Das Verordnungsveto – aus einer parlamentarischen Sichtweise beleuchtet

Der Arg­wohn gegen­über dem Ver­ord­nungs­ve­to ist gewal­tig. Ins­be­son­de­re wird die Ver­let­zung der Gewal­ten­tei­lung moniert sowie der Macht­zu­wachs des Par­la­men­tes befürch­tet. Der Arti­kel beleuch­tet das Veto aus einer par­la­men­ta­risch-insti­tu­tio­nel­len Sicht­wei­se. Mit einem Veto wür­de zwar der par­la­men­ta­ri­sche Ein­fluss ver­grös­sert, ohne dass es dadurch zu einer tek­to­ni­schen Macht­ver­schie­bung von der Regie­rung hin zum Par­la­ment käme.

Zur­zeit wird auf Bun­des- und teil­wei­se auf Kan­tons­ebe­ne über die Ein­füh­rung eines Vetos gegen Ver­ord­nun­gen dis­ku­tiert. Die Befür­wor­ter haben einen schwe­ren Stand, wer­den doch mas­si­ve staats­po­li­ti­sche Ein­wän­de vor­ge­bracht: Ver­let­zung der Gewal­ten­tren­nung, Macht­ver­schie­bung zuguns­ten des Par­la­ments. Es wird auf die Unzu­läs­sig­keit eines Vetos des Natio­nal- und des Stän­de­ra­tes hin­ge­wie­sen, weil die Bun­des­ver­fas­sung den Bun­des­rat allein und unein­ge­schränkt zum Erlass von Ver­ord­nun­gen für zustän­dig erklärt.

 Verletzung der Gewaltenteilung und Machtverschiebung

Auch auf Kan­tons­ebe­ne wird mit Ver­let­zung der Gewal­ten­tei­lung argu­men­tiert. So führt die Zür­cher Regie­rung aus: «Das Ver­ord­nungs­ve­to ver­letzt die Kern­kom­pe­tenz des Regie­rungs­ra­tes. Der Voll­zug – zu dem auch der Erlass von Ver­ord­nun­gen gehört – bil­det im Sys­tem der Gewal­ten­tei­lung die Kern­auf­ga­be der Exe­ku­ti­ve.» Gleich argu­men­tiert die Schaff­hau­ser Regie­rung; sie hegt zudem die Befürch­tung, das Veto könn­te zu «einer von der Ver­fas­sung nicht vor­ge­se­he­nen Macht­ver­schie­bung zuguns­ten des Par­la­ments» führen.

Die­se bei­den mar­kan­tes­ten Ein­wän­de – Ver­let­zung der Gewal­ten­tren­nung und Macht­ver­schie­bung zuun­guns­ten der Exe­ku­ti­ve – wer­den vor allem von der Exe­ku­ti­ve vor­ge­bracht, wie aber sieht die Situa­ti­on aus par­la­men­ta­ri­scher Sicht aus? Zunächst zur Gewal­ten­tei­lung: Die­se ist in den Kan­tons­ver­fas­sun­gen bei­spiels­wei­se mit der Bestim­mung beschrie­ben: «Die Orga­ni­sa­ti­on der Behör­den rich­tet sich am Grund­satz der Gewal­ten­tei­lung aus.» Dies umfasst die orga­ni­sa­to­ri­sche und per­so­nel­le Tren­nung der staat­li­chen Funk­tio­nen und die Zuwei­sung jeweils einer Haupt­funk­ti­on an eine der Gewalten.

Gewaltenteilung ist nicht gleich Gewaltenteilung

Je nach Denk­schu­le weist jedoch die Gewal­ten­tei­lung unter­schied­li­che Aus­prä­gun­gen auf. Das Ide­al älte­rer Gewal­ten­tei­lungs­leh­ren, nach denen jedes Organ aus­schliess­lich auf eine Funk­ti­on beschränkt ist und die Staats­or­ga­ne von­ein­an­der unab­hän­gig und eigen­stän­dig sind, ist in heu­ti­gen poli­ti­schen Sys­te­men oft­mals durch­bro­chen. Es genügt ein Blick nach Deutsch­land mit sei­nem Regie­rungs­sys­tem, um eines der deut­lichs­ten Bei­spie­le die­ser Ver­fas­sungs­pra­xis zu fin­den: Die Bun­des­kanz­le­rin und die Minis­ter üben ihr Par­la­ments­man­dat trotz ihrer Regie­rungs­tä­tig­keit wei­ter­hin aus. Das Prin­zip der strik­ten Gewal­ten­tren­nung ist auf­ge­ho­ben, die Exe­ku­ti­ve und die Legis­la­ti­ve sind stark verschränkt.

