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Welche Partei passt
zu mir?

Kathrin Ackermann, Markus Freitag
12th Oktober 2015

Ob jemand neugierig ist, mit Stress umgehen kann oder rücksichtsvoll mit anderen Menschen umgeht, hat einen Einfluss darauf, zu welcher Partei er sich hingezogen fühlt. Dies zeigt eine an der Universität Bern durchgeführte Studie nun erstmals auch für die Schweiz.

Wahlen und Waehlerschaft

Wir wissen aus Erfahrung, dass sich Menschen in ihrem Charakter und ihrer Persönlichkeit unterscheiden. Wir wissen bislang allerdings nur wenig darüber, wie sich Persönlichkeitseigenschaften in der Zuneigung zu einer Partei niederschlagen. Diese langfristigen Parteibindungen spielen für die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Rolle. Sie werden als gefühlsmässige, stabile und gleichzeitig nicht formalisierte Bindung eines Wählers an eine Partei verstanden und werden selbst wiederum durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Neuste Forschungen zeigen, dass grundlegende Persönlichkeitseigenschaften mitverantwortlich dafür sind, ob jemand einer Partei zugeneigt ist und um welche Partei es sich dabei handelt.

 Das Modell der „Big Five“-Persönlichkeitseigenschaften

Persönlichkeitseigenschaften charakterisieren eine Person langfristig. Um diese Eigenschaften empirisch zu erfassen, hat sich innerhalb der Persönlichkeitspsychologie das Fünf Faktoren-Modell („Big Five“) als Standard etabliert. Es geht davon aus, dass sich die Persönlichkeitsstruktur eines jeden Menschen anhand der folgenden fünf übergreifenden Eigenschaften und ihren unterschiedlichen Ausprägung umfassend beschreiben lässt: Offenheit für Erfahrungen, emotionale Belastbarkeit, Extraversion, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Diese fünf Merkmale gelten als grundlegende Orientierungen, die über Zeit und Situationen hinweg weitestgehend stabil sind und zumindest teilweise eine genetische Grundlage haben oder in früher Kindheit entwickelt werden.

Offenheit für Erfahrungen steht dabei für die Bereitschaft zur Abwechslung und für eine positiv verstandene intellektuelle Neugier. Eine offene Person kann als vielfältig interessiert, einfallsreich, originell und neugierig beschrieben werden. Emotionale Belastbarkeit geht mit Ruhe und Gelassenheit sowie einer hohen Stressresistenz einher. Menschen mit einer geringen emotionalen Belastbarkeit gelten indes als besorgt, unsicher, angespannt, nervös, unruhig und ängstlich. Sie zeichnen sich aber auch durch Empathie aus und nehmen emotionale Reize eher wahr. Extraversion wird mit einem Streben nach sozialem Austausch und Dominanz, aber auch nach Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht. Eine extrovertierte Person kann als gesprächig, gesellig, durchsetzungsfähig, aktiv, energievoll und kontaktfreudig charakterisiert werden. Gewissenhaftigkeit umfasst ein Bedürfnis nach Kontrolle, Ordnung, Beharrlichkeit und Leistung. Gewissenhafte Personen gelten als organisiert, genau, strukturkonservativ, verantwortungsvoll, diszipliniert und vorsichtig. Verträglichkeit ist schliesslich die Eigenschaft, welche einen Menschen im Umgang mit anderen beschreibt. Verträgliche Personen suchen harmonische Beziehungen und sind mitfühlend, gütig, verständnisvoll, herzlich und kooperativ.

Es wird angenommen, dass diese Persönlichkeitseigenschaften die Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen eines Menschen nachhaltig beeinflussen. Mit Blick auf die Parteineigung gibt die Ausprägung bestimmter Persönlichkeitseigenschaften zunächst einmal vor, ob jemand überhaupt eine Bindung an eine bestimmte Partei verspürt. Entsprechend dem Grundgedanken, dass Menschen sich zu Ähnlichem hingezogen fühlen, wenden sie sich denjenigen Parteien und Politikern zu, in deren politischen Programmen und Erklärungen sie die grössten Übereinstimmungen zur eigenen Persönlichkeit, eigenen Werten und Grundüberzeugungen wiederfinden: Sag mir wie du bist, ich sag, wer zu dir passt.

Welche Partei passt zu wem?

Basierend auf Daten einer Schweizer Bevölkerungsumfrage aus dem Jahr 2012 und mit Hilfe statistischer Verfahren erörtern wir die Beziehungen zwischen Persönlichkeit und Parteibindung für die aktuell im Bundesrat vertretenen Parteien (SVP, SP, FDP, CVP und BDP) sowie die beiden grünen Parteien (GP und GLP). Zur Ausmessung ihrer Persönlichkeit wurden den rund 1000 Befragten 15 Aussagen vorgelegt, zu denen sie eine Selbsteinschätzung der eigenen Charaktereigenschaften abgeben sollten (vgl. Tabelle).

Tabelle: Persönlichkeitseigenschaften der Big Five und ihre Messung

Persönlichkeitseigenschaft

Messung Big Five Inventory (Kurzversion BFI-S) Ich bin jemand, der…  

Offenheit für Erfahrungen

… originell ist, neue Ideen einbringt. … künstlerische Erfahrungen schätzt. … eine lebhafte Phantasie, Vorstellungen hat.  

Emotionale Belastbarkeit

… entspannt ist, mit Stress umgehen kann. … sich selten Sorgen macht. … selten nervös wird.  

