Wie der Euro die Europäische Union spaltet

Wel­che Fol­gen hat die Euro­kri­se auf die Unter­stüt­zung der Demo­kra­tie? Unse­re Stu­die zeigt, dass sich die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger der von der Kri­se hart getrof­fe­nen Euro­län­der von der Demo­kra­tie ent­frem­det haben. Dies, weil der Euro die demo­kra­ti­sche Aus­wahl an wirt­schafts­po­li­ti­schen Optio­nen mas­siv einschränkt.

Als die Staats- und Regie­rungs­chefs der EU 1992 den Ver­trag von Maas­tricht unter­zeich­ne­ten und mit der Wäh­rungs­uni­on den Grund­stein zur Ein­füh­rung des Euros leg­ten, soll­te dies den Völ­kern Euro­pas lang­fris­tig zu einer gemein­sa­men Iden­ti­tät ver­hel­fen. Heu­te – bald ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter – bleibt die­ses Ziel in wei­ter Fer­ne. Im Gegen­teil: die Ein­stel­lun­gen der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zur Demo­kra­tie in der Euro­päi­schen Uni­on drif­ten deut­lich auseinander.

Seit der Euro­kri­se ver­ur­sach­ten die durch die EU auf­er­leg­ten öko­no­mi­schen Anpas­sungs­pro­gram­me ein Absin­ken der Löh­ne und Prei­se in den Kri­sen­staa­ten. Dies wie­der­um führ­te zu einer star­ken Zunah­me des Anteils der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, der sich vom poli­ti­schen Sys­tem ent­frem­det fühlt. In den Kern­län­dern des Euro­raums, wie bei­spiels­wei­se Deutsch­land, den Nie­der­lan­den oder Öster­reich, oder in Nicht-Euro­län­dern, bleibt der Anteil der von der Demo­kra­tie Ent­frem­de­ten hin­ge­gen rela­tiv stabil.

Gespaltenes Europa

Abbil­dung 1 führt die­se Spal­tung Euro­pas ein­drück­lich vor Augen. Wäh­rend vor der Euro­kri­se eine Mehr­heit der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zufrie­den mit der Demo­kra­tie waren und den poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen ver­trau­ten, führ­te die Euro­kri­se zu einem teils dras­ti­schen Ein­bruch. Eine Rei­he von Län­dern – dar­un­ter Grie­chen­land, Por­tu­gal, Spa­ni­en, Zypern und Ita­li­en – bevöl­kert nun den Qua­dran­ten links unten in der Abbil­dung, der anzeigt, dass dort eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung unzu­frie­den mit der Demo­kra­tie ist. In ande­ren Län­dern hin­ge­gen gab es kaum Ver­schie­bun­gen. Her­vor­zu­he­ben sind nicht nur Deutsch­land oder Schwe­den, an wel­chen die Finanz­kri­se rela­tiv rasch vor­bei­zog, son­dern auch Gross­bri­tan­ni­en (das sei­ne Wäh­rung abwer­te­te) oder Lett­land (das frei­wil­lig dar­auf ver­zich­te­te, sei­ne Wäh­rung abzuwerten).

Abbildung 1:

Spaltung Europas

Die vier Gra­phi­ken zei­gen die Zufrie­den­heit mit der Demo­kra­tie im Natio­nal­staat und in der EU (links) sowie das Ver­trau­en in das natio­na­le Par­la­ment und in die EU (rechts), jeweils vor der Euro­kri­se (2006/2007) und während/nach der Euro­kri­se (2013/2014). Inner­halb der Gra­phi­ken bezieht sich die ver­ti­ka­le Ach­se auf die Ein­stel­lun­gen auf der natio­na­len Ebe­ne, wäh­rend die hori­zon­ta­le Ach­se die euro­päi­sche Ebe­ne abbildet.

Lese­bei­spiel: In Grie­chen­land (GRC) lag die Zufrie­den­heit mit der natio­na­len Demo­kra­tie 2006/2007 etwa bei 60% und mit der Demo­kra­tie in der EU etwa bei 55%. 2013/2014 san­ken die­se Wer­te auf 19% (natio­nal) und 25% (EU). Eine deut­li­che Mehr­heit ist somit unzu­frie­den mit der Demo­kra­tie sowohl auf natio­na­ler als auch euro­päi­scher Ebene.

Der Euro als nicht-optimaler Währungsraum

Doch wel­che Ent­wick­lung führ­te zu die­ser Spal­tung? Zur Zäsur kam es im Anschluss an die Finanz­kri­se seit 2008 und die etwas spä­ter ein­tre­ten­de „Schul­den­kri­se“ in Euro­pa. Wäh­rend sich die Inter­pre­ta­ti­on hart­nä­ckig hält, die Kri­se in den peri­phe­ren Euro­staa­ten Grie­chen­land, Irland, Ita­li­en, Por­tu­gal oder Spa­ni­en sei die Fol­ge über­mäs­si­ger Ver­schul­dung, wie­sen ande­re Beob­ach­ter auf ein struk­tu­rel­les Merk­mal der Wäh­rungs­uni­on hin: Die vor­han­de­nen geld- und fis­kal­po­li­ti­schen Instru­men­te auf euro­päi­scher Ebe­ne genü­gen nicht, um die stark unter­schied­li­chen Wirt­schafts­zy­klen der Euro­län­der (beson­ders die teils insti­tu­tio­nell beding­ten Lohn- und Preis­schwan­kun­gen) zu ver­ein­heit­li­chen. Die Fol­ge: aus­ein­an­der­lau­fen­de Wett­be­werbs­fä­hig­kei­ten und „Zah­lungs­bi­lanz­kri­sen“ in den Defizitländern.

