Geschenke verteilen nach Teilnahme an Gemeindeversammlung? Keine gute Idee!

In der Schweiz nimmt durch­schnitt­lich nur noch jeder zehn­te Stimm­be­rech­tig­te an Gemein­de­ver­samm­lun­gen teil, Ten­denz sin­kend. Um mehr Men­schen zur Teil­nah­me an Gemein­de­ver­samm­lun­gen zu bewe­gen, las­sen sich Gemein­den mitt­ler­wei­le eini­ges ein­fal­len. Zum Bei­spiel in Form von Geschen­ken. Das kommt aber gar nicht gut an, wie unse­re Befra­gung zeigt.

Geschen­ke sind als För­der­mass­nah­me für die loka­le direk­te Demo­kra­tie unge­eig­net. Kon­tra­pro­duk­tiv ist es auch, wenn Ver­ei­ne ihre Mit­glie­der aktiv zur Teil­nah­me an der Gemein­de­ver­samm­lung auf­for­dern. Die­se und wei­te­re über­ra­schen­de Befun­de zeigt die ers­te reprä­sen­ta­ti­ve Befra­gung von Stimm­be­rech­tig­ten zur Betei­li­gung an Gemein­de­ver­samm­lun­gen in der Schweiz. Durch­ge­führt wur­de sie vom Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA) in Rich­ters­wil (ZH).

Sind Gemeindeversammlungen noch zeitgemäss?

Die Fra­ge, ob Gemein­de­ver­samm­lun­gen als demo­kra­ti­sche Insti­tu­ti­on über­haupt noch ange­mes­sen sind, wird immer lau­ter. In vie­len Gemein­den der Schweiz ent­schei­det seit Jah­ren nur noch eine klei­ne Min­der­heit über Ange­le­gen­hei­ten des Dor­fes. Wäre es daher nicht legi­tim, vie­ler­orts Gemein­de­par­la­men­te einzuführen?

Nein, fin­det die Mehr­heit der Rich­ters­wi­ler Stimm­be­rech­tig­ten. Nur ein Vier­tel der Befrag­ten, die regel­mäs­sig an Gemein­de­ver­samm­lun­gen teil­neh­men, und auch nur knapp jeder Drit­te der­je­ni­gen Rich­ters­wi­ler, die prak­tisch nie an Gemein­de­ver­samm­lun­gen teil­neh­men, spre­chen sich für ein Gemein­de­par­la­ment aus.

Grosse Zufriedenheit mit kommunaler Demokratie

Die Rich­ters­wi­le­rin­nen und Rich­ters­wi­ler sind zufrie­den mit der kom­mu­na­len Demo­kra­tie und haben gros­ses Ver­trau­en in die Gemein­de­be­hör­den – unabhängig davon, ob sie Gemein­de­ver­samm­lun­gen besu­chen oder nicht. Es gibt aber Unter­schie­de zwi­schen den­je­ni­gen, die an Gemein­de­ver­samm­lun­gen teil­neh­men und den­je­ni­gen, die ihnen fern bleiben.

Die teil­neh­men­den Stimm­be­rech­tig­ten sind im Ver­gleich zu den Ver­samm­lungs­ab­sti­nen­ten im Durch­schnitt älter, woh­nen seit län­ge­rer Zeit in der Gemein­de und gehen auch häu­fi­ger an die Urne. Hin­ge­gen unter­schei­den sie sich in Bezug auf Geschlecht, Aus­bil­dung, Ein­kom­men und poli­ti­sche Posi­tio­nen nicht signi­fi­kant von der rest­li­chen Stimmbevölkerung.

Thema, Dauer und Wochentag entscheidend, ob jemand teilnimmt oder nicht

Ent­schei­dend für die Teil­nah­me sind die behan­del­ten The­men, die Län­ge der Ver­samm­lung und der Wochen­tag – gegen Ende der Woche sinkt die Bereit­schaft rapi­de, sich im Rah­men einer Gemein­de­ver­samm­lung mit poli­ti­schen Geschäften aus­ein­an­der­zu­set­zen. Das gedruck­te Wei­sungs­heft mit Erläu­te­run­gen zu den Vor­la­gen wird mehr­heit­lich geschätzt. Ein Ersatz des Hef­tes durch eine Online-Publi­ka­ti­on oder durch ein You­tube-Video wür­de hin­ge­gen auf wenig Gegen­lie­be stossen.

