Öffentliche Mitwirkung stärkt die lokale Raumplanung bei fehlender Kapazität

Haben jene Inter­es­sen­grup­pen, die von einer bau­li­chen Ent­wick­lung pro­fi­tie­ren, in einer Gemein­de gros­sen Ein­fluss, so ist eine Stär­kung der loka­len Raum­pla­nung oft schwie­ri­ger durch­zu­set­zen. Dies behin­dert letzt­lich den haus­häl­te­ri­schen Umgang mit der Res­sour­ce Boden. Ver­fah­ren zur Mit­wir­kung einer brei­te­ren Bevöl­ke­rung in der loka­len Raum­pla­nung schrän­ken die Ein­fluss­nah­me sol­cher Inter­es­sen ein. Dies gilt jedoch vor allem in jenen Gemein­den, die über kei­ne eige­ne Ver­wal­tungs­stel­le für Raum­pla­nung ver­fü­gen. Zu die­sen Ergeb­nis­sen führt eine Unter­su­chung der Raum­pla­nung in den Schwei­zer Gemein­den der letz­ten dreis­sig Jah­re, wel­che die eid­ge­nös­si­sche For­schungs­an­stalt für Wald, Schnee und Land­schaft (WSL) mit Unter­stüt­zung des Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds durch­ge­führt hat. 

Die Nut­zungs­rech­te an der Res­sour­ce Boden wur­den in den letz­ten Jah­ren zuneh­mend Gegen­stand poli­ti­scher Debat­ten. In der klein­räu­mi­gen Schweiz ste­hen sich wirt­schaft­li­che Inter­es­sen und das Schutz­be­geh­ren von Umwelt­ver­bän­den immer häu­fi­ger unver­ein­bar gegen­über; gera­de auch auf der loka­len Ebe­ne. Im Rah­men der Revi­si­on des Raum­pla­nungs­ge­set­zes wur­den die Kom­pe­ten­zen der Kan­to­ne gestärkt und das Instru­men­ta­ri­um der Gemein­den betref­fend Umset­zung des Raum­pla­nungs­ge­set­zes verbessert.

Befra­gung zur kom­mu­na­len Raumplanung

Mit dem Ziel, die Ein­fluss­nah­me loka­ler Inter­es­sen auf die kom­mu­na­le Raum­pla­nung sys­te­ma­tisch abschät­zen zu kön­nen, führ­ten wir im Jahr 2014 eine Befra­gung der Schwei­zer Gemein­den durch. Damit haben wir neben den in den letz­ten dreis­sig Jah­ren ergrif­fe­nen raum­pla­ne­ri­schen Mass­nah­men auch die Orga­ni­sa­ti­on der Raum­pla­nung in den Gemein­den und die Mit­wir­kungs­mög­lich­kei­ten der Bevöl­ke­rung erhoben.

Von den ca. 2400 kon­tak­tier­ten Gemein­den haben wir ca. 1600 Ant­wor­ten erhal­ten (Rück­lauf: 69%). In der hier vor­ge­stell­ten Unter­su­chung konn­ten letzt­lich aber nur jene 740 Gemein­den berück­sich­tigt wer­den, für die zu den rele­van­ten Fra­gen, sowie allen wei­te­ren in die Ana­ly­se ein­be­zo­ge­nen Aspek­ten Infor­ma­tio­nen vor­la­gen. Ein Bericht mit umfang­rei­chen deskrip­ti­ven Aus­wer­tun­gen die­ser Befra­gung ist hier öffent­lich zugänglich.

Interessenpolitik in der kommunalen Raumplanung

Gemein­hin wird erwar­tet, dass die öffent­li­che Mit­wir­kung von Bür­gern im Pla­nungs­pro­zess die poli­ti­sche Ein­fluss­nah­me mäch­ti­ger Inter­es­sen­grup­pen ein­schränkt. Es ist zudem von Inter­es­se, ob die Mög­lich­kei­ten zur Mit­wir­kung auch davon abhän­gen, wie­viel Kapa­zi­tät die Gemein­de­ad­mi­nis­tra­ti­on für die Durch­füh­rung ent­spre­chen­der Ver­an­stal­tun­gen auf­brin­gen kann.

Kom­mu­na­le Raum­pla­nungs­ent­schei­de, wie bei­spiels­wei­se klei­ne­re Auf- oder Umzo­nun­gen oder die Revi­si­on der kom­mu­na­len Zonen­plä­ne und Bau­re­gle­men­te, sind in der Regel ein heiss umstrit­te­nes Poli­ti­kum. Oft­mals tref­fen die Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen von Bau­wil­li­gen und Land­ei­gen­tü­mern auf die Inter­es­sen von Haus­ei­gen­tü­mern, die ihre unbe­bau­te Nach­bar­schaft wah­ren möch­ten. Auch Mit­glie­der kan­to­na­ler und natio­na­ler Umwelt­ver­bän­de set­zen sich auf kom­mu­na­ler Ebe­ne für den Schutz der offe­nen Land­schaft und dem­entspre­chend für die För­de­rung der bau­li­chen Ver­dich­tung der bestehen­den Sied­lungs­flä­che ein.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Akteur sind die Ver­tre­ter der regio­na­len Bau­wirt­schaft, deren wirt­schaft­li­che Erfolgs­aus­sich­ten unmit­tel­bar von den bau­li­chen Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten abhän­gen. Da die Bau­un­ter­neh­men vie­ler­orts zu den wich­tigs­ten Arbeit­ge­bern und Steu­er­zah­lern gehö­ren, erstaunt es wenig, dass auch Stu­di­en in ande­ren Län­dern sie als beson­ders ein­fluss­rei­chen Akteur der loka­len Raum­pla­nungs­po­li­tik iden­ti­fi­ziert haben.

