Warum die SP die eigentliche Volkspartei ist

Wel­che ist die wah­re Volks­par­tei der Schweiz? Betrach­tet man nicht nur das Abschnei­den bei den Natio­nal­rats­wah­len, son­dern nimmt den Ein­fluss auf Volks­ab­stim­mun­gen als Kri­te­ri­um, dann wird die SVP von der SP und der FDP in den Schat­ten gestellt. Dies zeigt die fol­gen­de Ana­ly­se mit­tels Vox-Umfra­ge­da­ten. Das Ergeb­nis muss aller­dings vor­sich­tig inter­pre­tiert werden.

Die SVP wird gemein­hin als die Volks­par­tei der Schweiz bezeich­net – nicht nur ihrem Namen nach, son­dern auch auf­grund ihres Abschnei­dens bei Natio­nal­rats­wah­len. Legt man den Fokus aller­dings auf Volks­ab­stim­mun­gen, ergibt sich ein ande­res Bild: Die SP hat den gröss­ten Ein­fluss auf Abstim­mungs­aus­gän­ge, wäh­rend die Grü­nen über eine hohe Par­tei­dis­zi­plin ihrer Anhän­ger­schaft ver­fü­gen und die BDP am meis­ten auf der Gewin­ner­sei­te steht.

Das sind die Resul­ta­te fol­gen­der Ana­ly­sen mit­tels Vox-Umfra­ge­da­ten zu Volks­ab­stim­mun­gen auf Bun­des­ebe­ne zwi­schen 2009 und 2014. Der Titel der wah­ren Volks­par­tei wird dabei der­je­ni­gen Par­tei zuge­stan­den, die den gröss­ten Ein­fluss auf die Abstim­mun­gen auf­weist – und das ist die SP.

Um den Ein­fluss auf Volks­ab­stim­mun­gen zu mes­sen, wer­den ver­schie­de­ne Kri­te­ri­en ein­be­zo­gen: Sowohl die Grös­se und Par­tei­dis­zi­plin der Anhän­ger­schaft einer Par­tei spie­len dabei eine Rol­le als auch die Häu­fig­keit, mit der eine Par­tei bei Abstim­mun­gen als Sie­ge­rin hervorgeht.

Grüne haben ihre Anhängerschaft im Griff

Die jähr­li­chen Durch­schnitts­wer­te der Antei­le der Par­tei­an­hän­ger­schaf­ten, die iden­tisch mit den Paro­len ihrer Par­tei gestimmt haben (sie­he Abbil­dung 1), zei­gen, dass sich vor allem die Grü­nen und die SP auf ihre Anhän­ger­schaf­ten ver­las­sen konn­ten. Ein ande­res Bild zeigt sich für die FDP und die CVP. Sie konn­ten ihre Sym­pa­thi­san­tin­nen und Sym­pa­thi­san­ten weni­ger gut von ihren Anlie­gen über­zeu­gen. Für die SVP, die BDP und die GLP zeigt sich kein ein­deu­ti­ger Trend.

Im Jahr 2011 war die Par­tei­dis­zi­plin gene­rell sehr hoch. Die­ses mar­kan­te Ergeb­nis kann dar­auf zurück­ge­führt wer­den, dass in die­sem Jahr nur gera­de eine ein­zi­ge Vor­la­ge auf Bun­des­ebe­ne vors Volk kam – die Volks­in­itia­ti­ve „Für den Schutz vor Waf­fen­ge­walt“. Im Jahr 2012 wur­den die Par­tei­pa­ro­len vor allem von den Anhän­ger­schaf­ten der bür­ger­li­chen Par­tei­en unter­durch­schnitt­lich befolgt. Danach stimm­ten die Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­ger aber wie­der zuneh­mend, wie es die Par­tei­en vor­ga­ben. Am wenigs­ten gelang die Über­zeu­gungs­ar­beit der SVP. Die BDP konn­te sich ab dem Jahr 2013 auf eine sehr hohe Par­tei­dis­zi­plin verlassen.

