In der Stadt Zürich stärkt die kulturelle Vielfalt den sozialen Zusammenhalt

 Sind die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner von kul­tu­rell stark durch­misch­ten Quar­tie­ren auf­ge­schlos­sen gegen­über ande­ren eth­ni­schen Grup­pen? Oder kommt das Quar­tiers­le­ben wegen die­ser Hete­ro­ge­ni­tät eher zum Erlie­gen? Wir haben Zür­che­rin­nen und Zür­cher dazu befragt und kön­nen sagen, dass in der gröss­ten Stadt der Schweiz die kul­tu­rel­le und eth­ni­sche Viel­falt im Quar­tier einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die sozia­len Bezie­hun­gen und den Zusam­men­halt der Bevöl­ke­rung hat.

Jede drit­te in Zürich wohn­haf­te Per­son hat kei­nen Schwei­zer Pass und von zehn Zür­che­rin­nen und Zür­chern wei­sen sechs einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund auf. Das ist typisch für ein Ein­wan­de­rungs­land, wie es die Schweiz ist. Die Ein­wan­de­rungs­wel­len, wel­che die Schweiz in ihrer Geschich­te erlebt hat, lös­ten in der Bevöl­ke­rung aller­dings (anfäng­lich) oft­mals Skep­sis gegen­über dem Frem­den aus und füh­ren bei vie­len Men­schen zu einer Abwehr­hal­tung gegen­über den Migran­tin­nen und Migran­ten (Ria­ño und Wastl-Wal­ter 2006).

In kulturell durchmischten Quartieren ist der soziale Kitt stärker

Unse­re aktu­el­le Stu­die zeigt aller­dings, dass die kul­tu­rel­le Viel­falt in Zürich einen signi­fi­kant posi­ti­ven Ein­fluss auf den sozia­len Zusam­men­halt hat. Je höher der Aus­län­der­an­teil in einem Quar­tier, des­to stär­ker ist auch das Ver­trau­en der Befrag­ten in ihre Mit­men­schen. Die­ses sozia­le Ver­trau­en – ein wich­ti­ger Grund­stein sozia­ler Bezie­hun­gen – kann als gene­rel­les Ver­trau­en in die Men­schen oder spe­zi­fi­scher als Ver­trau­en gegen­über ande­ren eth­ni­schen Grup­pen betrach­tet wer­den. Bei­de Ver­trau­ens­ar­ten sind in durch­misch­te­ren Quar­tie­ren deut­lich erhöht. Die­se posi­ti­ven Zusam­men­hän­ge sind zudem bei Schwei­zer Staats­bür­ge­rin­nen und Staats­bür­gern beson­ders ausgeprägt.

Kulturelle Vielfalt als Bedrohung oder Chance?

Es gibt unter­schied­li­che Theo­rien, die sich mit dem Zusam­men­le­ben ver­schie­de­ner eth­ni­scher Grup­pen beschäf­ti­gen. Ob sich eine stär­ke­re Durch­mi­schung der Bevöl­ke­rung posi­tiv oder nega­tiv auf den sozia­len Zusam­men­halt in Gemein­den und Quar­tie­ren aus­wirkt, ist dabei stark umstritten.

Auf der einen Sei­te wird im Sin­ne der Kon­flikt­theo­rie argu­men­tiert, dass eine hohe kul­tu­rel­le Viel­falt eine Abwehr­hal­tung begüns­ti­ge, da sie Ver­tei­lungs­kon­flik­te her­vor­ru­fe, die gemein­sa­men gesell­schaft­li­chen Wer­te schwä­che und so den sozia­len Zusam­men­halt gefähr­de (Gid­dens 2007). Stu­di­en aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten haben zudem gezeigt, dass Men­schen, die in einem eth­nisch hete­ro­ge­nen Umfeld leben, ihren Mit­men­schen weni­ger ver­trau­en und sich ver­mehrt ins Pri­vat­le­ben zurück­zie­hen (Put­nam 2007). Eine höhe­re eth­ni­sche Hete­ro­ge­ni­tät redu­zie­re das sozia­le Enga­ge­ment im All­ge­mei­nen und füh­re wei­ter zu einem tie­fe­ren Ver­trau­en in Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker und in die poli­ti­schen Institutionen.