Auch in der Schweiz sind – wenn­gleich weni­ger aus­ge­prägt – Abwei­chun­gen von der orga­ni­sa­to­ri­schen Gewal­ten­tei­lung aus­zu­ma­chen, und sie sind sogar in der Ver­fas­sung ver­an­kert: So ste­hen dem Bun­des­rat nicht nur die Ver­wal­tungs­tä­tig­keit und die Regie­rungs­funk­ti­on zu, son­dern er hat auch Recht­set­zungs­be­fug­nis­se. Wird ein Veto ein­ge­führt, so han­delt es sich also ledig­lich um eine zusätz­li­che Abwei­chung von der orga­ni­sa­to­ri­schen Gewal­ten­tei­lung – zuguns­ten des Par­la­ments. Dabei gilt es das Aus­mass eines sol­chen Schrit­tes im Auge zu behal­ten: Ein Veto wür­de nicht zu einer kom­plet­ten Durch­bre­chung – wie etwa im deut­schen Sys­tem – oder gar zu einer Auf­lö­sung der Gewal­ten­tren­nung führen.

Die politische Macht liegt bei den Exekutiven

Nun zum Ein­wand der Macht­ver­schie­bung zuguns­ten des Par­la­ments. Mit Blick auf die Kan­to­ne liegt im poli­ti­schen All­tag – sowohl inner­kan­to­nal und inter­kan­to­nal als auch gegen­über dem Bund – die Meinungs‑, Gestal­tungs- und Ent­schei­dungs­macht eher bei der Regie­rung als beim Par­la­ment. Mit der Mög­lich­keit des Vetos wer­den die Kom­pe­ten­zen des Par­la­ments und damit des­sen Ein­fluss­be­reich wie­der ein wenig erwei­tert. Dies führt zwar zu einer Stär­kung der Volks­ver­tre­tung, doch ins­ge­samt bleibt das poli­ti­sche Macht­ver­hält­nis zuguns­ten der Regie­rung bestehen.

Veto vergrössert der parlamentarische Entscheidungskorridor

Möch­te das Par­la­ment ein Veto ein­füh­ren, so soll­ten nach­fol­gen­de Punk­te bedacht und ins­be­son­de­re Hür­den ein­ge­baut wer­den: Die Kom­pe­tenz­ver­tei­lung zwi­schen Exe­ku­ti­ve und Legis­la­ti­ve bei Ver­ord­nun­gen und Ver­ord­nungs­ve­tos muss auf ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­la­gen fus­sen und fest­ge­schrie­ben sein. Die Anzahl der Unter­schrif­ten für die Ein­rei­chung eines Vetos gegen eine Ver­ord­nung ist fest­zu­le­gen. Ein Veto muss begrün­det sein sowie durch die Mehr­heit des Par­la­ments bestä­tigt wer­den. Bedeu­tend ist der Hin­weis auf den Solo­thur­ner Kan­tons­rat, das ein­zi­ge Par­la­ment mit der Mög­lich­keit zu einem umfas­sen­den Veto: Das Veto ent­fal­tet kei­ne bin­den­de Wir­kung für die Regie­rung. Bemer­kens­wert ist hier auch die Sta­tis­tik: Seit 1998 wur­den 1115 Ver­ord­nun­gen erlas­sen. Gegen 77 Ver­ord­nun­gen erhob der Kan­tons­rat Ein­spruch, nur jeder fünf­te wur­de jedoch bestä­tigt. Acht Ver­ord­nun­gen zog die Regie­rung auf­grund der Dis­kus­si­on von sich aus zurück.

Durch die beschrie­be­ne Mög­lich­keit des Vetos wür­de der par­la­men­ta­ri­sche Ein­fluss ver­grös­sert. Dies wie­der­um wür­de zu einer par­ti­el­len Stär­kung des Par­la­ments füh­ren, ohne dass es dadurch zu einer tek­to­ni­schen Macht­ver­schie­bung von der Regie­rung hin zum Par­la­ment käme.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag erschien am  16. Novem­ber 2017 in der Neu­en Zür­cher Zei­tung.

Bild: Wiki­me­dia Com­mons.

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