Wenn der politische Gegner zum Teufel wird, hat dies Konsequenzen auf die Politik

Die Schweiz gilt als das Para­de­bei­spiel einer Kon­sens­de­mo­kra­tie. Doch unser poli­ti­sches Sys­tem ist kon­flikt­rei­cher gewor­den. Das hat Fol­gen: Wird der poli­ti­sche Geg­ner als “Teu­fel” gebrand­markt, beschä­digt dies das Ver­trau­en zwi­schen den ein­zel­nen Akteu­ren. Kom­pro­mis­se wer­den zuneh­mend schwieriger. 

Die Schwei­zer Poli­tik war lan­ge Zeit durch die star­ke Pro­blem­lö­sungs­be­reit­schaft, die aus­ge­präg­te Macht­auf­tei­lung und das hohe Ver­trau­en zwi­schen den Akteu­ren geprägt. Das erleich­ter­te das Fin­den von Kom­pro­mis­sen zwi­schen unter­schied­li­chen Partnern.

Die Verteufelung des Gegners bleibt nicht folgenlos 

Die­se gros­se Ver­hand­lungs- und Lern­be­reit­schaft sowie die Suche nach effi­zi­en­ten poli­ti­schen Lösun­gen wird jedoch auch in unse­rem poli­ti­schen Sys­tem erschwert, wenn zwi­schen den ver­schie­de­nen Akteu­ren ein star­ker Kon­flikt herrscht und unaus­ge­gli­che­ne Mach­ver­hält­nis­se die Aus­ein­an­der­set­zung beein­flus­sen. Es besteht in die­sem Fall die Gefahr, dass poli­ti­sche Pro­zess zu einer Ver­teu­fe­lung des Geg­ner füh­ren, was die Kom­pro­miss­fä­hig­keit und das Ver­trau­en zwi­schen den Akteu­ren län­ger­fris­tig schädigt.

Info­box: Theo­rie der Ver­teu­fe­lung des poli­ti­schen Gegners
Die Idee, dass sich poli­ti­sche Akteu­re gegen­sei­tig ver­teu­feln und so ihren Kon­flikt unab­hän­gig von inhalt­li­chen Posi­tio­nen über die Zeit ver­stär­ken, basiert auf Argu­men­ten aus der sozio-psy­cho­lo­gi­schen Ver­hal­tens­for­schung und kogni­ti­ven Theo­rien. Die­se gehen davon aus, dass Akteu­re grund­sätz­lich Mühe haben, ande­re Akteu­re, und vor allem ihre Geg­ner, ein­zu­schät­zen. Die­sel­ben objek­ti­ven Infor­ma­tio­nen wer­den von Akteu­ren unter­schied­lich auf­ge­fasst und ver­wer­tet. Wäh­rend Infor­ma­tio­nen, wel­che bestehen­de Auf­fas­sun­gen und Bil­der bestä­ti­gen, ver­stärkt auf­ge­nom­men wer­den, haben Infor­ma­tio­nen, wel­che bestehen­den Auf­fas­sun­gen und Bil­dern wider­spre­chen, kaum einen Ein­fluss auf Akteu­re (Saba­tier et al. 1987).

Die Ver­teu­fe­lung und die dar­auf fol­gen­de Nega­tiv­spi­ra­le sind auf die Unfä­hig­keit von Akteu­ren, ihre Geg­ner rich­tig ein­zu­schät­zen, zurück­zu­füh­ren (sie­he Indo­box 1). Dies gilt sowohl für die Ein­schät­zung des Kon­flik­tes mit Geg­nern, als auch für die Ein­schät­zung deren Einflusses.

Kon­flik­te mit dem poli­ti­schen Geg­ner — das heisst Dif­fe­ren­zen bezüg­lich ange­streb­ter Poli­tik­lö­sun­gen — wer­den sys­te­ma­tisch über­schätzt. Dies, weil es für Akteu­re ein­fa­cher ist, eine durch­’s Band nega­ti­ve Auf­fas­sung des poli­ti­schen Geg­ners zu haben.