Auf der ande­ren Sei­te gibt es die Kon­takt­theo­rie, die davon aus­geht, dass der stän­di­ge Kon­takt zwi­schen ver­schie­de­nen eth­ni­schen Grup­pen einen Lern­pro­zess in Gang setzt. Durch die häu­fi­gen Begeg­nun­gen wür­den all­fäl­li­ge nega­ti­ve Ansich­ten über die ande­re Grup­pe kor­ri­giert und Vor­ur­tei­le abge­baut (All­port 1954, Pet­tig­rew 1998). Aus die­ser Per­spek­ti­ve wir­ken sich kul­tu­rell sehr hete­ro­ge­ne Räu­me posi­tiv auf den Zusam­men­halt und das sozia­le Leben in der Gemein­de oder im Quar­tier aus.

In Zürich ist der soziale Zusammenhalt durch Einwanderung gestärkt worden

Die­se bei­den riva­li­sie­ren­den Hypo­the­sen wur­den nun im Rah­men des For­schungs­pro­jekts DIVERCITIES in einer nicht reprä­sen­ta­ti­ven Befra­gung von 50 Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­nern der Stadt Zürich getes­tet (Plüss et al. 2017). Es hat sich dabei gezeigt, dass die hohe kul­tu­rel­le Viel­falt einen durch­wegs posi­ti­ven Ein­fluss auf den sozia­len Zusam­men­halt aus­übt. In Quar­tie­ren mit einem höhe­ren Aus­län­der­an­teil ist das Ver­trau­en der Befrag­ten in ihre Mit­men­schen höher.

Liegt dies nun dar­an, dass es vor allem welt­of­fe­ne Men­schen ohne Scheu vor dem Frem­den sind, die sich bei­spiels­wei­se im Lang­stras­sen­quar­tier nie­der­las­sen? Gegen die­se Ver­mu­tung spricht zum einen, dass sich das sozia­le Ver­trau­en mit der Anzahl Jah­re, die jemand im Quar­tier ver­bracht hat, noch ver­stärkt. Die Alt­ein­ge­ses­se­nen haben mit neue­ren Migra­ti­ons­wel­len das Ver­trau­en in ihre Mit­men­schen nicht ver­lo­ren. Indi­vi­du­el­le Merk­ma­le wie Alter, Bil­dung oder Ein­kom­men spie­len zum ande­ren kei­ne nen­nens­wer­te Rol­le. Es scheint, dass sich für Zürich eher die Kon­takt­hy­po­the­se bestä­tigt: der sozia­le Zusam­men­halt wird durch Ein­wan­de­rung nicht bedroht, son­dern eher gestärkt.

Das politische Vertrauen wird durch kulturelle Vielfalt nicht tangiert

Im Gegen­satz zum sozia­len Ver­trau­en bleibt das poli­ti­sche Ver­trau­en von der eth­ni­schen Zusam­men­set­zung des Quar­tiers unbe­ein­flusst. Das poli­ti­sche Ver­trau­en bezieht sich auf die Unter­stüt­zung, die poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen ent­ge­gen gebracht wird, und stellt einen essen­ti­el­len Bestand­teil demo­kra­ti­scher Sys­te­me dar (Eas­ton 1965). Wie unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, weist es zwar eine hohe Kor­re­la­ti­on mit dem sozia­len Ver­trau­en auf, bleibt aber über die Quar­tier­gren­zen hin­aus kon­stant. Es wird – wie bereits in ande­ren Stu­di­en nach­ge­wie­sen – posi­tiv beein­flusst vom Bil­dungs­grad der befrag­ten Per­so­nen und der Anzahl Jah­re, die die­se bereits im Quar­tier ver­bracht haben. Put­nams The­se, dass eine stär­ke­re kul­tu­rel­le Viel­falt zu sozia­ler Iso­la­ti­on und einem tie­fe­ren Ver­trau­en in die Poli­tik führt, kann somit im Rah­men der vor­lie­gen­den Stu­die zurück­ge­wie­sen werden.