Geschenke bringen nichts

Mitt­ler­wei­le set­zen man­che Gemein­den zur Stei­ge­rung der Teil­nah­me bereits klei­ne Geschen­ke ein. Bei­spiels­wei­se schenkt die Aar­gau­er Gemein­de Sis­seln den Teil­neh­men­den an der Gemein­de­ver­samm­lung eine Abfall­sack­rol­le, ande­re Gemein­den im Aar­gau ver­lo­sen Ein­kaufs­gut­schei­ne oder laden zum Essen ein. Doch sol­che Geschen­ke moti­vie­ren die Nicht-Teil­neh­men­den nicht zu einem Ver­samm­lungs­be­such. Auf bereits Teil­neh­men­de wir­ken sie sogar befremdlich.

Nicht-Teil­neh­men­de las­sen sich am ehes­ten durch eine ihnen nahe­ste­hen­de Per­son zur Teil­nah­me über­zeu­gen, wäh­rend bereits Teil­neh­men­de die Ver­samm­lun­gen vor allem aus eige­nem Antrieb besuchen.

Es gibt kein Allerheilmittel, um Interesse an Politik zu wecken

Wel­che Mög­lich­kei­ten gibt es nun, um Bür­ge­rin­nen und Bür­ger im All­ge­mei­nen und die jüngeren Per­so­nen im Spe­zi­el­len dazu zu bewe­gen, sich wie­der akti­ver in die Gemein­de­po­li­tik ein­zu­brin­gen? Die Stu­die zeigt, dass die Mög­lich­kei­ten bei der Aus­ge­stal­tung der Ver­samm­lung begrenzt sind.

Die Ver­mitt­lung not­wen­di­gen Wis­sens zur Ent­schei­dungs­fin­dung und leb­haf­te poli­ti­sche Debat­ten sind wirk­sa­mer als Aktio­nis­mus in Form von Video­fil­men oder die Ver­tei­lung von Give-aways. Aber die Gemein­de­po­li­tik könn­te im Rah­men der poli­ti­schen Bil­dung als Anschau­ungs­bei­spiel in den Unter­richt ein­ge­baut wer­den, zum Bei­spiel in Koope­ra­ti­on mit den Gemein­de­be­hör­den oder loka­len poli­ti­schen Akteu­ren und Schü­ler­be­su­chen an Gemeindeversammlungen.

Dar­über hin­aus liegt es in der Hand der Gemein­de­be­hör­den und der poli­ti­schen Akteu­re wie Par­tei­en, Ver­bän­de und Ver­ei­ne, bei den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern Inter­es­se an der Gemein­de­po­li­tik zu wecken und ihnen die Ent­schei­dungs­op­tio­nen so zu erklä­ren, dass sie die­se auch ver­ste­hen und sich dazu eine Mei­nung bil­den können.

Befra­gung in Richterswil
Die Befra­gung in Rich­ters­wil wur­de im Früh­jahr 2016 im Rah­men einer Mas­ter­ar­beit in Poli­tik­wis­sen­schaft durch­ge­führt. Es wur­den 5’000 Stimm­be­rech­tig­te der Gemein­de nach einem Zufalls­ver­fah­ren aus­ge­wählt und ange­schrie­ben, 1’638 Stimm­be­rech­tig­te haben teil­ge­nom­men. Dies ent­spricht einer Rück­lauf­quo­te von rund 33 Prozent.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag bezieht sich auf Haus, Alex­an­der; Rochat, Phil­ip­pe E.; Küb­ler, Dani­el (2016): „Die Betei­li­gung an Gemein­de­ver­samm­lun­gen. Ergeb­nis­se einer reprä­sen­ta­ti­ven Befra­gung von Stimm­be­rech­tig­ten in der Gemein­de Rich­ters­wil“, Stu­di­en­be­rich­te des Zen­trums für Demo­kra­tie Aar­au, Nr. 8 (Sep­tem­ber 2016).

Zum The­ma Teil­nah­me an Gemein­de­ver­samm­lun­gen sind auf DeFac­to bereits fol­gen­de Bei­trä­ge erschienen:

Bild: Rich­ters­wil Bahn­hof, Wiki­me­dia Com­mons.

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