Bundesratswahlen stehen immer mehr im medialen Fokus

Bun­des­rats­wah­len sind in den Medi­en ein gros­ses The­ma, viel mehr als noch vor weni­gen Jahr­zehn­ten. Unse­re Zeit­rei­he seit den 1960er Jah­ren zeigt, dass die zuneh­men­de Auf­merk­sam­keit für Bun­des­rats­wah­len wohl nicht ein­fach dar­an liegt, dass der Bun­des­rat mäch­ti­ger und wich­ti­ger gewor­den ist, son­dern dass Bun­des­rats­wah­len für die­je­ni­gen Medi­en beson­ders attrak­tiv sind, die nach kom­mer­zi­el­len Medi­en­lo­gi­ken funktionieren.

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Immer stär­ker wird die Dar­stel­lung von Poli­tik und von poli­ti­schen Pro­zes­sen durch die Inter­pre­ta­ti­ons­lo­gik eines hoch kom­mer­zia­li­sier­ten Medi­en­sys­tems domi­niert. So wird Poli­tik heu­te haupt­säch­lich im Modus per­so­na­li­sier­ter und emo­tio­na­li­sier­ter Bericht­erstat­tung trans­por­tiert. Die­se Ent­wick­lung stellt Per­so­nen und Kon­flik­te und nicht Struk­tu­ren und Deli­be­ra­ti­on in den Mittelpunkt.

Dies hat auch zur Fol­ge, dass lang­wie­ri­ge, kom­ple­xe und ten­den­zi­ell kon­sens­ori­en­tie­re Aus­hand­lungs­pro­zes­se zwi­schen Par­tei­en im Par­la­ment in den Medi­en zuneh­mend an Bedeu­tung ver­lie­ren, wäh­rend zuge­spitz­te Kon­flik­te und die (weni­gen) pro­mi­nen­ten Figu­ren in der Poli­tik, allen vor­an die Regie­rungs­mit­glie­der, an Bedeu­tung gewinnen.

Pla­ka­tiv for­mu­liert, trägt dies zu einem Bild bei, wonach eini­ge weni­ge „gros­se Män­ner“ (und Frau­en) die Geschich­te schrei­ben. Dass der media­le Fokus auf Oba­ma statt auf den Kon­gress­wah­len liegt, mag in einem Prä­si­di­al­sys­te­men wie den USA noch eine gewis­se Berech­ti­gung haben, aber gera­de in einer kon­sens­ori­en­tier­ten Demo­kra­tie wie der Schweiz, in der die Macht sehr breit auf ver­schie­de­ne Insti­tu­tio­nen ver­teilt ist, wäre ist ein sol­ches Bild der poli­ti­schen Kul­tur nicht förderlich.

Massiver Strukturwandel des Schweizer Mediensystems

Bis­lang hat man sol­che Ent­wick­lun­gen und Pro­zes­se denn auch eher für das euro­päi­sche Aus­land, nicht aber für die Schweiz dia­gnos­ti­ziert. Doch auch das Schwei­zer Medi­en­sys­tem war in den letz­ten drei Jahr­zehn­ten einem mas­si­vem Struk­tur­wan­del unter­wor­fen und ist heu­te bis auf den öffent­li­chen Rund­funk prak­tisch kom­plett kom­mer­zia­li­siert (mehr dazu in unse­ren For­schun­gen zur Qua­li­tät der Medi­en).

Ob und wie sich die­ser Struk­tur­wan­del in den Inhal­ten der Medi­en­be­richt­erstat­tung nie­der­schlägt, haben wir (auch) am Bei­spiel der Wahl­be­richt­erstat­tung seit den 1960er Jah­ren unter­sucht. Wir woll­ten wis­sen, ob auf­grund der Kom­mer­zia­li­sie­rung des Medi­en­sys­tems sich eine fort­schrei­ten­de Per­so­na­li­sie­rung respek­ti­ve „Pro­mi­nen­zie­rung“ dahin­ge­hend zeigt, dass die Medi­en ver­mehrt auf das poli­ti­sche Spit­zen­per­so­nal fokus­sie­ren und daher den Bun­des­rats­wah­len immer mehr Beach­tung schenken.