Abbildung 1:

SP, FDP und SVP mit grossem Einfluss

Um eine Aus­sa­ge machen zu kön­nen, wel­che Par­tei­en mit ihren Anhän­ger­schaf­ten viel oder wenig zu Gewin­nen bei Abstim­mun­gen bei­tra­gen, genügt eine pro­zen­tua­le Betrach­tung der Par­tei­dis­zi­plin der Stimm­bür­ge­rin­nen und Stimm­bür­ger aller­dings nicht. Es muss vor allem berück­sich­tigt wer­den, wie oft Abstim­mun­gen im Sin­ne einer Par­tei aus­ge­hen und mit wie vie­len Stim­men ihre Anhän­ger­schaft dazu bei­getra­gen hat.

Für Abbil­dung 2 wur­de anhand die­ser zwei Kri­te­ri­en für ver­schie­de­ne Par­tei­en der durch­schnitt­li­che jähr­li­che Ein­fluss ihrer Anhän­ger­schaf­ten auf Abstim­mun­gen berech­net (sie­he Tabel­le 1 und Info­box für Details). Aus­ser im Jahr 2011, in dem nur eine Vor­la­ge auf Bun­des­ebe­ne vors Volk kam, ver­mö­gen die Anhän­ger der SP, der FDP und der SVP stets den gröss­ten Ein­fluss auf Abstim­mun­gen aus­zu­üben. Par­tei­en mit klei­ne­rer Anhän­ger­schaft wie die Grü­nen, die GLP und die BDP haben kaum Ein­fluss auf Abstim­mun­gen, wäh­rend sich der Ein­fluss der CVP kon­ti­nu­ier­lich zwi­schen dem der grös­se­ren und der klei­ne­ren Par­tei­en bewegt.

Abbildung 2:

Abstimmungsgewinne, Grösse und Parteidisziplin der Anhängerschaft

Tabel­le 1 zeigt die Rang­lis­te für den Ein­fluss auf Abstim­mun­gen und aus wel­chen Kenn­zah­len sich die­ser zusam­men­setzt. Wäh­rend die SP und die SVP dank vie­len Stim­men ihrer gros­sen Anhän­ger­schaf­ten einen gros­sen Ein­fluss haben, gelingt dies der FDP vor allem des­we­gen, weil sie­ben von zehn Abstim­mun­gen in ihrem Sin­ne aus­ge­hen. Bemer­kens­wert ist die Grös­se der Anhän­ger­schaft der SVP. Trotz einer tie­fen Par­tei­dis­zi­plin (sie­he Abbil­dung 1 und Tabel­le 1) kann sie im Ver­gleich zu ande­ren Par­tei­en immer noch mit einer hohen Anzahl Stim­men aus ihrer Anhän­ger­schaft rech­nen und erzielt so trotz einer gerin­gen Anzahl an Abstim­mungs­ge­win­nen und tie­fer Par­tei­dis­zi­plin einen Ein­fluss in beträcht­li­cher Höhe.

Der BDP und der GLP wer­den ihre klei­nen Anhän­ger­schaf­ten zum Ver­häng­nis. Auch wenn sie mit 74.0 respek­ti­ve 71.4 Pro­zent die meis­ten Abstim­mun­gen gewon­nen haben, ist ihr Ein­fluss auf Abstim­mun­gen sehr gering.

Die Antei­le an befrag­ten Per­so­nen im Daten­satz, die sich mit der SP (16.7 %) oder der SVP (12.59 %) iden­ti­fi­zie­ren, las­sen aller­dings ver­mu­ten, dass die­ser Daten­satz ver­zerrt ist. In Natio­nal­rats­wah­len ist die SVP seit 2003 klar stärks­te Par­tei und scheint hier im Ver­gleich mit der SP klar unter­ver­tre­ten zu sein. In einem weni­ger ver­zerr­ten Sam­ple hät­te sich die SVP wahr­schein­lich mit dem höchs­ten Ein­fluss auf Abstim­mun­gen an die Spit­ze der Rang­lis­te gesetzt.

