Fünf Gründe, warum wir den Tötungen von Medienschaffenden mehr Aufmerksamkeit schenken sollten

Das Ver­hält­nis zwi­schen Staat, Poli­tik und Medi­en ist vie­ler­orts ange­spannt. Im Extrem­fall bezah­len ein­zel­ne Medi­en­schaf­fen­de für eine Repor­ta­ge oder Bericht­erstat­tung über kon­tro­ver­se und bri­san­te Bege­ben­hei­ten eines Lan­des mit dem Leben. Wir haben unter­sucht, wo und wie häu­fig Tötun­gen von Jour­na­lis­ten vor­kom­men und was dies für die Ach­tung der Men­schen­rech­te in einem Land bedeutet. 

Seit sei­ner Wahl zum US-Prä­si­dent Donald Trump hat sich sein ohne­hin schon ange­spann­tes Ver­hält­nis zu den Medi­en noch ver­schlech­tert. Mit Bezug auf die New York Times, CNN und ande­ren Fern­seh­sen­dern iden­ti­fi­zier­te er vor kur­zem fake news als “den Feind des ame­ri­ka­ni­schen Vol­kes”.

In ande­ren Län­dern wie der Tür­kei ist die Situa­ti­on noch bedenk­li­cher. Seit dem geschei­ter­ten Staats­streich vom ver­gan­ge­nen Jahr haben die tür­ki­schen Behör­den so vie­le Jour­na­lis­ten ver­haf­tet, dass die Tür­kei mitt­ler­wei­le ver­mut­lich mehr Jour­na­lis­ten ein­ge­sperrt hat als jedes ande­re Land zu jedem ande­ren Zeit­punkt, zu dem wir über Daten verfügen.

Die Tötung von Medienschaffenden ist ein Vorbote von anderen staatlichen Repressionen — die fünf Gründe:
1. Journalisten werden auf der ganzen Welt getötet, nicht nur in Kriegszonen

Etwa ein Drit­tel aller Tötun­gen von Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten zwi­schen 2002 und 2013 haben sich in Län­dern ereig­net, die nicht an einem bewaff­ne­ten Kon­flikt betei­ligt waren. Bei­spiels­wei­se wer­den Jour­na­lis­ten in Mexi­ko, eines der gefähr­lichs­ten Län­der für Pres­se­mit­glie­der welt­weit, zuneh­mend gezielt atta­ckiert. Auch aus Bra­si­li­en, den Phil­ip­pi­nen, Indo­ne­si­en, Nepal und Ägyp­ten wur­den Tötun­gen vermeldet.

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2. Außerhalb von Kriegszonen werden mehr Journalisten in Ländern getötet, in denen die Repression begrenzt ist 

Tötun­gen von Jour­na­lis­ten sind nicht nur eine bru­ta­le „Begleit­erschei­nung“ eines man­geln­den Respekts für die Men­schen­rech­te. Die Jour­na­lis­ten, die aus­ser­halb von Kriegs­zo­nen getö­tet wer­den, arbei­ten meis­tens in Län­dern mit einem mitt­le­ren Repressionslevel.

Unten­ste­hen­de Abbil­dung zeigt fünf Abstu­fun­gen von Repres­si­on, basie­rend auf der Poli­ti­cal Ter­ror Sca­le. Dabei bezieht sich mitt­le­re Repres­si­on auf Län­der, in denen poli­ti­sche Gefan­gen­schaft, Mord und Hin­rich­tung umfang­reich prak­ti­ziert, aber nicht auf die gesam­te Bevöl­ke­rung aus­ge­wei­tet wur­de. Folg­lich wer­den die meis­ten Jour­na­lis­ten getö­tet, wenn die Regie­rung kei­ne weit­ver­brei­te­te, wahl­lo­se, die gan­ze Bevöl­ke­rung betref­fen­de Repres­si­on anwen­det. Statt­des­sen scheint spe­zi­fisch dort und dann auf Jour­na­lis­ten gezielt zu wer­den, wenn gros­se Tei­le der Bevöl­ke­rung (noch) nicht von staat­lich geför­der­ter Gewalt betrof­fen sind. 