«Kon­flik­te mit dem poli­ti­schen Geg­ner wer­den sys­te­ma­tisch überschätzt.»

Manu­el Fischer, Karin Ingold, Pas­cal Scia­ri­ni, Fré­dé­ric Varone

Der Ein­fluss des Geg­ners im Ent­schei­dungs­pro­zess wird des­halb über­schätzt, weil Akteu­re Nie­der­la­gen stär­ker emp­fin­den als Erfol­ge. Frü­he­re poli­ti­sche Nie­der­la­gen ver­stär­ken also das Gefühl der Über­macht des Geg­ners, wäh­rend eige­ne Erfol­ge die­ses Bild nur wenig kor­ri­gie­ren können.

Das Phä­no­men der Ver­teu­fe­lung des poli­ti­schen Geg­ners ist grund­sätz­lich auf ver­schie­de­nen Ebe­nen zu beob­ach­ten. Es kann zwi­schen ein­zel­nen Par­la­ments­mit­glie­dern, zwi­schen Par­tei­en und Ver­bän­den im Poli­tik­pro­zess oder auch zwi­schen Staa­ten in inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen auftreten.

Verteufelung in der Schweizer Politik

Für unse­re Unter­su­chung haben wir uns auf Orga­ni­sa­tio­nen in neun Schwei­zer Poli­tik­pro­zes­sen zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts kon­zen­triert und ver­sucht auf­zu­zei­gen, inwie­fern das Phä­no­men der Ver­teu­fe­lung in der Schwei­zer Poli­tik die Ent­schei­dungs­fin­dung erschwe­ren könn­te. Wir haben dafür jeweils die „sub­jek­ti­ve“ Ein­schät­zung eines Akteu­res über sei­nen Kon­flikt mit dem Geg­ner sowie des­sen Macht mit einer eher „objek­ti­ven“ Ein­schät­zung ver­gli­chen. Letz­te­re wur­de basie­rend auf inhalt­li­chen Diver­gen­zen (Kon­flikt) und der Gesamt­ein­schät­zung aller Akteu­re (Ein­fluss) erhoben.

Info­box: For­schungs­pro­jekt und Methode 
Die Ana­ly­se war Teil des For­schungs­pro­jek­tes „The Swiss decisi­on-making sys­tem in the 21th cen­tu­ry: power, insti­tu­ti­ons, con­flicts.”: Im Rah­men des vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds finan­zier­ten For­schungs­pro­jek­tes haben Pas­cal Scia­ri­ni und Manu­el Fischer zusam­men mit Deni­se Tra­ber die elf wich­tigs­ten Ent­schei­dungs­pro­zes­se zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts unter­sucht. Laut einer brei­ten Exper­ten­um­fra­ge waren fol­gen­de Ent­schei­dungs­pro­zes­se die wich­tigs­ten zwi­schen 2001 und 2006: 11. AHV-Revi­si­on, Ver­fas­sungs­ar­ti­kel Bil­dung, Kern­ener­gie­ge­setz, Infra­struk­tur­fonds, Neu­er Finanz­aus­gleich, Neu­es Aus­län­der­ge­setz, Ent­las­tungs­pro­gramm 2003, Revi­si­on Fern­mel­de­ge­setz, Bila­te­ra­les Abkom­men Schen­gen-Dub­lin, Bila­te­ra­les Abkom­men Zins­be­steue­rung, Erwei­te­rung Personenfreizügigkeit.

Die Unter­su­chun­gen im Pro­jekt basie­ren auf 251 Inter­views mit Ver­tre­tern der Ver­wal­tung, Par­tei­en, Inter­es­sen­grup­pen, Kan­to­nen und der Wis­sen­schaft. Zwei sehr kon­sen­su­el­le Pro­zes­se (Bil­dungs­re­form, Zins­be­steue­rung) wur­den für die Unter­su­chung der Ver­teu­fe­lung nicht ein­be­zo­gen, wes­halb die­se auf nur neun Pro­zes­sen beruht. Ein Buch, wel­ches auf­grund der Pro­jekt­er­kennt­nis­se den Zustand des poli­ti­schen Sys­tems der Schweiz dis­ku­tiert, ist letz­tes Jahr erschie­nen (Scia­ri­ni et al. 2015).