Tabelle 1:

Anmerkungen:

Ein­fluss auf Abstim­mun­gen: Mul­ti­pli­ka­ti­on des Ein­flus­ses bei Gewin­nen mit dem Anteil an gewon­ne­nen Abstim­mun­gen, zwi­schen 0 und 100.

Ein­fluss bei Gewin­nen: Wird nur für Abstim­mungs­ge­win­ne der jewei­li­gen Par­tei berech­net. Durch­schnitt­li­cher Anteil der Anzahl Stim­men der eige­nen Anhän­ger­schaft, die mit der Par­tei­vor­ga­be gestimmt haben, an der gesam­ten Anzahl Gewinnerstimmen.

Gewon­ne­ne Abstim­mun­gen: Anteil der Abstim­mun­gen, bei denen die Par­tei­pa­ro­le mit dem amt­li­chen Abstim­mungs­er­geb­nis übereinstimmte.

Mobi­li­sie­rung: Durch­schnitt­li­cher Anteil der Par­tei­an­hän­ger­schaft, der abge­stimmt hat.

Par­tei­dis­zi­plin: Durch­schnitt­li­cher Anteil der abstim­men­den Par­tei­an­hän­ger­schaft, der so abge­stimmt hat, wie es die Par­tei mit­tels Paro­le vorgab.

Anhän­ger­schaft in Daten­satz: rela­ti­ve Grös­se der jewei­li­gen Par­tei­an­hän­ger­schaft im Datensatz.

Einfluss kleinerer Mitteparteien

Wäh­rend der Peri­ode von 2009 bis 2014 fass­ten die ein­fluss­rei­chen Pol­par­tei­en SP und SVP in nur gera­de sie­ben von 51 Abstim­mun­gen die glei­che Paro­le. Unter die­sen Umstän­den, in denen eher sel­ten unhei­li­ge Alli­an­zen zwi­schen den Pol­par­tei­en geschmie­det wer­den und sich all­ge­mein die ver­schie­de­nen Par­tei­en über Vor­la­gen sel­ten einig sind, erhöht sich der Ein­fluss der Anhän­ger­schaft der klei­ne­ren Mit­te­par­tei­en erheb­lich. Da eine Pol­par­tei allei­ne zu wenig Stim­men aus ihrer Anhän­ger­schaft für einen Abstim­mungs­ge­winn gene­rie­ren kann, ist sie auf die Stim­men aus der Mit­te und der Stimm­bür­ger­schaft ohne Par­teiiden­ti­fi­zie­rung ange­wie­sen. Indem die klei­ne­ren Par­tei­en die nöti­gen Mehr­hei­ten schaf­fen, kommt ihnen also doch eine ein­fluss­rei­che Rol­le zu. Ist die Anhän­ger­schaft die­ser Par­tei­en aller­dings sehr klein, sodass es für das Abstim­mungs­er­geb­nis nicht rele­vant ist, ob sie für oder gegen eine Vor­la­ge stimmt, hat sie kei­nen Ein­fluss auf die Abstim­mun­gen. Die­ser Punkt wur­de hier für die Berech­nung des Ein­flus­ses auf Abstim­mun­gen aber vernachlässigt.

BDP – die Mittepartei schlechthin

Obwohl die Paro­len der BDP im Unter­su­chungs­zeit­raum am meis­ten mit den Abstim­mungs­er­geb­nis­sen über­ein­stim­men, kann sie natür­lich nicht als Volks­par­tei bezeich­net wer­den. Sie ver­tritt bei Abstim­mun­gen zwar häu­fig eine Mehr­heit der abstim­men­den Bür­ger, doch wech­seln die­se Mehr­hei­ten stets ihre Zusam­men­set­zung. Die BDP ver­tritt also nicht stän­dig die­sel­be Stimm­bür­ger­schaft, son­dern über die Zeit gese­hen nur den Teil der Stimm­bür­ger, der stets im Sin­ne der BDP abstimmt – und der ist nicht so gross. Viel eher bedeu­tet das gute Abschnei­den der BDP mit ihren Paro­len, dass sie die Mit­te­par­tei schlecht­hin ist. Dies des­halb, weil es einer Par­tei, die sich in der Mit­te posi­tio­niert, am häu­figs­ten mög­lich ist, als mehr­heits­bil­den­de Par­tei zu einem für sie posi­ti­ven Abstim­mungs­er­geb­nis bei­zu­tra­gen. Für das Prä­di­kat „Volks­par­tei“ besitzt die BDP aber eine deut­lich zu klei­ne Anhängerschaft.

