Viele Vorstösse, wenig Wirkung? Nutzung und Erfolg parlamentarischer Instrumente in der Bundesversammlung

Die Aus­lö­sung von Geset­zen gilt als die wich­tigs­te und anspruchs­volls­te Auf­ga­be des Par­la­ments. Der Bei­trag geht der Fra­ge nach der Nut­zung und dem Erfolg bzw. Miss­erfolg von par­la­men­ta­ri­schen Instru­men­ten nach, aber auch, wie sich die Nut­zung der ein­zel­nen Instru­men­te der Bun­des­ver­samm­lung über die Zeit ver­än­dert hat und wie sich der Gebrauch auf die ver­schie­de­nen Frak­tio­nen, Poli­tik­fel­der und Ein­rei­chungs­ar­ten verteilt.

Unse­re Stu­die zeigt auf, dass die weit ver­brei­te­te Hypo­the­se der stei­gen­den Vor­stoss­flut (Graf 1991, Wirz und Vat­ter 2014) zutrifft und heu­te alle Instru­men­te mit Aus­nah­me der Anfra­ge häu­fi­ger genutzt wer­den als Mit­te der 1990er-Jah­re (sie­he Abbil­dung 1). Die wesent­li­chen Grün­de dafür sind die Ein­füh­rung der stän­di­gen par­la­men­ta­ri­schen Kom­mis­sio­nen sowie der Aus­bau der par­la­men­ta­ri­schen Initia­tiv­rech­te (Lüthi 2014).

Abbildung 1: Nutzung der parlamentarischen Vorstösse, 1994–2015

Unse­re Daten wei­sen im Wei­te­ren eine beson­ders inten­si­ve Nut­zung der par­la­men­ta­ri­schen Instru­men­te durch die Pol­par­tei­en SVP und SP nach. Aller­dings haben die ein­zel­nen Par­tei­en im Ver­lau­fe der Zeit unter­schied­li­che Vor­lie­ben ent­wi­ckelt. Bei den von ein­zel­nen Par­la­ments­mit­glie­dern ein­ge­reich­ten Pos­tu­la­ten, Motio­nen und par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ven ist die SP beson­ders aktiv. Dem­ge­gen­über setzt die FDP beson­ders auf Frak­ti­ons­pos­tu­la­te und die SVP auf die Frak­ti­ons­mo­tio­nen und ‑initia­ti­ven.

Die Aus­wer­tun­gen machen zudem deut­lich, dass die Vor­stös­se in Wahl­jah­ren weni­ger oft ein­ge­setzt wer­den als in Jah­ren ohne eid­ge­nös­si­schen Wahl­ter­min. In beson­ders deut­li­chem Mas­se trifft dies bei den Anfra­gen, Inter­pel­la­tio­nen und Pos­tu­la­ten zu.

Eben­falls deut­lich bestä­tigt sich die Annah­me, wonach der Natio­nal­rat bei der Ein­rei­chung von Vor­stös­sen viel akti­ver ist als der Stän­de­rat, wäh­rend es sich beim Erfolgs­grad gera­de umge­kehrt ver­hält. Dies ist auf die grös­se­re par­tei­po­li­ti­sche Homo­ge­ni­tät und das regie­rungs­treue­re Ver­hal­ten der Zwei­ten Kam­mer zurückzuführen.

Polparteien sind weniger erfolgreich als Mitteparteien

Die empi­ri­schen Ana­ly­sen über die Erfolgs­aus­sich­ten der ver­schie­de­nen Frak­tio­nen zei­gen zudem auf, dass die Erfolgs­quo­ten der Pol­par­tei­en meist signi­fi­kant gerin­ger aus­fal­len als bei den übri­gen Par­tei­en. Umge­kehrt erweist sich vor allem die CVP-Frak­ti­on als beson­ders mehr­heits­fä­hig und erfolg­reich. Dies lässt sich mit ihrer Posi­ti­on als bür­ger­li­che Mit­te­par­tei und ihrer Nähe zum Medi­an­par­la­men­ta­ri­er begrün­den sowie mit ihren viel­fäl­ti­gen Koali­ti­ons­mög­lich­kei­ten nach links und rechts, um Mehr­hei­ten in den bei­den Räten zu beschaf­fen. In Bezug auf den Erfolgs­grad von Motio­nen und par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ven hat die CVP den Spit­zen­platz aller­dings erst in den 2000er-Jah­ren von der FDP übernommen.

Kom­mis­si­ons­vor­stös­se sind für alle par­la­men­ta­ri­schen Instru­men­te signi­fi­kant und deut­lich erfolg­rei­cher als Frak­ti­ons- und Ein­zel­vor­stös­se. Die reprä­sen­ta­ti­ve Zusam­men­set­zung der Kom­mis­sio­nen schei­nen damit einen mäs­si­gen­den Effekt auf den Inhalt der Vor­stös­se aus­zu­üben, was die Unter­stüt­zung über die Par­tei­gren­zen hin­weg för­dert. Zudem haben Kom­mis­si­ons­vor­stös­se schon eine ers­te wich­ti­ge Hür­de genom­men, wenn sie von der Mehr­heit der Kom­mis­si­on unter­stützt wer­den, wes­halb dann häu­fig auch die Unter­stüt­zung in den Räten folgt.