Zunehmend mehr Beachtung für die Bundesratswahlen

Zunächst zeig­te die Ana­ly­se, dass die Bericht­erstat­tung über Exe­ku­tiv­wah­len im unter­such­ten Zeit­raum stark ansteigt – dies sowohl im Ver­gleich über die Zeit als auch im Ver­gleich mit der Bericht­erstat­tung über Par­la­ments­wah­len. Eben­falls kann gezeigt wer­den, dass die­je­ni­gen Exe­ku­tiv­wah­len beson­ders gros­se Medi­en­be­richt­erstat­tung nach sich zie­hen, die stär­ker umstrit­ten sind.

Umstrit­te­ne Wah­len sind gene­rell Ersatz­wah­len im Ver­gleich zu Gesamt­erneue­rungs­wah­len, bei denen die amtie­ren­den Bun­des­rä­te bestä­tigt wer­den; in der Regel führt also der Kon­flikt resp. die Unsi­cher­heit, wer als Neu­er das Ren­nen machen wird, zu einer erhöh­ten Bericht­erstat­tung. Eine höhe­re Medi­en­re­so­nanz beob­ach­ten wir aber auch bei den­je­ni­gen umstrit­te­nen Wah­len, bei denen die Kan­di­da­ten­aus­wahl einer Par­tei auf Wider­stand stösst oder gar der Sitz­an­spruch ange­zwei­felt wird.

Die ab 1959 zur Gel­tung kom­men­de Zau­ber­for­mel bei­spiels­wei­se bedeu­te­te lan­ge Zeit, dass der Sitz eines abtre­ten­den Bun­des­ra­tes von ande­ren Par­tei­en nicht bestrit­ten wur­de. Die­ser Kon­sens bricht bekannt­lich seit den 1990er Jah­ren auf und führt zu einem höhe­ren Kon­flikt­grad. Was den Kon­flikt um Kan­di­da­ten betrifft (wenn der Sitz einer Par­tei selbst nicht umstrit­ten ist), sehen wir in den Daten zum Stimm­ver­hal­ten im Par­la­ment, dass auch hier der Kon­flikt­grad seit den 1980er Jah­ren deut­lich ansteigt.

Info­box: Metho­de und Analyse

Wir haben für die vor­lie­gen­de Stu­die die Bericht­erstat­tung über die Bun­des­rats­wah­len (Exe­ku­ti­ve) von 1960 bis 2011 unter­sucht. Als Kon­troll­fak­to­ren dien­ten (unter ande­ren) die Natio­nal­rats­wah­len (Legis­la­ti­ve) und die Kon­flikt­haf­tig­keit einer Bundesratswahl.

Wir haben drei unter­schied­lich stark kom­mer­zia­li­sier­te Pres­se­ti­tel in die Unter­su­chung ein­be­zo­gen: die Bou­le­vard­zei­tung Blick, die über­re­gio­na­le Qua­li­täts­zei­tung Neue Zür­cher Zei­tung sowie den Tages-Anzei­ger, der dazwi­schen­liegt, wenn auch frei­lich näher an einer Qua­li­täts- als an einer Bou­le­vard­zei­tung. Die­se drei Pres­se­ti­tel sind unter­schied­lich stark am Markt- und Publi­kums­er­folg aus­ge­rich­tet und gene­rell unter­schied­lich stark von ver­schie­de­nen Medi­en­lo­gi­ken geprägt, was sich etwa in einer unter­schied­lich star­ken Fokus­sie­rung auf Soft­news, Per­so­nen, Emo­tio­nen, etc. zeigt.

Erfasst wur­de jeweils der Anteil der Medi­en­re­so­nanz pro Zei­tung und pro Jahr, immer jeweils gemes­sen an der Gesamt­re­so­nanz der gröss­ten, d.h. reso­nanz­stärks­ten zwan­zig The­men einer Zeitung.

