Am offenen Herzen der Gesellschaft forschen

Ulri­ke Klin­ger erforscht die poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Social Media. Nicht nur wir Nor­mal­bür­ger infor­mie­ren uns über Twit­ter, tei­len Per­sön­li­ches auf Face­book und ver­trau­en Tin­der-Algo­rith­men unse­re Part­ner­wahl an. Auch Poli­ti­ker haben Social Media ent­deckt und nut­zen sie fleis­sig. Aller­dings nicht ganz so erfolg­reich wie sie möch­ten. Wes­halb das so ist, dem geht die Publi­zis­tik­wis­sen­schaft­le­rin der Uni­ver­si­tät Zürich (IPMZ) nach.

Sommerserie Portraets

Ein Bob gegen Bots

Ulri­ke Klin­gers schwar­zer Bob ist so grad­li­nig wie ihr Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stil und zugleich so pep­pig wie ihre futu­ris­tisch klin­gen­den For­schungs­the­men. Sie spricht über die digi­ta­le Welt – und unbe­fan­ge­ne Neu­gier sprüht aus ihr. Dabei wird auch sie bis­wei­len von digi­ta­len Geis­tern wie z.B. Bots in die Irre geführt.

«Das Aus­mass von Bots in der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on scheint mitt­ler­wei­le erschre­ckend hoch. Auch für For­schen­de sind die Zei­ten der ein­fa­chen Aus­zäh­lung von Fol­lo­wern und Kom­men­ta­ren vorbei.»

Ulri­ke Klin­ger, Medienforscherin

 
Bots
Bots sind pro­gram­mier­te Maschi­nen, die in Online-Por­ta­len mas­sen­haft Pro­pa­gan­da ver­brei­ten – und For­scher dazu ver­lei­ten, sie als Abbild öffent­li­cher Mei­nung zu missdeuten.

Ein Vier­tel von Donald Trumps Social-Media-„Fans” sind Kom­men­tar­ma­schi­nen und kei­ne Men­schen (Woolley&Howard 2016). Die­se Bots erhö­hen künst­lich die Online­po­pu­la­ri­tät eines poli­ti­schen Akteurs. Öffent­lich­keit und Wäh­ler kön­nen somit leicht getäuscht wer­den — und dies erst noch kos­ten­güns­tig. Sie erwei­tern damit das Reper­toire an mög­li­chen Mani­pu­la­tio­nen wie bei­spiels­wei­se mög­lichst vie­le Face­book-Freun­de aus Ost­eu­ro­pa zu kau­fen oder ein Schrei­ber-Heer für schmei­cheln­de Kom­men­ta­re zu bezahlen.

Experimentierfreudige Schweizer Politiker

Aktu­ell erforscht Ulri­ke Klin­ger, wie Schwei­zer Poli­ti­ker und Par­tei­en sozia­le Medi­en wie Face­book oder Twit­ter nut­zen. Poli­ti­ker und Par­tei­en glau­ben zwar an den Ertrag dank Social Media, doch bis­lang set­zen sie sie noch nicht ide­al ein.

Nichts­des­to­trotz ist von der Lokal­po­li­tik bis ins Bun­des­haus das Inter­es­se an Social Media gross. Theo­re­tisch kön­ne man über Social Media bes­ser mit Wäh­lern kom­mu­ni­zie­ren, mehr Stim­men gewin­nen und dem Volk in Eigen­re­gie sein gewünsch­tes Pro­fil vermitteln.

Die Rea­li­tät ist jedoch ernüch­ternd. Zwar nut­zen alle Par­tei­en und eine gros­se Mehr­heit der Par­la­ments­mit­glie­der Social Media, jedoch errei­chen sie damit nur weni­ge Wäh­ler, von Inter­ak­tio­nen mit ihnen ganz zu schwei­gen (Klin­ger 2013). Aus­ser­dem blei­ben Macht­un­ter­schie­de im digi­ta­len Raum unver­än­dert bestehen. So haben bei­spiels­wei­se mäch­ti­ge Par­tei­en im Gegen­satz zu klei­nen Nischen­par­tei­en nicht nur off­line viel mehr Wäh­ler­stim­men, son­dern akku­mu­lie­ren auch online viel mehr Face­book-Friends und Likes. 

Drei Gründe, warum soziale Medien die Schweizer Politlandschaft nicht auf den Kopf stellen
  • Ers­tens  hängt es auch vom poli­ti­schen Sys­tem ab, ob sich der Ein­satz sozia­ler Medi­en für Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker aus­zahlt. Und das poli­ti­sche Sys­tem der Schweiz belohnt die Social-Media Prä­senz von Poli­ti­kern kaum, fin­det Klin­ger. Der Kan­tön­li­geist lässt Poli­ti­ker oft nur im Hei­mat­kan­ton popu­lär sein – kan­tons­über­grei­fen­de Popu­la­ri­tät ist weder beson­ders erwünscht noch vor­ge­se­hen. Aus­ser­dem sind im kon­sens­ori­en­tier­ten Sys­tem der Schweiz Wahl­kämp­fe weni­ger wich­tig als bei­spiels­wei­se in den USA.

  • Zwei­tens nut­zen Poli­ti­ker sozia­le Medi­en zur ein­sei­ti­gen Infor­ma­ti­ons­ver­brei­tung statt sich inter­ak­tiv mit Wäh­lern aus­ein­an­der­zu­set­zen (Klin­ger & Svens­son, 2014). Die stra­te­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on über eta­blier­te, klas­si­sche Medi­en wie Zei­tun­gen lässt sich aber nicht ins digi­ta­le Zeit­al­ter übertragen. 