Partizipative Planungsverfahren als „Katalysator“ divergierender Interessen?

Die „geeig­ne­te“ Mit­wir­kung der Bevöl­ke­rung in der Raum­pla­nung ist gesetz­lich vor­ge­schrie­ben. Folg­lich ist jede Gemein­de dazu ver­pflich­tet, Revi­sio­nen des Zonen­plans und des Bau­re­gle­ments öffent­lich auf­zu­le­gen. Es ist hin­ge­gen etwas weni­ger ver­brei­tet, die Bewoh­ner zusätz­lich zur öffent­li­chen Auf­la­ge zu Ori­en­tie­rungs­ver­an­stal­tun­gen ein­zu­la­den, an denen sich die Ver­ant­wort­li­chen von Bau­pro­jek­ten kri­ti­schen Fra­gen stellen.

Nur rela­tiv weni­ge und haupt­säch­lich grös­se­re Gemein­den ermög­li­chen ihren Bewoh­nern dar­über hin­aus, in soge­nann­ten „koope­ra­ti­ven Pla­nungs­kom­mis­sio­nen“ direkt am Pla­nungs­ver­fah­ren teil­zu­neh­men. Für unse­re Ana­ly­sen sind wir davon aus­ge­gan­gen, dass par­ti­zi­pa­ti­ve Pla­nungs­ver­fah­ren hel­fen kön­nen, die unter­schied­li­chen raum­pla­ne­ri­schen Inter­es­sen in einer Gemein­de bes­ser zu berück­sich­ti­gen. Befür­wor­ter einer restrik­ti­ven kom­mu­na­len Pla­nung sind im Ver­gleich mit der Bau­wirt­schaft oft weni­ger gut orga­ni­siert. Folg­lich soll­ten aus­ge­präg­te Mit­wir­kungs­mög­lich­kei­ten vor allem der Durch­set­zung die­ser Inter­es­sen för­der­lich sein.

Vor allem gros­se Gemein­den ab 10.000 Ein­woh­ner ver­fü­gen über eine Ver­wal­tungs­ein­heit für Raum­pla­nung. In mitt­le­ren und klei­nen Gemein­den über­nimmt in der Regel das Bau­amt die raum­pla­ne­ri­schen Auf­ga­ben, wäh­rend in den zahl­rei­chen Kleinst­ge­mein­den mit weni­ger als 1’000 Ein­woh­nern meist der Gemein­de­schrei­ber ver­ant­wort­lich ist. Da des­sen Pflich­ten­heft oft auch die gesam­ten rest­li­chen admi­nis­tra­ti­ven Auf­ga­ben der Gemein­de umfasst, ist zu erwar­ten, dass im All­ge­mei­nen in Gemein­den mit weni­ger admi­nis­tra­ti­ver Kapa­zi­tät auch weni­ger Raum­pla­nungs­mass­nah­men umge­setzt wer­den kön­nen. Umge­kehrt ist anzu­neh­men, dass in Gemein­den mit mehr admi­nis­tra­ti­ver Kapa­zi­tät für die Raum­pla­nung die Bevöl­ke­rung und die loka­len Inter­es­sen­grup­pen noch bes­ser in die Mit­wir­kungs­ver­fah­ren ein­ge­bun­den wer­den kön­nen. Dem­entspre­chend soll­te der ange­nom­me­ne Effekt der par­ti­zi­pa­ti­ven Pla­nungs­ver­fah­ren in die­sen Gemein­den noch aus­ge­präg­ter sein.

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Die Abbildung zeigt ein Mass für die Restriktivität der Raumplanung auf der lokalen Ebene: die mit ihrer inversen Häufigkeit gewichtete Anzahl in einer Gemeinde implementierter Massnahmen, jeweils im Durchschnitt über eine Raumplanungsregion.

