Ich, der Troll: Wieso Online-Hasser gerne ihren vollen Namen nennen

Hass-Stür­me in den sozia­len Medi­en gehö­ren mitt­ler­wei­le zum digi­ta­len All­tag. Schuld dar­an sei die Anony­mi­tät im Inter­net, wird oft moniert. Dass ein Anony­mi­täts­ver­bot die gefürch­te­ten Hass-Stür­me aller­dings nicht ver­hin­dern, son­dern gar anhei­zen könn­te, legt eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Zürich nahe.

«Scheiss­kor­rup­ter Staat!», «Bestech­li­ches Gesin­del!», «Tu uns den Gefal­len und stirb!»: 832 Kom­men­ta­re, 4211 Likes. Mar­kus A. über­fliegt spät­abends die Kom­men­tar­flut auf der Social-Media-Sei­te eines bekann­ten Poli­ti­kers. Der Poli­ti­ker war wegen Kor­rup­ti­ons­ver­dacht in Ungna­de gefal­len. Mar­kus A. konn­te die­sen Poli­ti­ker noch nie lei­den. Also beginnt auch Mar­kus A. sei­nen Hass in die Tas­ta­tur zu häm­mern — unter sei­nem vol­len Namen.

Online-Hasser verzichten auf Anonymität

Dass nicht-anony­me Has­ser wie Mar­kus A. zuneh­mend die Regel statt die Aus­nah­me sind, legt eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Zürich nahe. Ent­ge­gen weit­ver­brei­te­ter Annah­men fan­den Rost, Sta­hel & Frey (2016), dass Online-Has­ser, d.h. belei­di­gen­de, schimp­fen­de, oder abwer­ten­de Social-Media-Kom­men­tie­rer, oft nicht anonym sind — sogar öfters als fried­li­che Kom­men­tie­rer. Dass sich Online-Has­ser zuneh­mend nicht um Anony­mi­tät sche­ren, beob­ach­ten unlängst auch besorg­te Medi­en­schaf­fen­de, wie z.B. die deut­sche Mode­ra­to­rin Anja Reschke (2015). Nicht-anony­mes Has­sen wird zuneh­mend salonfähig.

Das ist eine schlech­te Nach­richt für Online-New­s­por­ta­le, die im Bestre­ben nach einer zivi­li­sier­ten Dis­kus­si­ons­kul­tur ihre Kom­men­tar­spal­ten ent­an­ony­mi­sie­ren. Oder für Staa­ten wie Süd­ko­rea, die Iden­ti­fi­ka­ti­ons­zwän­ge auf popu­lä­ren Platt­for­men ein­füh­ren, um ihre Bür­ger zu Fried­fer­tig­keit zu erzie­hen. Sum­ma sum­ma­rum ertei­len die Befun­de der Zür­cher For­scher eine Absa­ge an die immer lau­ter bro­deln­den Rufe nach mehr Über­wa­chung und Total­ab­schaf­fung von Anony­mi­tät im Internet.

Hass-Stürme als digitale Fata Morganas

Doch wie­so soll­ten wir uns über­haupt mit Online-Hassern und ihren Stür­men befas­sen — unab­hän­gig von deren Iden­ti­fi­zier­bar­keit? Hass-Stür­me im Inter­net sind beson­ders sicht­bar: nicht, weil sie eine öffent­li­chen Mei­nung reprä­sen­ta­tiv abbil­den, son­dern ledig­lich wegen ihrer aggres­si­ven Metho­den. Sie glei­chen mitt­ler­wei­le moder­nen Hexen­jag­den, die plötz­lich über Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker, Unter­neh­men, in der Öffent­lich­keit ste­hen­de Per­so­nen, aber auch über Flücht­lin­ge, Men­schen bestimm­ter Natio­na­li­tä­ten oder sozia­le Benach­tei­lig­te hinwegfegen.

Hass-Stür­me fla­chen zwar meis­tens genau­so rasant ab wie sie auf­kom­men – ihre Wucht ist jedoch nicht zu unter­schät­zen. Einer­seits ver­mö­gen sie brei­te Auf­merk­sam­keit auf rele­van­te, aber igno­rier­te The­men zu len­ken. Ande­rer­seits zer­stö­ren sie in wenig Zeit Men­schen und Repu­ta­tio­nen öffent­lich – ob gerecht­fer­tigt oder nicht, fragt meist niemand.

Hass-Stür­me kön­nen uns im Sin­ne einer digi­ta­len Fata Mor­ga­na auch Macht oder gar Legi­ti­ma­ti­on vor­täu­schen, die gar nicht da ist. Sei­en es dau­er­kom­men­tie­ren­de Über­zeu­gungs­tä­ter, poli­ti­sche Rand­grup­pen oder soge­nann­te Social Bots, d.h. pro­gram­mier­te Maschi­nen, die in Online-Por­ta­len als vor­ge­täusch­te „Men­schen“ Pro­pa­gan­da ver­brei­ten: sie kön­nen Hass-Stür­me initi­ie­ren oder Dis­kus­sio­nen an sich reis­sen. Ihre Domi­nanz ent­springt oft bloss ihrer Aggres­si­vi­tät. Die­se über­pro­por­tio­na­le Sicht­bar­keit wird wie­der­um ver­stärkt, sobald klas­si­sche Medi­en auf Hass-Stür­me auf­merk­sam wer­den und anfan­gen, dar­über zu berichten.