Unse­re Resul­ta­te zei­gen, dass Akteu­re sich gegen­sei­tig vor allem bezüg­lich des Kon­flikts (im Gegen­satz zum Ein­fluss) ver­teu­feln, und dass dies vor allem in gewis­sen Poli­tik­pro­zes­sen der Fall ist. Tabel­le 1 zeigt Durch­schnitts­wer­te aller Akteu­re bezüg­lich ihrer Ein­schät­zung der Geg­ner und gibt Hin­wei­se auf die Pro­zes­se, bei denen Ver­teu­fe­lung eher prä­sent war.

Der poli­ti­sche Ein­fluss der Geg­ner wird im Durch­schnitt in kei­nem der neun Pro­zes­se über­schätzt, in drei­en unter­schät­zen die Akteu­re ihre Geg­ner gar. Hin­ge­gen wird der Kon­flikt mit dem Geg­ner in sie­ben von neun Pro­zes­sen im Durch­schnitt über­schätzt. Die Ver­teu­fe­lung der Geg­ner fin­det also in der Schweiz vor allem in Bezug auf den Kon­flikt statt.

Abbildung 1:

Graph 1

In der Schweiz werden vor allem Parteien verteufelt

In einem zwei­ten Ana­ly­se­schritt haben wir die Resul­ta­te nicht auf Pro­zess­ebe­ne aggre­giert, son­dern einer sta­tis­ti­schen Ana­ly­se auf Akteurs­ebe­ne unter­zo­gen. Dabei zeigt sich, dass vor allem Par­tei­en unter einer Ver­teu­fe­lung lei­den; ihr Ein­fluss wird von Geg­nern sys­te­ma­tisch über­schätzt. Poli­ti­sche Akteu­re über­schät­zen ihren Kon­flikt mit Inter­es­sen­grup­pen und Par­tei­en, aller­dings nicht mit der Ver­wal­tung. Zudem wird der Kon­flikt mit ein­fluss­rei­chen Akteu­ren gene­rell über­schätzt. Schluss­end­lich zeigt sich, dass vor allem Poli­tik­pro­zes­se mit sozio-öko­no­mi­schen Kon­flikt­li­ni­en (im Gegen­satz zu öff­nungs­po­li­ti­schen Kon­flikt­li­ni­en) vom Phä­no­men der Ver­teu­fe­lung betrof­fen sind.

Die­se Resul­ta­te beleuch­ten ein wenig bekann­tes, aber poten­ti­ell wich­ti­ges Phä­no­mens in der Schwei­zer Poli­tik. Unser tra­di­tio­nell kon­sens-basier­tes poli­ti­sches Sys­tem ist kon­flikt­rei­cher gewor­den (sie­he Scia­ri­ni et al. 2015). Auf­grund psy­cho­lo­gi­scher Mecha­nis­men und ver­fälsch­ten Auf­fas­sun­gen des Geg­ners kön­nen sich Kon­flik­te ver­stär­ken und Kon­flikt­li­ni­en ver­här­ten. Die Gefahr der Ver­teu­fe­lung etwas abschwä­chen dürf­te die Tat­sa­che, dass Kon­flikt­li­ni­en in der Schwei­zer Poli­tik nicht in allen Berei­chen gleich verlaufen.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag bezieht sich auf Fischer, Manu­el, Karin Ingold, Pas­cal Scia­ri­ni und Fré­dé­ric Varo­ne (2016). Dealing with bad guys: actor- and pro­cess-level deter­mi­nants of the “devil shift” in poli­cy making. Jour­nal of Public Poli­cy 36(2). 


Titel­bild: Par­la­ments­diens­te 3003 Bern

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