Par­ti­zi­pa­ti­ve Pla­nung erleich­tert Pla­nung da, wo Kapa­zi­tät knapp ist

Für unse­re Ana­ly­sen haben wir die Anga­ben von 740 Gemein­den mit wei­te­ren Infor­ma­tio­nen aus offi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken kom­bi­niert (sie­he unten­ste­hen­de Info­box). Stark ver­ein­facht lässt sich die Erkennt­nis aus ande­ren Län­dern bestä­ti­gen, dass ein star­ker Ein­fluss der regio­na­len Bau­in­ter­es­sen auch in Schwei­zer Gemein­den eine weni­ger restrik­ti­ve Regu­lie­rung der Raum­pla­nung zur Fol­ge hat. Aus­ser­dem schei­nen aus­ge­präg­te Mög­lich­kei­ten der Mit­wir­kung vor allem in jenen Gemein­den zu einer restrik­ti­ve­ren Regu­lie­rung zu füh­ren, in denen ledig­lich der Gemein­de­schrei­ber für die kom­mu­na­le Raum­pla­nung ver­ant­wort­lich ist und wo dem­nach eher Kapa­zi­täts­eng­päs­se herr­schen. Im Durch­schnitt kom­men in die­sen Gemein­den mehr Pla­nungs­in­stru­men­te zum Ein­satz als in Gemein­den, in denen es weder genü­gend Kapa­zi­tät noch aus­rei­chen­de Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten gibt.

Für jene Gemein­den, die hin­ge­gen aus­rei­chend admi­nis­tra­ti­ve Kapa­zi­tät für die kom­mu­na­le Raum­pla­nung bereit­stel­len kön­nen, lässt sich der erwar­te­te Effekt von par­ti­zi­pa­ti­ven Pla­nungs­ver­fah­ren nicht nach­wei­sen. Viel­mehr ist die durch­schnitt­li­che Anzahl ein­ge­setz­ter Pla­nungs­in­stru­men­te in die­sen Gemein­den von der Stär­ke der Ver­tre­tung der Inter­es­sen­grup­pen unab­hän­gig. Unse­re Resul­ta­te deu­ten dar­auf hin, dass der Auf­bau von Pla­nungs­ka­pa­zi­tä­ten einen bes­se­ren Aus­gleich zwi­schen diver­gie­ren­den Inter­es­sen ermög­licht. Par­ti­zi­pa­ti­ven Pla­nungs­ver­fah­ren haben hin­ge­gen nur dort den erwar­te­ten Effekt, wo die Gemein­de­ver­wal­tung mit ihren Pla­nungs­auf­ga­ben beson­ders gefor­dert ist.

Model­lie­rung der kom­mu­na­len Raumplanung
  • Die Ergeb­nis­se wur­den über ein „Fixed Effects“-Regressionsmodell gewon­nen, basie­rend auf Beob­ach­tun­gen aus den Deka­den 80–90, 90–00 und 00–10, wobei die erklä­ren­de Varia­blen jeweils eine Deka­de vor der Abhän­gi­gen gemes­sen wurden.
  • Inter­es­sen­grup­pen­ein­fluss, Par­ti­zi­pa­ti­on und admi­nis­tra­ti­ve Kapa­zi­tät wur­den über eine Drei­fach-Inter­ak­tio­nen mit­ein­an­der in Ver­bin­dung gebracht.
  • Die Restrik­ti­vi­tät der kom­mu­na­len Raum­pla­nung wur­de aus den Ant­wor­ten der Gemein­de­be­fra­gung gemes­sen (Anzahl Mass­nah­men gewich­tet mit inver­ser Häufigkeit).
  • Die Stär­ke der Bau­in­ter­es­sen ent­spricht dem durch­schnitt­li­chen Anteil der in einer Gemein­de, und allen angren­zen­den Gemein­den, in der Bau­wirt­schaft beschäf­tig­ten Per­so­nen. Die Stär­ke der Umwelt­schutz­in­ter­es­sen ergibt sich aus dem Wäh­ler­an­teil der Grü­nen Par­tei und des LdU. Kate­go­ri­siert man die­se bei­den Varia­blen, so kann die Inter­es­sen-Dis­pa­ri­tät als deren Dif­fe­renz erkennen.
  • Gra­de der Mit­wir­kung in der Raum­pla­nung wur­den dicho­tom aus der Gemein­de­be­fra­gung unter­schie­den: Öffent­li­che Auf­la­ge ver­sus wei­ter­ge­hen­de Mitwirkung.
  • Die admi­nis­tra­ti­ve Kapa­zi­tät konn­te eben­falls dicho­tom auf­grund der Gemein­de­be­fra­gung gemes­sen wer­den: Ver­ant­wor­tung beim Gemein­de­schrei­ber ver­sus eige­ne Stelle.
  • Bei­gezo­gen wur­den zahl­rei­che Kon­troll­va­ria­blen: Anteil Ein­fa­mi­li­en­haus-Besit­zer, Bundessteuerertrag/Kopf, Erreich­bar­keit, Bevöl­ke­rungs­dich­te und –wachs­tum, Anteil Sied­lungs­flä­che an tota­ler Flä­che, bebau­ba­re Flä­che, Anteil alter Gebäu­de, Zersiedelungsindex

Hin­weis: Die­ser Bei­trag bezieht sich auf Ber­li, Jan und Tobi­as Schulz (under review): Par­ti­ci­pa­ti­on in Local Land Use Plan­ning: A Mat­ter of Capa­ci­ty?, in: Land Use Policy.

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