (2007) für den Effekt auf die Qualität der Bürokratie in den Empfängerländern und Birchler und Michaelowa (2013), was den Einfluss auf die Primärschulbildung angeht.


Referenzen: 

Foto: Wikimedia Commons

Lektorat: Olivia Kühni