Populismus und Demokratie — Wo die Wissenschaft steht

Popu­lis­ti­sche Par­tei­en sind über­all in Euro­pa auf dem Vor­marsch. Doch was bedeu­tet Popu­lis­mus genau? Wie eine wis­sen­schaft­li­che Kon­fe­renz mit Exper­tin­nen und Exper­ten aus der Poli­tik- und der Medi­en­wis­sen­schaft zeig­te, besteht dar­über kei­ne Einigkeit. 

Der Front Natio­nal in Frank­reich, die Ukip in Gross­bri­tan­ni­en, die SVP in der Schweiz — popu­lis­ti­sche Par­tei­en ver­zeich­nen seit Jah­ren euro­pa­weit deut­li­che Zuwäch­se in der Gunst von Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern. Eben­falls seit Jah­ren arbei­ten sich ver­schie­de­ne wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­pli­nen an der Erklä­rung die­ses Phä­no­mens ab. Nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Prä­si­den­ten der USA dürf­te dies noch ver­stärkt der Fall sein.

Die­ses Jahr tra­fen sich Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler in Zürich, um sich in Bezug auf drei Haupt­the­men aus­zu­tau­schen: Popu­lis­mus in ver­schie­de­nen Kon­tex­ten (his­to­ri­schen, poli­ti­schen, öko­no­mi­schen, medi­en­st­ruk­tu­rel­len), popu­lis­ti­sche und nicht-popu­lis­ti­sche Akteu­re und Popu­lis­mus & Wäh­len­de.

Es zeig­te sich, dass fächer­über­grei­fend kla­re Begrif­fe und Defi­ni­tio­nen in der Popu­lis­mus­for­schung teil­wei­se feh­len und dass noch eini­ges an (theo­re­ti­scher) Arbeit zu leis­ten ist. Eine ver­stärk­te inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit ist ange­zeigt, um das Phä­no­men bes­ser erklä­ren zu kön­nen, wie der nach­fol­gen­de Kon­fe­renz­be­richt deut­lich macht.

Popu­lism and Demo­cra­cy-Kon­fe­renz
Die “Popu­lism and Democracy“-Konferenz geht auf die Initia­ti­ve des inzwi­schen ver­stor­be­nen Kurt Imhof, Grün­der und frü­he­rer Lei­ter des For­schungs­in­sti­tuts Öffent­lich­keit und Gesell­schaft fög der Uni­ver­si­tät Zürich, zurück. Ver­an­stal­tet wur­de die Tagung vom NCCR Demo­cra­cy, das sowohl Poli­tik- als auch Medi­en­wis­sen­schaft­ler ver­ei­nigt sowie der Stif­tung Bil­dung, Migra­ti­on und Umwelt (BMU-Stif­tung). Die zwei­tä­gi­ge Kon­fe­renz fand am 28. und 29. Juni in Zürich statt.

Die Podi­ums­dis­kus­si­on, an der drei Wis­sen­schaft­ler vom NCCR Demo­cra­cy (Lau­rent Bern­hard, Frank Esser, Wer­ner Wirth), die Medi­en­schaf­fen­den Judith Huber (SRF Echo der Zeit), Chris­tof Moser (Schweiz am Sonn­tag) und Peter Ráso­ny (Neue Zür­cher Zei­tung) sowie Linards Udris vom fög/UZH als Mode­ra­tor teil­nah­men, kann hier nach­ge­schaut werden.

Populismus in verschiedenen Kontexten

Bereits die ers­ten Bei­trä­ge zeig­ten die Haupt­pro­ble­ma­tik der Popu­lis­mus­for­schung auf: Teil­wei­se ist auch unter Exper­tin­nen und Exper­ten nicht ganz klar, was unter Popu­lis­mus genau zu ver­ste­hen ist und damit auch, wie der Popu­lis­mus und sein Ver­hält­nis zur Demo­kra­tie zu bewer­ten ist.

So erwähn­te Cas Mud­de den Links­po­pu­lis­mus, wäh­rend sich ande­re Refe­ren­ten aus­schliess­lich auf den Rechts­po­pu­lis­mus kon­zen­trier­ten. Und wäh­rend eini­ge Teil­neh­men­de Popu­lis­mus für „ultra-poli­tisch“ hal­ten (Mud­de), fin­den ande­re, dass Popu­lis­ten eigent­lich „weni­ger Poli­tik“ woll­ten (Paul Tag­gart) oder im sel­ben Mass wie die Tech­no­kra­tie eine Gefahr für die (libe­ra­le) Demo­kra­tie dar­stel­len (bei­spiels­wei­se Danie­le Cara­ma­ni).

Auch sind in der theo­re­ti­schen Her­an­ge­hens­wei­se und Begriff­lich­keit deut­li­che Unter­schie­de zu sehen, wie die Prä­sen­ta­tio­nen von Danie­le Cara­ma­ni, Mar­co Steen­ber­gen, Lau­rent Bern­hard, Tim Bale, Andre­as Wim­mer (der eine his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve ein­nahm) und Danie­le Alber­taz­zi zeig­ten. Wei­ter wur­de von eini­gen Refe­ren­ten bemän­gelt, dass zu wenig empi­ri­sche For­schung vor­han­den sei.