Im Kampf gegen Hass-Stür­me wird gemein­hin die Anony­mi­tät zum Sün­den­bock gemacht, was nicht über­ra­schend ist. In der Wis­sen­schaft fin­den sich genug Erklä­run­gen, wie­so Per­so­nen unter Anony­mi­tät ihren Aggres­sio­nen frei­en Lauf las­sen: weil Anony­mi­tät bei offen­sicht­lich unrech­ten Taten ent­hemmt, weil Men­schen ihre Selbst­ver­ant­wor­tung abstrei­fen kön­nen oder auch weil Anony­mi­tät vor unmit­tel­ba­rer Rache schützt. Die Fra­ge lau­tet also: Wie­so ver­zich­ten vie­le Online-Has­ser trotz­dem auf ihre Anonymität?

Nicht-anonyme Online-Hasser sind glaubwürdiger und beliebter

Ers­tens hal­ten es Online-Has­ser schlicht nicht für nötig, anonym zu sein. Wie­so soll­te man sich im Ein­satz für eine gerech­te Sache hin­ter Anony­mi­tät ver­ste­cken? Anstatt rein per­sön­li­cher Rache­ak­te sind Hass-Kom­men­ta­re oft Reak­tio­nen auf Ver­let­zun­gen einer sozia­len Norm, d.h. Ver­stös­se gegen sozi­al erwünsch­tes oder erwar­te­tes Ver­hal­ten wie poli­ti­sche Kor­rekt­heit, Ein­hal­tung von Umwelt­stan­dards oder Plagiatsnormen.

Der Has­sen­de kann sei­nen Pro­test als mora­li­sche Pflicht recht­fer­ti­gen, da es der Ange­grif­fe­ne “ja ver­dient hät­te“. Dar­über hin­aus kann der Online-Has­ser davon aus­ge­hen, dass er für sein aggres­si­ves Ver­hal­ten nicht sank­tio­niert wird, denn wie­so soll­te ein viel beschäf­tig­ter Poli­ti­ker gera­de ihn ver­kla­gen, wenn sich doch eine gan­ze Flut von Belei­di­gun­gen auf ihn gestürzt hat?

Zwei­tens zahlt es sich für Online-Has­ser aus, nicht anonym zu sein. Nicht anony­me Online-Has­ser kön­nen zum einen die Mit­men­schen in ihren Netz­wer­ken leich­ter über­zeu­gen und mobi­li­sie­ren, wenn sie mit ihrem rich­ti­gen Namen auf­tre­ten. Dadurch signa­li­sie­ren sie, dass sie bereit sind, Risi­ken ein­zu­ge­hen, um ihre Wahr­heit in die Welt hin­aus­zu­po­sau­nen und erar­bei­ten sich so einen Ver­trau­ens­bo­nus. Zum andern kön­nen nicht anony­me Has­ser im güns­tigs­ten Fall ihren sozia­len Sta­tus erhö­hen. In digi­ta­len sozia­len Netz­wer­ken wie Face­book schwim­men wir näm­lich oft in sozia­len Bla­sen, d.h. „Freun­des­krei­sen“, in denen unse­re Mei­nun­gen gröss­ten­teils wider­hal­len. Kri­ti­siert man einen gemein­sa­men Feind, sind unter­stüt­zen­de Likes garantiert.

Verbot von Anonymität verhindert Hass-Stürme nicht

Online Has­ser in Empö­rungs­stür­men haben also aus­rei­chend Anlass, unter eige­nem Namen zu has­sen. Die Abschaf­fung der Anony­mi­tät führt dar­um nicht auto­ma­tisch zum Ver­schwin­den von Hass-Stür­men – son­dern mög­li­cher­wei­se gar zu einer Zunahme. 

Metho­de und Analyse
Die Sozio­lo­gin­nen Kat­ja Rost und Lea Sta­hel und der Öko­nom Bru­no S. Frey ana­ly­sie­ren in ihrer Stu­die 532’197 sozi­al-poli­ti­sche Kom­men­ta­re aus 1’612 online Peti­tio­nen einer deut­schen Peti­ti­ons­platt­form (https://www.openpetition.de/). Die Kom­men­ta­re wur­den zwi­schen 2010 und 2013 zu unter­schied­li­chen The­men im Bereich Wirt­schaft, Poli­tik, Umwelt­schutz, etc. abge­ge­ben. Online-Has­ser wur­den über auto­ma­ti­sche Aus­zäh­lun­gen von Belei­di­gun­gen, Schimpf­wör­tern oder Abwer­tun­gen in Kom­men­ta­ren gemes­sen. Anschlies­send wur­de mit sta­tis­ti­schen Regres­si­ons-Metho­den über­prüft, ob Online-Has­ser häu­fi­ger anonym oder nicht anonym auf­tre­ten als ihre fried­li­chen Mitkommentierer.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag bezieht sich auf Kat­ja Rost, Lea Sta­hel & Bru­no S. Frey (2016). Digi­tal Social Norm Enfor­ce­ment: Online Fires­torms in Social Media. PLoS ONE, 11(6).


Quel­len

Foto: Flickr.

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