Man könn­te nun vor­der­grün­dig zu dem Schluss kom­men, dass die Medi­en ein­fach die Pro­zes­se und Ver­än­de­run­gen im poli­ti­schen Sys­tem nach­voll­zie­hen: Der Bun­des­rat gewinnt aus ver­schie­de­nen Grün­den an Macht (wobei sich hier die Poli­tik­wis­sen­schaft nicht einig ist, ob dies tat­säch­lich der Fall ist) und als Reak­ti­on dar­auf kämp­fen Par­tei­en und ver­schie­de­ne Anspruchs­grup­pen (z.B. Frau­en, Regio­nal­ver­tre­ter oder bestimm­te Flü­gel inner­halb der Par­tei­en) immer stär­ker dar­um, im Bun­des­rat ver­tre­ten zu sein.

Die­se Ein­schät­zung, dass die Medi­en gleich­sam ein­fach ein Spie­gel sol­cher Ver­än­de­run­gen dar­stel­len, greift aber deut­lich zu kurz. Denn wenn man unse­re Ergeb­nis­se einer genaue­ren Ana­ly­se unter­zieht, stellt man fest, dass auch die Medi­en­lo­gi­ken eine gros­se Rol­le bei der Ver­än­de­rung der Wahl­be­richt­erstat­tung spie­len und dies nicht nur – viel­leicht sogar nur zu einem klei­nen Teil – auf eine Ver­än­de­rung im poli­ti­schen Sys­tem zurück­zu­füh­ren ist.

Medien als treibende Kraft

Die Abbil­dung zeigt, dass im am stärks­ten und frü­hes­tens voll kom­mer­zia­li­sier­ten Bou­le­vard­ti­tel Blick die „Exe­ku­tiv­do­mi­nanz“ wesent­lich stär­ker und frü­her zu sehen ist als in den weni­ger kom­mer­zia­li­sier­ten Titeln. Ent­spre­chend ist auch die „Exe­ku­tiv­do­mi­nanz“ in den Abon­ne­ments­zei­tun­gen beim etwas stär­ker kom­mer­zia­li­sier­ten Tages-Anzei­ger frü­her und stär­ker aus­ge­prägt als in der NZZ, die erst in letz­ter Zeit stär­ker über die Exe­ku­tiv­wah­len berichtet.

Abbildung 1: Durchschnittliche Medienresonanz für Bundesratswahl

Die Ergeb­nis­se sind die­sel­ben, egal ob man wie hier die durch­schnitt­li­che Medi­en­re­so­nanz gene­rell betrach­tet oder bewusst im Ver­gleich zur Reso­nanz der Parlamentswahlen.

Dass die Medi­en­lo­gi­ken über die Zeit hin­weg immer wich­ti­ger wer­den und damit die Medi­en selbst eine immer wich­ti­ge­re Rol­le spie­len, lässt sich auch exem­pla­risch anhand von zwei Wah­len zei­gen, die bei­de umstrit­ten waren, aber unter­schied­lich hohe Medi­en­auf­merk­sam­keit nach sich zogen. Bei der Ersatz­wahl für Paul Chau­det (FPP) 1966 und der Ersatz­wahl für Josef Deiss (CVP) 2006 war bei­de Male der Sitz der Par­tei nicht grund­le­gend bestrit­ten, aber bei bei­den Ersatz­wah­len gab es im Par­la­ment mess­ba­ren Wider­stand gegen die letzt­lich gewähl­ten Nach­fol­ger (bei­de Male Ein­zel­kan­di­da­tu­ren, die übri­gens im Ver­gleich zu Zwei­er­kan­di­da­tu­ren nicht weni­ger umstrit­ten waren/sind).

Zudem han­del­te es sich bei­de Male um die ers­ten Wah­len nach einem ver­hält­nis­mäs­sig kon­flik­ti­ven Ereig­nis: 1966 nach dem Rück­tritt von Chau­det im Kon­text der Mira­ge-Affä­re, und 2006 nach der Abwahl der amtie­ren­den Bun­des­rä­tin Ruth Metz­ler und dem Ende der Zau­ber­for­mel 2003. Die Medi­en­auf­merk­sam­keit für die Wah­len 2006 war jedoch deut­lich höher als 1966. Die­se im Zeit­ver­gleich höhe­re Reso­nanz lässt sich damit nicht mehr allein mit poli­ti­schen Fak­to­ren erklären.