Deut­lich sicht­bar ist schliess­lich die abneh­men­de Erfolgs­quo­te bei stei­gen­dem Wir­kungs­grad eines par­la­men­ta­ri­schen Instru­ments: je wir­kungs­vol­ler ein Instru­ment ist, des­to gerin­ger ist die Aus­sicht auf Erfolg. So hat die par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ve als stärks­tes Instru­ment der Legis­la­ti­ve eine Erfolgs­quo­te von nur rund 14 Pro­zent, die Moti­on ist in rund 18 Pro­zent aller Fäl­le erfolg­reich und das Pos­tu­lat weist mit 43 Pro­zent die gröss­te Erfolgs­aus­sicht aus.

Die Legislative wurde über die Zeit selbstbewusster

Zusam­men­fas­send macht unser Bei­trag deut­lich, dass das Bun­des­par­la­ment heu­te sei­ne Instru­men­te häu­fi­ger nutzt als noch vor 15 Jah­ren, was Aus­druck einer zuneh­mend selbst­be­wuss­ten und selbst­stän­di­gen Legis­la­ti­ve sowie eine Fol­ge des moder­ni­sier­ten Par­la­ments­rechts ist.

Gleich­zei­tig ste­hen den stark gestie­ge­nen par­la­men­ta­ri­schen Akti­vi­tä­ten eher beschei­de­ne direk­te Erfol­ge gegen­über. Ein wich­ti­ger Grund hier­für liegt dar­in, dass die gros­se Mehr­zahl der par­la­men­ta­ri­schen Vor­stös­se nicht von den Mit­te­par­tei­en, son­dern von den lin­ken und rech­ten Pol­par­tei­en zur eige­nen Pro­fi­lie­rung ein­ge­reicht wird. Die höchs­te Erfolgs­wahr­schein­lich­keit besteht, wenn par­la­men­ta­ri­sche Vor­stös­se von einer Kom­mis­si­on oder der CVP-Frak­ti­on stam­men und wenn sie zunächst im Stän­de­rat behan­delt wer­den. Nicht zu unter­schät­zen sind aber auch die viel­fäl­ti­gen indi­rek­ten Wir­kun­gen der ver­wor­fe­nen Vor­stös­se, die im Fokus zukünf­ti­ger Unter­su­chun­gen ste­hen sollten.

Daten und Vorgehensweise
Die Daten stam­men von den Par­la­ments­diens­ten des Bun­des. Für die Stu­die wur­den alle Vor­stös­se berück­sich­tigt, die von 1994 bis 2014 bzw. 2015 ein­ge­reicht wur­den. Ins­ge­samt wur­den 3210 Anfra­gen, 8835 Inter­pel­la­tio­nen, 3321 Pos­tu­la­te, 7112 Motio­nen und 1763 par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ven berück­sich­tigt. Neben einer deskrip­ti­ven Aus­wer­tung wur­den auch logis­ti­sche Regres­si­ons­schät­zun­gen zu den Erfolgs­fak­to­ren durchgeführt.

Lite­ra­tur

  • Graf, Mar­tin (1991). Moti­on und Par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ve. Unter­su­chun­gen zu ihrer Hand­ha­bung und poli­ti­schen Funk­ti­on. In: Par­la­ments­diens­te (Hg.]‚ Das Par­la­ment — «Obers­te Gewalt des Bun­des»? Fest­schrift der Bun­des­ver­samm­lung zur 700-]ahr-Feier der Eid­ge­nos­sen­schaft: 203–221. Bern/Stuttgart: Haupt.
  • Lüthi, Ruth (2014). Das Par­la­ment. In: Kno­e­pfel, Peter; Papado­pou­los, Yan­nis; Scia­ri­ni, Pas­cal; Vat­ter, Adri­an; Hau­ser­mann, Sil­ja [Hg.], Hand­buch der Schwei­zer Poli­tik, 5. Auf­la­ge: 169–192. Zürich: NZZ Libro.
  • Wirz, Rolf und Adri­an Vat­ter (2014). Die Par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ve in der Bun­des­ver­samm­lung: ein wir­kungs­lo­ses Instru­ment der Pol­par­tei­en? Par­la­ment. Mit­tei­lungs­blatt der Schwei­ze­ri­schen Gesell­schaft für Par­la­ments­fra­gen 18(2): 30–40.

 

Refe­renz

Brü­sch­wei­ler, Jonas und Adri­an Vat­ter (2018). Vie­le Vor­stös­se, wenig Wir­kung? Nut­zung und Erfolg par­la­men­ta­ri­scher Instru­men­te in der Bun­des­ver­samm­lung, in: Vat­ter, Adri­an (Hg.): Das Par­la­ment in der Schweiz. Macht und Ohn­macht der Volks­ver­tre­tung. Zürich: NZZ Libro.

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