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Ausländervorlagen mobilisieren die Jungen überdurchschnittlich

Benjamin Schlegel
7th Oktober 2015

Was lockt junge Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an die Urne? In einer Forschungsarbeit hat Benjamin Schlegel, MA-Student der Universität Zürich, diese Frage mittels Daten aus der Stadt St. Gallen untersucht und ist zu überraschenden Ergebnissen gekommen. Themen, die Junge direkt betreffen, mobilisieren wenig, Ausländervorlagen umso stärker. 

Junge Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind nicht per se abstimmungsfaul. Ihre Beteiligung hängt aber stark von der Vorlage ab. Wenn eine Abstimmung über Militär-, Ausländer- oder Arbeitsmarktthemen stattfindet, nehmen viele junge Stimmbürgerinnen und Stimmbürger teil. Auch Wahlen mobilisieren Junge. Dies zeigen Auswertungen der letzten fünf Jahre, die sich auf die Stadt St. Gallen beziehen. 

Militär-, Ausländer und Arbeitsmarktvorlagen mobilisieren die Jungen

Am 18. Mai 2014 verwarf das Schweizer Stimmvolk die Anschaffung des Kampfjets Gripen und die Mindestlohninitiative. Diese Themen lockten auch die jungen St.Gallerinnen und St.Galler an die Urne. Nie lag die Beteiligung der Jungen im Vergleich zur älteren Bevölkerung höher als an diesem Abstimmungssonntag.

Nur minimal geringer war die Beteiligung der Jungen bei der Ausschaffungsinitiative 2010 oder der Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014. Wenn in den letzten fünf Jahren die Jugendbeteiligung hoch war, stand immer mindestens eine Vorlage zu Militär-, Ausländer- und Arbeitsmarktthemen zur Abstimmung.

Auch an den letzten Nationalratswahlen 2011 nahmen die jungen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ebenfalls überdurchschnittlich teil.

Bei welchen Abstimmungen war die Stimmbeteiligung der Jungen im Vergleich zu den Älteren relativ am höchsten?

Gratis Busfahren für junge Erwachsene zog bei den Jungen nicht

2012 wollten die JUSO St. Gallen den Jungen zu Gratisfahren im öffentlichen Verkehr verhelfen. Doch ihre Initiative „gratis öV für unter 25-Jährige“ konnte die jungen Stimmberechtigten kaum mobilisieren. Dies überrascht, da die Jungen bei einer Annahme der Initiative profitiert hätten.

Ebenfalls auf wenig Interesse bei den Jungen stiess der Bundebeschluss zur Jugendmusikförderung oder die Initiative zum Schutz vor Passivrauchen. Die tiefste Beteiligung im Vergleich zur älteren Bevölkerung hatten die Jungen beim Tierseuchengesetz, welche auch die allgemein tiefste Stimmbeteiligung aufwies.

Asylthema und Abzockersaläre interessieren die Jungen nicht

Anders als die Ausländerthemen mobilisierten Asylthemen die Jungen kaum. Bei der Abstimmung zur Änderung des Asylgesetzes lag die relative Beteiligung der Jungen bei nur 45.6 Prozent.

Ebenfalls auf wenig Interesse bei den Jungen stiess der zweite Wahlgang der Regierungsratswahlen im Kanton St. Gallen. Beim Showdown zwischen dem SP-Kantonsrat Fredy Fässler und dem SVP-Fraktionspräsidenten Michael Götte nahmen die Jungen nur spärlich teil.

Der Abstimmungsforscher Thomas Milic ist der Ansicht, dass ein Teil der höheren Jugendbeteiligung durch eine höhere allgemeine Beteiligung erklärt werden kann. Viele ältere Personen gehen regelmässig an die Urne. Die Jungen hingegen gehen häufig nur bei einer Abstimmung mit einem intensiven Abstimmungskampf. Dieses Argument kann jedoch nur einen Teil der Unterschiede erklären, wie Milic anfügt:

"Die Empörung über die Abzockersaläre hielt sich bei den Jungen in Grenzen. Hingegen waren die älteren Stimmberechtigen bei der Abzockerinitiative geradezu elektrifiziert."

Thomas Milic

Aus diesem Grund fiel die Jugendbeteiligung bei dieser Vorlage überdurchschnittlich tief aus. Bei der Revision der Arbeitslosenversicherung beteiligten sich die Jungen hingegen überdurchschnittlich, trotz der eher geringen allgemeinen Stimmbeteiligung. Dies läge daran, dass die Jungen bei dieser Vorlage überdurchschnittlich betroffen waren, sagt Milic.

INFOBOX

Für die Untersuchung wurden die Stimmregisterdaten der Stadt St. Gallen ausgewertet. Die Stadt St. Gallen registriert seit 2010 alle Stimmregisterausweise, welche für die Abstimmungen resp. Wahlen verwendet wurden. Da diese Datenbasis eine Vollerhebung darstellt, sind präzise Aussagen über das Partizipationsverhalten möglich.

Um die relative Stimmbeteiligung zu berechnen, wurde die Subgruppe der jungen Wählerinnen und Wähler mit der Subgruppe der älteren Wählerinnen und Wähler verglichen.

Relativer Mobilisierungsgrad = Stimmbeteiligung 18 bis 25 / Stimmbeteiligung ab 18

Mit dieser Formel ist es möglich, Abstimmungstermine zu finden, bei denen die Jungen im Vergleich zu den Älteren überdurchschnittlich oder unterdurchschnittlich teilgenommen haben.

 


Referenzen:

  • Fachstelle für Statistik Kanton St. Gallen (2010-2014): Statistikdaten Stimmbeteiligte Stadt St. Gallen. Datensatz.

  • Schlegel, Benjamin (2015): Stimmbeteiligung der jungen Wähler.

Foto: Benjamin Schlegel