Daten und Methoden
Für die Berech­nun­gen wur­den die Daten der Vox-Umfra­gen (Krie­si et al. 2016) ver­wen­det. Es flos­sen für die Jah­re 2009 bis 2014 total 51 Abstim­mun­gen und 72’930 Beob­ach­tun­gen in die Berech­nun­gen ein. Für das Jahr 2009 wur­den pro Abstim­mung jeweils min­des­tens 1’000 Per­so­nen befragt. Ab dem Jahr 2010 waren es min­des­tens 1’500 Per­so­nen. Feh­len­de Paro­len­an­ga­ben für die GLP wur­den anhand des Paro­len­spie­gels der GLP Schweiz (2016) ergänzt. Feh­len­de Anga­ben zu Paro­len der PdA wur­den nicht ergänzt.

Berech­nung der Par­tei­dis­zi­plin: Für die Berech­nun­gen der Par­tei­dis­zi­plin der Anhän­ger­schaft in Abbil­dung 1 wur­den nur Per­so­nen berück­sich­tigt, die sich mit einer Par­tei iden­ti­fi­zie­ren. Gab eine Par­tei zu einer Vor­la­ge kei­ne Paro­le oder „Stimm­frei­ga­be“ bekannt, wur­de die Vor­la­ge für die­se Par­tei nicht in die Berech­nun­gen mitaufgenommen.

Berech­nung des Ein­flus­ses auf Abstim­mun­gen: Der in Abbil­dung 2 und Tabel­le 1 auf­ge­führ­te Ein­fluss auf Abstim­mun­gen wur­de anhand des durch­schnitt­li­chen Anteils der Stim­men der Anhän­ger­schaft einer Par­tei an der gesam­ten Anzahl Gewin­nerstim­men im Daten­satz berech­net. Für eine Ver­lie­rer­par­tei – eine Par­tei, deren Paro­le nicht mit dem Abstim­mungs­er­geb­nis über­ein­stimmt – wird die­ser Anteil für die­se Abstim­mung mit null gewer­tet. Hat eine Par­tei kei­ne Paro­le oder „Stimm­frei­ga­be“ beschlos­sen, wird die­se Abstim­mung für die­se Par­tei nicht berücksichtigt.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag erschien bereits in einer län­ge­ren Fas­sung auf dem DDJ-Blog des IPZ.


Quel­len:

  • GLP Schweiz (2016): Paro­len­spie­gel Grün­li­be­ra­le Schweiz: www.grunliberale.ch/dms/schweiz/de/doku/politischearbeit/Parolenspiegel_D_20160701.pdf
  • Krie­si, Hans­pe­ter, Brun­ner, Mat­thi­as und Loré­tan, Fran­çois (2016): Stan­dar­di­sier­te Umfra­gen VoxIt 1981–2014 [Data­set]. Uni­ver­si­té de Genè­ve – Facul­té des Sci­en­ces da la Socié­té – SdS – Dépar­te­ment de sci­ence poli­tique et rela­ti­ons inter­na­tio­na­les, Uni­ver­si­tät Zürich, Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät – Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaf­ten – IPZ – Lehr­stuhl für Ver­glei­chen­de Poli­tik­wis­sen­schaft, FORS – Cent­re de com­pé­ten­ces suis­se en sci­en­ces socia­les. Dis­tri­bu­t­ed by FORS, Lausanne.

Foto: Pixabay.

image_pdfimage_print