Politische Bildung in Zeiten von Twitter, Facebook und Co.

Fake News haben jüngst zu einer brei­te­ren Dis­kus­si­on geführt. Die Ver­än­de­rung der medi­al gepräg­ten Öffent­lich­keit durch Inter­net und sozia­le Medi­en ist in den ver­gan­ge­nen Mona­ten mit den Schlag­zei­len um Face­book und den Dis­kus­sio­nen zur No-Bilag-Initia­ti­ve ins öffent­li­che Bewusst­sein gerückt. Liken, tei­len, pos­ten und twee­ten tra­gen heu­te zur öffent­li­chen Mei­nungs­bil­dung bei. Wel­che Auf­ga­ben erge­ben sich dar­aus für die Schu­le und die Poli­ti­sche Bildung?

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 Neue Nutzungsgewohnheiten und Strukturwandel der Öffentlichkeit

Die halb­di­rek­te demo­kra­ti­sche Schweiz benö­tigt gut infor­mier­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger. Im letz­ten Jahr­zehnt haben sich deren media­le Nut­zungs­ge­wohn­hei­ten deut­lich ver­än­dert. Gemäss einer Befra­gung des fög (For­schungs­in­sti­tut Öffent­lich­keit und Gesell­schaft der Uni­ver­si­tät Zürich) aus dem Jahr 2017 nut­zen 32 Pro­zent der Befrag­ten – neben tra­di­tio­nel­len Medi­en – News­si­tes als Haupt­quel­le für Nach­rich­ten; hin­zu kom­men die News, die über sozia­le Medi­en wie Face­book zur Kennt­nis genom­men wer­den (Vog­ler 2017). Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne kon­su­mie­ren News fast aus­schliess­lich im Netz.

Mit dem ver­än­der­ten Nut­zer­ver­hal­ten geht ein Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit ein­her. Klas­si­sche Medi­en wie Radio, Fern­se­hen und Zei­tun­gen ver­lie­ren ihre Gate­kee­per­funk­ti­on, wäh­rend neue Instan­zen der Infor­ma­ti­ons­fil­te­rung und ‑dis­tri­bu­ti­on an Ein­fluss gewin­nen. Per­so­nen und Inter­es­sen­grup­pen mit Netz­zu­gang kön­nen unkom­pli­ziert Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen über sozia­le Medi­en tei­len und rasend schnell einer gros­sen Anzahl poten­ti­el­ler Rezi­pie­ren­den zugäng­lich machen. Eine Vor­ab­kon­trol­le und Aus­wahl durch Medi­en­schaf­fen­de ent­fällt dabei. Algo­rith­men der Tech­in­ter­me­diä­re ver­tei­len News in einem «glo­bal ver­netz­ten, hoch­sen­si­blen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­uni­ver­sum, das sei­ne Wir­kung im Extrem­fall auf kaum kon­trol­lier­ba­re Wei­se maxi­miert» (Pörk­sen 2018).

So gesche­hen ist dies bei­spiels­wei­se beim Atten­tat auf die Redak­ti­on von Char­lie Heb­do in Paris. Inner­halb von Stun­den ging das Ama­teur­vi­deo eines geschock­ten Zeu­gens viral, der den Über­fall aus nächs­ter Nähe geflimt hat­te und auf Face­book ver­öf­fent­lich­te. Die dem Anlass inhä­ren­te Emo­tio­na­li­tät befeu­er­te die Wei­ter­ga­be der Bil­der, die eine Exe­ku­ti­on aus nächs­ter Nähe zeig­ten und somit als voy­eu­ris­tisch und men­schen­ver­ach­tend ein­zu­stu­fen sind. Die eta­blier­ten Medi­en wie das fran­zö­si­sche Fern­se­hen zogen mit. Anstel­le des ein­zel­nen Leit­me­di­ums war ein Medi­en­ver­bund getre­ten, der sowohl redak­tio­nel­le als auch sozia­le Medi­en umfass­te, und im wech­sel­sei­ti­gen Zusam­men­spiel eine enor­me Wirk­sam­keit entfachte.