  • Drit­tens posaunt der Schwei­zer Wäh­ler sei­ne poli­ti­sche Mei­nung ungern in die sozia­len Medi­en. Es ent­sprä­che nicht der hie­si­gen poli­ti­schen Kul­tur, sich mit Likes zu SP, SVP oder ande­ren Par­tei­en zu outen, so Klinger.

Social Media im ame­ri­ka­ni­schen Wahlkampf
Im ame­ri­ka­ni­schen Zwei­par­tei­en­sys­tem geht es bei Wah­len um wesent­lich mehr als hier­zu­lan­de. Folg­lich haben im lau­fen­den Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf sowohl Clin­ton von der demo­kra­ti­schen oder wie auch Trump von der repu­bli­ka­ni­schen Par­tei mehr Anrei­ze, sehr viel Geld in ihre Kam­pa­gnen auf Social-Media zu investieren. 

In der aktu­el­len Prä­si­dent­schafts­vor­wahl kam bei­spiels­wei­se sogar die Dating-Platt­form Tin­der zum Zug: Weib­li­che Unter­stüt­zer des Kan­di­da­ten San­ders hat­ten über Tin­der statt Lie­bes­an­fra­gen Wahl­pro­pa­gan­da ver­schickt. Social Media durch­dringt also zuneh­mend unse­ren poli­ti­schen Alltag.

Gefahren oder Chancen für die Politik durch Social Media?

Eine wei­te­re, laut Klin­ger besorg­nis­er­re­gen­de Ent­wick­lung der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on, ist Data Mining. Data Mining bedeu­tet, dass die Spu­ren, die jede und jeder beim Sur­fen im Inter­net hin­ter­lässt, so zusam­men­ge­führt wer­den, dass dar­aus ein per­so­na­li­sier­tes Wäh­ler­pro­fil erstellt wer­den kann.

Das heisst, dass poli­ti­sche Wer­bung immer weni­ger allei­ne auf Grund der Zuge­hö­rig­keit zu einer sozia­len Grup­pe (bei­spiels­wei­se Frau­en, Land­wir­te oder Stadt­be­woh­ner) ver­schickt wird, son­dern immer mehr auf digi­ta­le Daten­spu­ren zuge­schnit­ten wird. 

Einer­seits bringt die­se erhöh­te Trans­pa­renz die Gefahr, dass die Pri­vat­sphä­re zuneh­mend ver­letzt wird. Ande­rer­seits ist auch das Risi­ko für Dis­kri­mi­nie­rung hoch. Denn frü­he­re Ver­hal­tens­mus­ter einer Per­son wer­den von einem Algo­rith­mus dafür benutzt, zukünf­ti­ges Ver­hal­ten vor­aus­zu­sa­gen. Die Fol­ge ist, dass man nur noch mit bestimm­ten Aus­schnit­ten poli­ti­scher Wer­bung kon­fron­tiert wird, die per­fekt auf die eige­nen ver­gan­ge­nen Prä­fe­ren­zen zuge­schnit­ten sind. Ande­re Posi­tio­nen wer­den einem vor­ent­hal­ten. Somit wird die Vor­her­sa­ge zu einer selbst­er­fül­len­den Prophezeiung. 

Die Digi­ta­li­sie­rung der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on hat aber auch gute Sei­ten, bemerkt Klin­ger: “Durch Social Media bekom­men mehr Leu­te etwas von Poli­tik mit, obwohl sie gar nicht danach suchen”. Social-Media-Kom­men­ta­re ver­sor­gen einen auch mit Infor­ma­tio­nen aus­ser­halb der regu­lä­ren sozia­len Krei­se. Auf Face­book zu sehen, dass der alte Schul­freund nun an Ver­schwö­rungs­theo­rien glaubt, kann zwar erschre­cken – bie­tet aber auch eine alter­na­ti­ve Welt­sicht, meint Klinger.

Ordnung im Social Media-Gewirr finden

Wie ana­ly­sie­ren For­sche­rin­nen und For­scher wie Ulri­ke Klin­ger die gesell­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen, die Social Media mit sich brin­gen? Im Wirr­warr stän­dig neu­er Platt­for­men und Hypes die Kon­stan­te fin­den, das trei­be sie an, sagt Klin­ger. Einer­seits neh­me sie eine Vogel­per­spek­ti­ve auf das beweg­li­che For­schungs­ob­jekt der digi­ta­len Welt ein, ande­rer­seits wol­le sie die Logik kon­kre­ter Ver­fah­ren verstehen.

Algo­rith­men bei­spiels­wei­se tref­fen tag­täg­lich eine Unmen­ge an Ent­schei­dun­gen, repro­du­zie­ren aber auch gleich­zei­tig bestimm­te Nor­men, Wer­te und Geschäfts­mo­del­le. Um die­se Logi­ken trans­pa­rent zu machen, bedarf es For­schung „am offe­nen Her­zen der Gesell­schaft“ wie es Klin­ger aus­drückt. Um Ein­fluss auf die Gestal­tung der sich rasch ändern­den, digi­ta­len Welt und sei­ne Algo­rith­men zu neh­men, soll­te For­schung im Hier und Jetzt erfol­gen — und nicht erst im Rück­blick in hun­dert Jah­ren, wenn der Zug für jeg­li­che Ein­fluss­nah­me längst abge­fah­ren ist. 


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