Warum eine Einbürgerung für die dritte Ausländergeneration wichtig ist

Was nützt die Staats­bür­ger­schaft? Die Abstim­mung über die erleich­ter­te Ein­bür­ge­rung von Per­so­nen der drit­ten Aus­län­der­ge­nera­ti­on vom 12. Febru­ar wirft die­se Fra­ge auf. Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en zei­gen, dass der Nut­zen der Staats­bür­ger­schaft über die poli­ti­sche Mit­spra­che hin­aus­geht. Noch wich­ti­ger als jeg­li­cher greif­ba­re Nut­zen scheint dar­um das Signal, das mit der anste­hen­den Abstim­mung aus­ge­sen­det wird.

Macht Staatsbürgerschaft überhaupt einen Unterschied?

Am 12. Febru­ar 2017 stim­men die Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer dar­über ab, ob Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der der drit­ten Genera­ti­on erleich­tert ein­ge­bür­gert wer­den sol­len. Betrof­fen ist zum Bei­spie­le eine in der Schweiz gebo­re­ne Aus­län­de­rin, deren Eltern bereits in der Schweiz auf­wuch­sen, deren Gross­el­tern jedoch in die Schweiz ein­ge­wan­dert waren. In vie­ler­lei Hin­sicht unter­schei­det sie sich kaum von ihrer Schwei­zer Freun­din, deren Gross­el­tern gebür­ti­ge Schwei­zer waren. Ver­mut­lich sind bei­de gröss­ten­teils in der Schweiz sozia­li­siert wor­den und zur Schu­le gegan­gen und es ist anzu­neh­men, dass bei­de flies­send eine Schwei­zer Lan­des­spra­che sprechen.

Die bei­den unter­schei­den sich vor allem dar­in, dass die Schwei­ze­rin an natio­na­len Wah­len und Abstim­mun­gen teil­neh­men darf, wäh­rend der Aus­län­de­rin die­se poli­ti­sche Mit­spra­che ver­wehrt bleibt. Macht ange­sichts die­ser gros­sen Ähn­lich­kei­ten zwi­schen Per­so­nen der drit­ten Aus­län­der­ge­nera­ti­on und ein­hei­mi­schen Schwei­ze­rIn­nen ein ein­fa­che­rer Zugang zur Staats­bür­ger­schaft über­haupt noch einen Unter­schied? Was bedeu­tet der Zugang zu Staats­bür­ger­schaft für die betrof­fe­nen Indi­vi­du­en? Und wie beein­flusst er die indi­vi­du­el­le Integration?

Internationale und nationale wissenschaftliche Befunde

Zahl­rei­che Stu­di­en ver­wei­sen auf die viel­fäl­ti­gen posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen von Staats­bür­ger­schaft, die von gestei­ger­tem poli­ti­schem Inter­es­se bis hin zu einem höhe­ren Ein­kom­men rei­chen. So bele­gen Stu­di­en aus den USA, dass ein­ge­bür­ger­te Immi­gran­tIn­nen stär­ker poli­tisch mobi­li­siert sind als nicht ein­ge­bür­ger­te. Unter­su­chun­gen zu euro­päi­schen Län­dern decken zudem auf, dass sich Immi­gran­tIn­nen in Län­dern mit tie­fe­ren Ein­bür­ge­rungs­hür­den stär­ker mit der Poli­tik des Auf­nah­me­lan­des iden­ti­fi­zie­ren, wäh­rend sich ihre poli­ti­schen Anlie­gen in Län­dern mit höhe­ren Hür­den wie zum Bei­spiel der Schweiz eher in Rich­tung Hei­mat­land orientieren.

Nebst poli­ti­scher Akti­vie­rung bringt Staats­bür­ger­schaft aber auch mess­ba­re wirt­schaft­li­che Vor­tei­le mit sich, wie etwa einen unbe­schränk­ten Zugang von ein­ge­bür­ger­ten Per­so­nen zum Arbeits­markt. In diver­sen euro­päi­schen Staa­ten haben Aus­län­de­rIn­nen nur beschränkt Zugang zu staat­li­chen Anstel­lun­gen, bei­spiels­wei­se in der Ver­wal­tung, oder zu Beru­fen in gewis­sen hoch­do­tier­ten Bran­chen wie Medi­zin oder dem Rechts­we­sen. Dar­über hin­aus beein­flusst Staats­bür­ger­schaft Stu­di­en zufol­ge auch das Lohn­ni­veau. In Län­dern wie Kana­da, Däne­mark, Deutsch­land, Nor­we­gen, den Nie­der­lan­den, Schwe­den und den USA, wird der «Lohn­bo­nus» von Staats­bür­ger­schaft – abzüg­lich ande­rer indi­vi­du­el­ler Merk­ma­le – zwi­schen einem und fünf Pro­zent geschätzt.

Grund­sätz­lich ist es jedoch schwie­rig, einen all­fäl­li­gen Effekt von Staats­bür­ger­schaft auf die indi­vi­du­el­le Inte­gra­ti­on unab­hän­gig von ande­ren Fak­to­ren zu schät­zen. Inte­gra­ti­ons­in­di­ka­to­ren wie poli­ti­sche Akti­vi­tät oder das Lohn­ni­veau wer­den in der Regel nicht nur durch Staats­bür­ger­schaft, son­dern vor allem auch durch die Moti­va­ti­on oder Fähig­kei­ten eines Indi­vi­du­ums bestimmt – was wie­der­um die Ent­schei­dung, sich ein­bür­gern zu las­sen, beein­flus­sen dürf­te. Doch auch Stu­di­en, die den Effekt von Staats­bür­ger­schaft sehr glaub­haft iso­lie­ren kön­nen, bele­gen die inte­gra­ti­ons­för­dern­de Wir­kung eines ein­fa­chen Zugangs zu Staatsbürgerschaft.