Die­ses Bei­spiel ver­deut­licht, dass die Ver­ant­wor­tung für die öffent­li­che Sphä­re heu­te nicht mehr nur bei den pro­fes­sio­nel­len Medi­en liegt, son­dern auch bei jedem Ein­zel­nen, der sich im Netz betä­tigt. Gefor­dert ist dabei eine sen­si­ble Moral der Nut­ze­rin­nen und Nut­zer und eine gewis­se Skep­sis, die dem Wei­ter­lei­ten von Infor­ma­tio­nen vor­an­geht. Nicht zu unter­schät­zen sind aus­ser­dem die Mög­lich­kei­ten der Tech­in­ter­me­diä­re wie Goog­le, Face­book u. a., auf der Basis von Big Data und User­pro­fi­len Nut­ze­rin­nen und Nut­zer pass­ge­nau mit Infor­ma­tio­nen zu bedie­nen. Die ange­wand­ten Mecha­nis­men lau­fen dem Prin­zip ent­ge­gen, viel­fäl­ti­ge und aus unter­schied­li­chen Quel­len stam­men­de Infor­ma­tio­nen zur Kennt­nis zu neh­men und im Fal­le von Kon­to­ver­sen auch die Argu­men­te der Gegen­sei­te wahrzunehmen.

Jugendliche im Netz

Die Infor­ma­ti­ons­flut und Unüber­sicht­lich­keit im digi­ta­len Raum sowie die öffent­li­che Debat­te um Fake News kann zu einer Ver­un­si­che­rung bei den Jugend­li­chen als auch zu einem Ver­trau­ens­ver­lust in Medi­en und Poli­tik füh­ren (Easy­vo­te-Poli­tik­mo­ni­tor 2017). Mehr denn je sind dem­nach auch poli­ti­sche Medi­en­kom­pe­ten­zen gefragt. Im Vor­der­grund steht dabei die Kom­pe­tenz, die Insze­nie­rung und Hand­lungs­wei­sen in sozia­len Netz­wer­ken zu durch­bli­cken, Bewer­tun­gen von Infor­ma­tio­nen effi­zi­ent durch­zu­füh­ren und Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se aktiv zu gestal­ten, sowie das Inter­net für das Ver­tre­ten der eige­nen Posi­tio­nen, Mei­nun­gen und Ansich­ten reflek­tiert zu nutzen.

Unter ande­rem stellt sich die Fra­ge, wel­che  Prüf- und Bewer­tungs­kri­te­ri­en Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne an die Infor­ma­tio­nen anwen­den, denen sie täg­lich auf ihren Smart­pho­nes begeg­nen. In einer viel­be­ach­te­ten Stu­die der Stand­ford Histo­ry Edu­ca­ti­on Group (Wine­burg et al. 2017) ergab sich hin­sicht­lich der Fähig­kei­ten ame­ri­ka­ni­scher Jugend­li­cher, Online­in­for­ma­tio­nen zu ver­ste­hen und zu prü­fen, ein ernüch­tern­des Bild: Die wenigs­ten konn­ten eine Wer­be­re­por­ta­ge von einer redak­tio­nel­len Bericht­erstat­tung unter­schei­den und sie über­schätz­ten die Glaub­wür­dig­keit von Bildern.

Resul­ta­te aus Eva­lua­ting Infor­ma­ti­on (Wine­burg et al. 2017)
80 % der Befrag­ten Ober­stu­fen­schü­le­rin­nen und ‑schü­ler konn­ten eine im Inter­net auf­ge­schal­te­te Wer­be­st­ory nicht von einer redak­tio­nel­len Bericht­erstat­tung unter­schei­den, und nur 20% der High School Schüler/innen (Gym­na­si­um) bezwei­fel­ten die Glaub­wür­dig­keit eines Bil­des, das ver­krüp­pel­te Mar­ge­ri­ten­blu­men zeig­te und die Über­schrift trug «not much to say, this is what hap­pens when flowers get nuclear birth defects».

In jün­ge­rer Zeit hat sich das Phä­no­men der Fake News als ein her­aus­for­dern­des Pro­blem ent­puppt. Gera­de Kin­der und Jugend­li­che sind im post­fak­ti­schen Zeit­al­ter beson­ders gefor­dert, da sie Infor­ma­tio­nen haupt­säch­lich über sozia­le Medi­en kon­su­mie­ren (Süss et al. 2016) und ihren Freun­din­nen und Freun­den inner­halb der Netz­wer­ke ver­trau­en. So ergibt sich im Umgang mit digi­ta­ler Infor­ma­ti­on mehr denn je die Anfor­de­rung an den ein­zel­nen Nut­zer oder die ein­zel­ne Nut­ze­rin, vor dem Liken und Tei­len die Rele­vanz und Glaub­wür­dig­keit zu über­prü­fen und die­se mit ethi­schen Stan­dards abzu­glei­chen. Es geht also dar­um, pro­fes­sio­nel­le Stra­te­gien anzu­wen­den. Dies stellt zwar hohe Anfor­de­run­gen, kann aber auch zu mehr Unab­hän­gig­keit führen.