Auf­grund der Hete­ro­ge­ni­tät der Bei­trä­ge ent­wi­ckel­te sich im Anschluss an die Vor­trä­ge eine leb­haf­te Dis­kus­si­on, die ins­be­son­de­re die Fra­ge nach theo­re­ti­schen Ansät­zen, Wor­d­ing und Model­len zum Inhalt hatte.

Man war sich einig, dass Mas­sen­me­di­en (und Social Media) in die­sem Kon­text mit­ge­dacht wer­den müs­sen und dass vor allem die Dyna­mi­ken zwi­schen Eli­ten, Popu­lis­ten und deren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien und Medi­en ver­stärkt empi­risch ana­ly­siert wer­den müs­sen und man sich nicht bloss auf die popu­lis­ti­schen Akteu­re selbst kon­zen­trie­ren darf. So sehr die­se For­de­rung Anklang fand, so sehr fiel doch bei den meis­ten Prä­sen­ta­tio­nen in theo­re­ti­scher und in empi­ri­scher Hin­sicht eben genau jene Eng­füh­rung auf.

Medien und Populismus

Am zwei­ten Kon­fe­renz­tag wur­de die Rol­le der Medi­en für den Erfolg des Popu­lis­mus the­ma­ti­siert. Frank Esser stell­te eine theo­re­ti­sche Sys­te­ma­tik zum Ver­hält­nis Medi­en und Popu­lis­mus vor, die empi­ri­sche Ana­ly­sen in die­sem Feld bes­ser an die vor­han­de­nen theo­re­ti­schen Grund­an­nah­men rück­kop­peln soll (sie­he Wirth et al. 2016). Eine die­ser Annah­men, näm­lich die Fra­ge nach der mög­li­chen „Kom­pli­zen­schaft“ zwi­schen Bou­le­vard­me­di­en und Popu­lis­ten (Maz­zo­le­ni), wur­de bis­lang kaum sys­te­ma­tisch empi­risch überprüft.

Linards Udris und Jens Lucht fan­den in ihrer empi­ri­schen Ana­ly­se anhand aus­ge­wähl­ter Schwei­zer Par­la­ments­wah­len Hin­wei­se für die­se Kom­pli­zen­schaft, die sich gera­de durch die ent­spre­chen­de Dyna­mik zeigt, d. h. durch die star­ke Medi­en­re­so­nanz für popu­lis­ti­sche Provokationen.

Gian­pie­tro Maz­zo­le­ni ver­such­te, die Fra­ge nach der Kom­pli­zen­schaft auf das Phä­no­men Social Net­works anzu­wen­den, und zeig­te anhand von Reso­nanz- und Sen­ti­ment-Ana­ly­sen auf Twit­ter im Ansatz ähn­li­che Dyna­mi­ken, obgleich er beton­te, dass im Feld Social Media wei­te­re For­schung von­nö­ten sei.

Populismus und Wählerschaft

Zum Abschluss der Kon­fe­renz ging es im drit­ten Panel zunächst anhand von Befra­gungs­da­ten um die alte Dis­kus­si­on, wel­che Ein­stel­lungs­merk­ma­le von Wäh­len­den ver­ant­wort­lich sind, damit sie Popu­lis­ten unter­stüt­zen (Sti­jn van Kes­sel und Mat­t­hijs Roo­du­i­jn). Lin­da Bos, die sich auf ihre Stu­di­en zu Par­tei-Stra­te­gien und zu „media cues“ stütz­te, brach­te die Rol­le der Medi­en ein, die u. a. durch die Ver­mitt­lung von „issue owners­hip“ (d. h. die Deu­tungs­ho­heit über ein The­ma durch einen bestimm­ten Akteur oder eine bestimm­te Par­tei) bei den Nut­zern die Affi­ni­tät für Popu­lis­mus erhöhen.

Dass bestimm­te Issu­es spe­zi­fisch wir­ken, wenn Nut­ze­rin­nen und Nut­zer mit popu­lis­ti­schen Bot­schaf­ten kon­fron­tiert wer­den, zeig­te auch Mar­tin Wett­stein. Domi­ni­que Wirz konn­te anhand eines Expe­ri­ments zei­gen, dass emo­tio­na­le, popu­lis­ti­sche Bot­schaf­ten von der Wäh­ler­schaft tat­säch­lich als beson­ders über­zeu­gend wahr­ge­nom­men wer­den. Zudem erhöht das Aus­lö­sen von „Ärger“ bei den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern die Bereit­schaft für poli­tik­ver­schär­fen­de Massnahmen.


Refe­ren­zen:

Titel­bild: Pla­ka­te der Schwei­ze­ri­schen Volks­par­tei, August 2010. Wiki­me­dia Com­mons, gemein­frei (CC0).

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