Metho­di­sches Vorgehen
DIVERCITIES ist ein vier­jäh­ri­ges euro­päi­sches For­schungs­pro­jekt (2013–2017), getra­gen von vier­zehn Pro­jekt­part­nern aus vier­zehn ver­schie­de­nen euro­päi­schen Städ­ten finan­ziert durch das 7. Rah­men­pro­gramm für For­schung und tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung der EU. DIVERCITIES beschäf­tigt sich mit urba­ner Viel­falt und ihren Aus­wir­kun­gen auf den sozia­len Zusam­men­halt, die sozia­le Durch­läs­sig­keit und die wirt­schaft­li­che Produktivität.

Der vor­lie­gen­de Bei­trag stützt sich auf die Fall­stu­die Zürich und eine Befra­gung von 50 Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­nern der Krei­se 4 und 9 der Stadt Zürich. Der Kreis 4 glie­dert sich in die Quar­tie­re Hard, Lang­stras­se und Werd; der Kreis 9 umfasst die Quar­tie­re Albis­rie­den und Alt­stet­ten. Die Aus­wahl der Inter­view­part­ne­rin­nen und ‑part­nern folg­te dabei der Ziel­set­zung einer mög­lichst gros­sen Viel­falt in eth­ni­scher, demo­gra­phi­scher und sozio-öko­no­mi­scher Hinsicht.

Die die­sem Bei­trag zugrun­de­lie­gen­den Regres­si­ons­re­sul­ta­te und ver­wen­de­ten Fra­gen aus dem Befra­gungs­leit­fa­den kön­nen hier ein­ge­se­hen werden. 


Literaturverzeichnis
  • All­port, G. W. (1954). The Natu­re of Pre­ju­di­ce. Cam­bridge, MA: Addi­son Wesley.
  • Eas­ton, D. (1965). A Sys­tems Ana­ly­sis of Poli­ti­cal Life. Chi­ca­go: Uni­ver­si­ty of Chi­ca­go Press.
  • Gid­dens, A. (2007). “Doub­ting diversity’s value”, For­eign Poli­cy, 163: 86–88.
  • Pet­tig­rew, T. F. (1998). “Inter­group Con­ta­ct Theo­ry”, Annu­al Reviews in Psy­cho­lo­gy, 49: 65–85.
  • Plüss, L., A. Babel, P. Abe­gg, J. Stei­ner und W. Schen­kel (2017). DIVERCITIES: Dealing with Urban Diver­si­ty. The Case of Zurich. Zürich: syn­er­go GmbH.
  • Ria­ño, Y. und D. Wastl-Wal­ter (2006). “Immi­gra­ti­on Poli­ci­es, Sta­te Dis­cour­ses on For­eig­ners and the Poli­tics of Iden­ti­ty in Switz­er­land”, Envi­ron­ment and Plan­ning A, 38(9): 1693–1713.
  • Put­nam, R. D. (2007). “E Plu­ri­bus Unum: Diver­si­ty and com­mu­ni­ty in the twen­ty-first cen­tu­ry. The 2006 Johan Skyt­te pri­ze lec­tu­re”, Scan­di­na­vi­an Poli­ti­cal Stu­dies, 30(2): 137–174.
  • Stadt Zürich (2014). Zah­len und Fak­ten.
  • Stadt Zürich (2015). Sta­tis­ti­sches Jahr­buch der Stadt Zürich 2015. Zürich: Sta­tis­tik Stadt Zürich.

Foto: Lang­stras­se Zürich, Juli­us Mattern.

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