Ansprüche an Schule und Politische Bildung

Der Schu­le – wich­tigs­te Sozia­li­sa­ti­ons­in­stanz nebst Fami­lie und Peers – kommt die Auf­ga­be zu, jun­ge Men­schen, die unter­schied­li­che Hal­tun­gen und Prak­ti­ken in Bezug auf das Netz aus­ge­bil­det haben, zusam­men­zu­füh­ren. Ange­sichts der neu­en Anfor­de­run­gen an jeden Ein­zel­nen for­dert bei­spiels­wei­se der Medi­en­wis­sen­schaft­ler Bern­hard Pörk­sen, die «Nor­men und Prin­zi­pi­en eines ide­al gedach­ten Jour­na­lis­mus» zum Bestand­teil der All­ge­mein­bil­dung zu machen. Damit zielt er auf eine «Medi­en­mün­dig­keit». Die­se muss aller­dings von allen gefor­dert wer­den. Wegen der Grös­se der Auf­ga­be und ihrer Bedeu­tung für die Demo­kra­tie ste­hen hier wei­te­re Berei­che des gesell­schaft­li­chen Sys­tems in der Pflicht. So steht die Poli­tik spä­tes­tens nach dem Skan­dal um Cam­bridge Ana­ly­ti­ca vor der Auf­ga­be, den Druck auf inter­na­tio­nal ope­rie­ren­de Tech­in­ter­me­diä­re zu erhö­hen, damit sie auf­zu­klä­ren und Trans­pa­renz zu schaf­fen beginnen.

Das Poten­ti­al der (Hoch‑)Schule ergibt sich aus zwei Punk­ten: Ers­tens ist Wis­sens­ver­mitt­lung seit lan­gem ihr Kern­ge­schäft. Zwei­tens kön­nen Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen Orte der Begeg­nung und des Dis­kur­ses über gesell­schaft­li­che Phä­no­me­ne sein. Kon­fron­tiert mit den viel­fäl­ti­gen Mög­lich­kei­ten, Fake News im Netz zu ver­tei­len, und der Fra­ge, was Wahr­heit ist, wird die schu­li­sche Auf­ga­be akzen­tu­iert, Ein­blick dar­in zu geben, wie in dis­zi­pli­nä­rer Logik Wis­sen ent­steht, wel­chen Güte­kri­te­ri­en die­ses genügt bzw. genü­gen soll und wel­che Unsi­cher­hei­ten damit ver­bun­den sind. The­ma­ti­siert wer­den müss­te der Ein­fluss von Denk­tra­di­tio­nen und gesell­schaft­li­chen Dis­kur­sen. Zudem müss­ten Grund­ein­sich­ten der sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Lite­ra­tur zum Grup­pen- und Bestä­ti­gungs­den­ken in die Refle­xi­on ein­be­zo­gen wer­den. Ziel ist, gemein­sam geteil­te Wis­sens­netz­wer­ke auf­zu­bau­en (Wampf­ler 2017), zu deren Ent­ste­hung die Ler­nen­den dis­kur­siv beitragen.

Die Poli­ti­sche Bil­dung ist dar­in gefor­dert, für Macht­ver­hält­nis­se im Netz zu sen­si­bi­li­sie­ren. Als Pro­du­zen­ten und Kon­su­men­ten gene­rie­ren Kin­der und Jugend­li­che Nut­zer­da­ten, die zu einer Wäh­rung des Digi­ta­len gewor­den sind. Das Recht an Daten und der Daten­schutz sind eben­so zu the­ma­ti­sie­ren wie die Ver­läss­lich­keit und Objek­ti­vi­tät von Quel­len und kon­kre­te Kri­te­ri­en, die bei der Ein­ord­nung von mehr oder min­der ver­trau­ens­wür­di­gen (poli­ti­schen) Infor­ma­tio­nen lei­tend sein kön­nen. Dies ver­langt nach Kon­tex­tua­li­sie­rung, wes­halb wie­der­um auch die Moti­ve der Infor­mie­ren­den in den Blick zu neh­men sind.

Dar­über hin­aus gilt es, die Wir­kung eige­ner Postings abzu­schät­zen und eine Ethik des Tei­lens zu ent­wi­ckeln. Eben­so müs­sen Spiel­re­geln für ver­nunft­ge­lei­te­te, um das bes­se­re Argu­ment rin­gen­den Debat­ten auf­ge­grif­fen wer­den, die auf sorg­fäl­tig recher­chier­ten Infor­ma­tio­nen auf­bau­en. Die dabei ange­streb­te Grund­ein­sicht ist, dass eine demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit sowohl Auf­merk­sam­keit als auch Acht­sam­keit benö­tigt; gera­de weil demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit nicht ein­fach gege­ben und mit­un­ter durch aggres­si­ve Pola­ri­sie­rung bedroht ist.


Lite­ra­tur:

Bild: Pixabay.

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