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3. Die meisten Journalisten werden nicht durch kriminelle Gruppen ermordet

Ent­ge­gen der weit­ver­brei­te­ten Auf­fas­sung, dass Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten vor­wie­gend im Kreuz­feu­er von Kriegs­par­tei­en oder durch die Hän­de kri­mi­nel­ler Ban­den getö­tet wer­den, wird in unse­rer Unter­su­chung ersicht­lich, dass aus­ser­halb von Kon­flikt­zo­nen vie­le Jour­na­lis­ten ent­we­der von staat­li­chen Agen­ten getö­tet wer­den oder die Täter­schaft unbe­stä­tigt bleibt.

Wäh­rend der gros­se Anteil unbe­stä­tig­ter Täter­schaf­ten bereits auf die Schwie­rig­keit hin­weist, die Ver­ant­wort­li­chen der Tötun­gen zur Rechen­schaft zu zie­hen, wider­spie­gelt dies das Aus­mass des Pro­blems aller­dings noch nicht ange­mes­sen. Das Comit­tee to Pro­tect Jour­na­lists geht davon aus, dass die Mör­der von Pres­se­leu­ten in neun von zehn Fäl­len unbe­straft blei­ben. Vie­le der Län­der, die die höchs­ten Zah­len an getö­te­ten Jour­na­lis­ten auf­wei­sen, brin­gen die Täter nie vor Gericht, dar­un­ter Russ­land, Bra­si­li­en, Paki­stan, Ban­gla­desch und Mexiko.

Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass die Täter­schaft leicht iden­ti­fi­zier­bar war, wenn es sich um kri­mi­nel­le Ban­den (oder ande­re nicht­po­li­ti­sche Akteu­re) oder nicht­staat­li­che Akteu­re (wie ISIS) han­del­te. Staa­ten haben weni­ge Anrei­ze, Nach­un­ter­su­chun­gen durch­zu­füh­ren und Tötun­gen von Pres­se­mit­glie­dern zu bestä­ti­gen, wenn ihre eige­nen Kräf­te betei­ligt waren. Hin­ge­gen kön­nen Tötun­gen von Jour­na­lis­ten durch oppo­si­tio­nel­le Grup­pen oder kri­mi­nel­le Ban­den von Staa­ten unter Umstän­den dazu instru­men­ta­li­siert wer­den, um här­te­re Repres­sio­nen zu rechtfertigen. 

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4. Tötungen von Journalisten sind oft Vorboten von schlimmerer Repression

Schon die Tötung eines ein­zi­gen Jour­na­lis­ten kann ein Warn­si­gnal sein. Wir zei­gen in unse­rer Stu­die, dass Fol­ter, Tötung, poli­ti­sche Gefan­gen­schaft und das Ver­schwin­den­las­sen von Per­so­nen in den zwei Jah­ren nach der doku­men­tier­ten Tötung eines Jour­na­lis­ten — unab­hän­gig der Täter­schaft — in einem Land wahr­schein­li­cher werden.

Unge­ach­tet des­sen, wer hin­ter dem Töten steht, weist die Ermor­dung von Medi­en­schaf­fen­den auf Insta­bi­li­tät und anstei­gen­de Span­nun­gen eines Lan­des hin, auf wel­che im jewei­li­gen Staat ein zuneh­mend in die Pri­vat­sphä­re ein­grei­fen­des und här­te­res Regie­rungs­ver­hal­ten folgt.

Das Vor­kom­men von Tötun­gen von Jour­na­lis­ten sind ein Grad­mes­ser dafür, ob ein Land den all­ge­mei­nen Men­schen­rechts­schutz tat­säch­lich ver­bes­sern wird oder nicht, ins­be­son­de­re dann, wenn ande­re Merk­ma­le wie Demo­kra­ti­sie­rung und öko­no­mi­sche Ent­wick­lung auf eine Ver­bes­se­rung hin­wei­sen würden.

5. In Ländern, die in der Regel die Menschenrechte respektieren, sind Tötungen von Journalisten ein besonders relevantes Warnsignal 

Nie­mand wür­de eine erheb­li­che Ver­bes­se­rung der Men­schen­rech­te in Syri­en oder Sudan erwar­ten, noch wür­den die meis­ten Men­schen mit einer plötz­li­chen Wen­dung zum Schlech­te­ren in Nor­we­gen oder Kana­da rech­nen. Viel schwie­ri­ger ist es aber zu pro­gnos­ti­zie­ren, was in Län­dern gesche­hen wird, die irgend­wo in der Mit­te ste­hen und die Men­schen­rech­te in der Regel respek­tie­ren, aber nicht davor zurück­schre­cken, gegen Akti­vis­ten oder Oppo­si­ti­ons­mit­glie­der gewalt­sam vorzugehen. 