Ein Bei­spiel bie­tet die Ein­füh­rung des jus soli Ein­bür­ge­rungs­prin­zips in Deutsch­land im Jahr 2000, das in Deutsch­land gebo­re­nen Kin­dern von per­ma­nent nie­der­ge­las­se­nen Immi­gran­tIn­nen auto­ma­tisch den deut­schen Pass ver­leiht. Die­se Reform hat die Fami­li­en­pla­nung von ein­ge­wan­der­ten Eltern, deren Kin­der direkt nach Ein­füh­rung der Reform gebo­ren wur­den und so in Genuss der jus soli Staats­bür­ger­schaft kamen, nach­weis­lich beein­flusst: sie inves­tier­ten mehr in deren indi­vi­du­el­le und sozia­le Ent­wick­lung und ten­die­ren gleich­zei­tig dazu, ins­ge­samt weni­ger Kin­der zu haben.

Wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chun­gen bele­gen auch für den Fall der Schweiz, dass Staats­bür­ger­schaft den Inte­gra­ti­ons­pro­zess anregt: Ein­ge­bür­ger­te Immi­gran­tIn­nen enga­gie­ren sich dem­nach hier­zu­lan­de signi­fi­kant häu­fi­ger poli­tisch und wei­sen ein höhe­res poli­ti­sches Wis­sen auf als ver­gleich­ba­re Aus­län­de­rIn­nen. Zudem haben ein­ge­bür­ger­te Per­so­nen stär­ker das Gefühl, die eige­ne Mei­nung zäh­le etwas. Sie lesen häu­fi­ger Schwei­zer Zei­tun­gen und pla­nen län­ger­fris­ti­ger in der Schweiz zu blei­ben als ihre aus­län­di­schen Pendants.

Wichtiges symbolisches Zeichen

Ins­ge­samt legt der kur­ze und gezwun­ge­ner­mas­sen unvoll­stän­di­ge Abriss der exis­tie­ren­den For­schung zum The­ma nahe, dass Staats­bür­ger­schaft eine Rol­le spielt, die weit über blos­se poli­ti­sche Mit­spra­che hin­aus­geht. Indem Staats­bür­ger­schaft Zugang zu poli­ti­scher Mit­spra­che schafft, leis­tet sie einen wich­ti­gen Bei­trag zur indi­vi­du­el­len Inte­gra­ti­ons­för­de­rung. Wie im Eröff­nungs­blog die­ser Serie aus­führ­lich dis­ku­tiert, bringt die Abstim­mungs­vor­la­ge vom 12. Febru­ar nur beschei­de­ne Ein­bür­ge­rungs­er­leich­te­run­gen für die drit­te Aus­län­der­ge­nera­ti­on mit sich. Ein mode­ra­tes Reform­vor­ha­ben also, das nicht ver­gleich­bar ist mit der Ein­füh­rung des jus soli Prin­zips für Ein­wan­de­rer und Ein­wan­de­rin­nen der zwei­ten Genera­ti­on in Deutschland.

Unge­ach­tet der mini­men recht­li­chen Aus­wir­kun­gen – sym­bo­lisch kommt die­ser Abstim­mung eine gros­se Bedeu­tung zu. Staats­bür­ger­schaft bringt näm­lich nicht nur greif­ba­re oder mate­ri­el­le Vor­tei­le mit sich, son­dern sie hat auch eine sym­bo­li­sche Wir­kung. Weit wich­ti­ger als die for­ma­le Ein­bür­ge­rungs­po­li­tik ist dabei die offi­zi­el­le Hal­tung gegen­über Immi­gran­tIn­nen. Wer­den die­se als ver­dienst­vol­le und gleich­be­rech­tig­te Mit­glie­der der Gesell­schaft erach­tet, sen­det dies ein ganz ande­res Signal, als wenn sie pri­mär als Sicher­heits- oder Kos­ten­ri­si­ko wahr­ge­nom­men werden.

Inter­na­tio­na­le Stu­di­en zei­gen, dass die offi­zi­el­le Hal­tung gegen­über Immi­gran­tIn­nen die Inte­gra­ti­on beein­flusst. Füh­len sich Ein­wan­de­rer und Ein­wan­de­rin­nen will­kom­men, fällt es ihnen leich­ter, sich mit dem Auf­nah­me­land zu iden­ti­fi­zie­ren und sich dar­in zu enga­gie­ren. In die­sem Sinn bie­tet die anste­hen­de Abstim­mung die Chan­ce, ein Will­kom­mens­zei­chen zu set­zen, das jene Per­so­nen zur voll­wer­ti­gen Teil­nah­me und Teil­ha­be am öffent­li­chen Schwei­zer Leben ermu­tigt, die bereits seit Genera­tio­nen hier leben.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag erschien am 19. Janu­ar 2017 auf dem Blog des NCCR on the move der Uni­ver­si­tät Neuchâtel. 


Lite­ra­tur:

  • Blo­em­raad, Ire­ne (im Erschei­nen). „Does citi­zenship mat­ter?“ In Oxford Hand­book of Citi­zenship, her­aus­ge­ge­ben von Aye­let Shachar, Rai­ner Bau­böck, Ire­ne Blo­em­raad und Maar­ten Peter Vink. Oxford: Oxford Uni­ver­si­ty Press.

Foto: Flickr.

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