Wel­che Optio­nen blie­ben nun den Kri­sen­staa­ten im Euro­raum übrig, um auf die wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten zu reagie­ren? His­to­risch war das wich­tigs­te Instru­ment die Abwer­tung der eige­nen Wäh­rung. Dies war bis zur Ein­füh­rung des Euro gang und gäbe in Euro­pa und wur­de im Zuge der Kri­se bei­spiels­wei­se vom Nicht-Euro­land Gross­bri­tan­ni­en ange­wandt – blieb den Euro­län­dern wegen der gemein­sa­men Wäh­rung nun jedoch ver­wehrt. Staat­li­che Kon­junk­tur­pa­ke­te waren kei­ne Opti­on, dies schlos­sen die restrik­ti­ven Sta­bi­li­täts­kri­te­ri­en aus. Die Euro­päi­sche Zen­tral­bank darf kei­ne Infla­ti­on anstre­ben, um die Schul­den­last  zu erleichtern.

Mangelnde demokratische Legitimität der Krisenpolitik

Als ein­zi­ges Mit­tel blieb den Defi­zit-Euro­län­dern in der Kri­se somit die „inter­ne Abwer­tung“ – die Reduk­ti­on von Löh­nen und Prei­sen, um die ver­lo­ren gegan­ge­ne inter­na­tio­na­le Wett­be­werbs­fä­hig­keit wie­der­her­zu­stel­len. Die­se Poli­tik legt der Bevöl­ke­rung erheb­li­che sozia­le Kos­ten auf, da sie mit Stel­len­ver­lus­ten und Lohn­ein­bus­sen ver­bun­den ist. Zudem wur­de der Fokus auf Kür­zun­gen der staat­li­chen Aus­ga­ben gelegt. Gra­vie­ren­der noch ist es, wenn die inter­ne Abwer­tung einem Land als alter­na­tiv­los auf­ge­zwun­gen wird und die Bevöl­ke­rung kei­ne ech­te Aus­wahl unter rea­li­sier­ba­ren Alter­na­ti­ven hat. 

Heterogenität der Euroländer sorgt für Spannungen

Da der Euro ande­re wirt­schafts­po­li­ti­sche Optio­nen ein­schränkt, waren die Defi­zit­län­der der Euro­zo­ne in der aktu­el­len Kri­se gezwun­gen, eine Poli­tik der inter­nen Abwer­tung (Sen­kung von Löh­nen und Prei­sen) in Kom­bi­na­ti­on mit einer rigi­den Spar­po­li­tik zu ver­fol­gen. Die­se Poli­tik führ­te zu gra­vie­ren­den demo­kra­ti­schen Kon­se­quen­zen: Die Unter­stüt­zung der Demo­kra­tie ist in eini­gen Euro­län­dern regel­recht ein­ge­bro­chen. Weil die Euro­zo­ne wei­ter­hin aus wirt­schaft­lich und insti­tu­tio­nell sehr ver­schie­de­nen Län­dern zusam­men­ge­setzt ist, wer­den die Span­nun­gen zwi­schen Kri­sen­po­li­tik und Demo­kra­tie in der Zukunft kaum abneh­men. Alter­na­ti­ven zum Euro sind jedoch nicht in Sicht, weil die Kos­ten des Aus­tritts aus dem Euro wei­ter hoch bleiben.

INFOBOX: Metho­den und Daten

Wir argu­men­tie­ren in unse­rer Stu­die, dass die Kom­bi­na­ti­on aus man­geln­der „Out­put-Legi­ti­mi­tät“ (soziale/wirtschaftliche Kos­ten der inter­nen Abwer­tung) und man­geln­der „Input-Legi­ti­mi­tät“ (man­geln­de Aus­wahl­mög­lich­kei­ten) zu einer Zunah­me des Anteils der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger führt, der sich vom poli­ti­schen Sys­tem entfremdet. 

Um die­ses Argu­ment zu über­prü­fen, haben wir Euro­ba­ro­me­ter-Umfra­gen in 28 EU-Mit­glieds­län­dern zwi­schen 2002 und 2014 aus­ge­wer­tet. Die Befrag­ten gaben an, wie zufrie­den sie mit der Demo­kra­tie im Natio­nal­staat und in der EU sind, sowie ob sie dem natio­na­len Par­la­ment und der Euro­päi­schen Uni­on ver­trau­en. Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, wel­che die Fra­gen sowohl für die natio­na­le und die euro­päi­sche Ebe­ne nega­tiv beant­wor­te­ten, wur­den als „ent­frem­det“ von der Demo­kra­tie ein­ge­stuft. Im zwei­ten Schritt über­prüf­ten wir ob sich der Anteil der Ent­frem­de­ten durch das Aus­mass der inter­nen Abwer­tung erklä­ren lässt (unter Kon­trol­le einer Rei­he von zusätz­li­chen Faktoren). 

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung von: Klaus Armin­ge­on, Kai Guth­mann und David Weiss­tan­ner (2016). How the Euro divi­des the uni­on: the effect of eco­no­mic adjus­t­ment on sup­port for demo­cra­cy in Euro­peSocio-Eco­no­mic Review 14(1): 1–26.


Foto: Wiki­me­dia Commons

Lek­to­rat & Lay­out: Pas­cal Burkhard

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