Es lohnt sich daher, die Behand­lung von Jour­na­lis­ten genau zu beach­ten, um dadurch die Län­der mit einem durch­schnitt­li­chen Repres­si­ons­ni­veau zu iden­ti­fi­zie­ren,  da die­se die gröss­te Gefahr für eine wei­te­re Ver­schlech­te­rung der Men­schen­rechts­la­ge auf­wei­sen. Dies sind auch die­je­ni­gen Län­der, für die die Vor­her­sa­ge der zukünf­ti­gen Ach­tung der Men­schen­rech­te am schwie­rigs­ten ist – aber aus einer Poli­cy-Per­spek­ti­ve auch am wichtigsten.

Poli­cy-Initia­ti­ven haben in den mäs­sig repres­si­ven Län­dern wahr­schein­lich den gröss­ten Ein­fluss, da eine Ver­bes­se­rung in den stark repres­si­ven Län­dern äus­serst schwie­rig ist. Die Tötung von Jour­na­lis­ten soll­te dar­um als ein beson­ders rele­van­tes Warn­si­gnal für die Ver­schlech­te­rung der Men­schen­rech­te in mäs­sig repres­si­ven Län­dern wie Peru, Sier­ra Leo­ne oder Tan­sa­nia ver­stan­den werden. 

Tötungen von Journalisten gehen uns alle an

Unab­hän­gig der Aus­wir­kun­gen, soll­te die Sicher­heit und der Schutz der­je­ni­gen, die für die Medi­en aus den schwie­rigs­ten Situa­tio­nen auf der gan­zen Welt berich­ten, für uns alle von gröss­ter Wich­tig­keit sein.

Dies aus zwei Grün­den: Ers­tens deu­tet es auf eine all­ge­mei­ne Ver­schlech­te­rung der Men­schen­rech­te in einem Land hin, wenn Medi­en­leu­te miss­han­delt wer­den, was in jedem Fall auf inter­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit stos­sen soll­te. Zwei­tens ist die unab­hän­gi­ge Bericht­erstat­tung über Gescheh­nis­se vor Ort, die die Öffent­lich­keit infor­miert und die Mög­lich­keit mit sich bringt, loka­le Poli­ti­ker zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen, eben­falls von inter­na­tio­na­lem Interesse.

Daten­ba­sis der Untersuchung
Um zu unter­su­chen, wie häu­fig Tötun­gen von Medi­en­schaf­fen­den sind und was uns dies über die Ent­wick­lung der all­ge­mei­nen Ach­tung der Men­schen­rech­te sagen könn­te, haben wir Daten über Tötun­gen von Jour­na­lis­ten und Medi­en­mit­ar­bei­ten­den zwi­schen 2002 und 2013 gesam­melt. Unse­re Daten­er­he­bung basiert auf der uner­müd­li­chen Arbeit des Comit­tee to Pro­tect Jour­na­lists, Repor­ter ohne Gren­zen und dem Inter­na­tio­nal Press Insti­tu­te. Dabei haben wir fest­ge­stellt, dass zwi­schen 2002 und 2013 über 1’300 Tötun­gen von Pres­se­mit­glie­dern doku­men­tiert wor­den sind.

Hin­weis:  Der Arti­kel basiert auf Gohdes, Ani­ta und Sabi­ne Carey: Cana­ries in a coal-mine? What the kil­lings of jour­na­lists tell us about future repres­si­on. Jour­nal of Peace Rese­arch, Jan. 2017 sowie auf einen Blog­post dazu auf Mon­key Cage. Über­set­zung aus dem Eng­li­schen: Ali­na Gäumann. 

Das Pro­jekt wur­de vom Euro­päi­schen For­schungs­rat im Rah­men des Sieb­ten Rah­men­pro­gramms der Euro­päi­schen Uni­on (RP7 / 2007–2013) / ERC-Finanz­hil­fe­ver­ein­ba­rung Nr. 336019 finanziert.

Foto: Wiki­com­mons. Es zeigt das Grab der am 7. Okto­ber 2006 in Mos­kau ermor­de­ten rus­si­schen Jour­na­lis­tin Anna Polit­kovs­ka­ya.

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