Extraversion

… aus sich herausgehen kann, gesellig ist. … nicht zurückhaltend ist. … kommunikativ, gesprächig ist.  

Gewissenhaftigkeit

… gründlich arbeitet. … Aufgaben wirksam und effizient erledigt. … selten faul ist.  

Verträglichkeit

… fast nie grob zu anderen ist. … verzeihen kann. … rücksichtsvoll und freundlich mit anderen umgeht.  

Wir kommen zum Schluss, dass beispielsweise die Wahrscheinlichkeit einer Parteibindung an die Grüne Partei der Schweiz (GP) für eine sehr offene Person höher ist als für eine Person mit geringer Offenheit für Erfahrungen. Offenen Personen wird eine tolerante und liberale Haltung gegenüber neuen Ideen, Veränderungen und anderen Lebensformen sowie der Antrieb zugesprochen, gesellschaftliche Normen und Werte kritisch zu hinterfragen. Diese Haltungen finden sie am stärksten bei den Grünen wieder (vgl. Abbildung).

Abbildung: Marginale Effekte der Big Five Persönlichkeitseigenschaften auf die Wahrscheinlichkeit einer ParteibindungParteineigung

Lesebeispiel: Unter sonst gleichen Bedingungen ist eine Parteibindung an die GP für eine sehr offene Person um 17 Prozentpunkte wahrscheinlicher als für eine Person mit geringer Offenheit für Erfahrungen.

Anmerkungen zur Abbildung
Durchschnittliche marginale Effekte der Big Five Persönlichkeitseigenschaften auf die Wahrscheinlichkeit einer Bindung an die jeweilige Partei; Berechnungen auf Basis des multinomialen Regressionsmodells.

Die Säulen stellen den Wert des durchschnittlichen marginalen Effekts dar. Um eine detailliertere Version der Grafik inkl. 90%-Konfidenzintervallen anzuschauen, klicken Sie auf die Grafik. Schneidet das Konfidenzintervall die Null-Linie nicht, ist der Effekt statistisch signifikant.

Ebenso lässt eine ausgeprägte emotionale Belastbarkeit eine Parteineigung in Richtung der GP wahrscheinlicher werden. Im Vergleich zu sorgenvollen und verunsicherten Personen weisen emotional belastbare Befragte jedoch mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine Bindung an die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) oder die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) auf. Umgekehrt heisst dies, dass sich Menschen, die Sorgen um die eigene materielle Lage als auch Unsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft umtreiben, vor allem zu Parteien mit betont sozialem Profil hingezogen fühlen. Durch ihre Bemühungen, einen fürsorgenden Staat zu etablieren, bieten diese Parteien eine Antwort auf Zukunftsängste und sozioökonomische Unsicherheiten.

Extrovertierte Menschen neigen den Grünen indes weniger stark zu als Introvertierte. Die Gründe hierfür könnten zum einen in den tendenziell eher konservativen Einstellungen extrovertierter Personen in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen liegen. Zum anderen entsprechen die eher basisdemokratischen Entscheidungsmechanismen der Grünen Partei wenig dem Streben eines Extrovertierten nach sozialer Dominanz.

Gewissenhafte Personen zeichnen sich wiederum durch ein starkes Bewusstsein für Pflichten und Hierarchien sowie durch eine Vorliebe für geregelte Strukturen aus und nehmen aus Angst vor Kontrollverlusten häufig konservative und bewahrende Werthaltungen ein. Im politischen Raum spiegelt die Schweizerischen Volkspartei (SVP) diese Werte und Haltungen am ehesten wider. Entsprechend ist eine sehr gewissenhafte und pflichtbewusste Person tendenziell auch eher der SVP zugeneigt als eine weniger gewissenhafte Person.

Verträglichkeit wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Bindung an die CVP. Weist eine Person eine hohe Verträglichkeit auf, sinkt hingegen die Wahrscheinlichkeit einer Bindung an die Freisinnig-Demokratische Partei/FDP.Die Liberalen (FDP). Die «Netten» sind also vor allem der CVP zugeneigt. Deren christliche Wurzeln und Grundwerte der Solidarität und Kooperation wirken auf verträgliche Personen anziehend. Ein auf Wettbewerb setzendes wirtschaftsliberales Profil etwa des Freisinns lehnen Harmonie suchende Menschen hingegen eher ab. Mitunter scheint der neue Programmschwerpunkt des Gemeinsinns hier anzusetzen und die FDP für neue Wählerinnen und Wähler attraktiv zu machen.

Für die beiden jüngsten Parteien im politischen System der Schweiz – die Grünliberale Partei (GLP) und die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) – zeichnen sich in unseren Analysen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Parteibindung ab. Ihre Programmatik scheint noch zu neuartig und diffus, als dass sie ein eindeutiges Persönlichkeitsprofil von Wählern anspricht.

Zusammengefasst zeigen unsere Analysen, dass Persönlichkeitseigenschaften für die gefühlsmässige und stabile Bindung der Wähler an Parteien durchaus relevant sind und bisweilen einen stärkeren Einfluss ausüben als die herkömmlichen soziodemografischen Merkmale.

Hinweis: Dieser Text erschien auch in « UniPress – das Wissenschaftsmagazin » (Heft-Nr. 165). 


Referenz

  • Ackermann, Kathrin und Markus Freitag (2015). Sag mir, wie du bist, ich sage, wer zu dir passt. Persönlichkeit und Parteibindung. In Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz, Markus Freitag und Adrian Vatter (Hrsg.). Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung: 145-162. 

Foto: Flickr