Wir schlies­sen dar­aus: Kom­mer­zia­li­sier­te Medi­en berich­ten des­halb immer stär­ker über Exe­ku­tiv­wah­len, weil die­se sich sehr gut für die Inter­pre­ta­ti­ons- und Dar­stel­lungs­lo­gi­ken die­ser Medi­en eig­nen. Eini­ge pro­mi­nen­te Kan­di­da­ten strei­ten sich um ein Amt, was sowohl eine kon­flik­ti­ve als auch per­so­na­li­sier­te Bericht­erstat­tung beför­dert. Bun­des­rats­wah­len sind ein mög­li­ches The­ma, mit dem die Medi­en vor dem Hin­ter­grund eines mas­si­ven Ver­drän­gungs­wett­be­werbs im Medi­en­sek­tor ein mög­lichst mas­sen­kom­pa­ti­bles Pro­dukt anbie­ten wol­len. Medi­en sind also trei­ben­de Kraft beim Trend zu einer ver­mehr­ten Sicht­bar­keit der Exekutive.

Medien im Zusammenspiel mit politischen Akteuren

Aus die­ser Stu­die und aus den ande­ren Stu­di­en, die wir am fög durch­ge­führt haben resp. aktu­ell durch­füh­ren, sehen wir aber auch, dass nicht die Medi­en allei­ne an die­sen Ver­än­de­run­gen mit­wir­ken, son­dern auch die poli­ti­schen Akteu­re, die sich erfolg­reich den Medi­en­lo­gi­ken anpassen.

In unse­ren Ana­ly­sen der letz­ten drei Wahl­kämp­fe zu den Par­la­ments­wah­len konn­ten wir jeweils eine hohe bis sehr hohe Medi­en­be­ach­tung für die­je­ni­ge Par­tei beob­ach­ten, die sich in den Augen vie­ler Exper­ten am bes­ten an die Medi­en­lo­gi­ken ange­passt hat: die SVP.

Die SVP hat am meisten Medienresonanz

Bezeich­nen­der­wei­se ist die Medi­en­re­so­nanz der SVP in den Wahl­kämp­fen 2007 und 2015 von allen Par­tei­en mit Abstand am höchs­ten. Dabei stösst sie auf rund dop­pelt so viel Reso­nanz wie die SP und die FDP zusam­men. Und auch 2011, als die Reso­nanz etwas beschei­de­ner aus­fällt, ist die SVP immer noch die­je­ni­ge Par­tei, die – wie 2007 und 2015 – am meis­ten „Kam­pa­gnen-Bericht­erstat­tung“ aus­löst, d.h. Bei­trä­ge, in denen die Kam­pa­gnen­füh­rung selbst zum The­ma macht. Wenn über Kam­pa­gnen gespro­chen wird, dann über die Kam­pa­gnen der SVP. Dazu gehö­ren auch die Stra­te­gien der SVP, vor den Par­la­ments­wah­len bereits auf die fol­gen­den Bun­des­rats­wah­len zu ver­wei­sen (Bei­spiel 2007: „Blo­cher stär­ken! SVP wäh­len!“). Damit erhal­ten gera­de die res­sour­cen­in­ten­sivs­ten und gleich­zei­tig pro­vo­ka­ti­ven Kam­pa­gnen der SVP die gröss­te Beach­tung in den Medi­en (und bei poli­ti­schen Geg­nern, die dar­auf reagieren).

Kurz: In einem kom­mer­zia­li­sier­ten Medi­en­sys­tem erhält der poli­ti­sche Popu­lis­mus, der zudem über genü­gend finan­zi­el­le Mit­tel ver­fügt, beson­ders gute Reso­nanz­chan­cen. Der media­le Fokus auf die anste­hen­den Bun­des­rats­wah­len und das „Kan­di­da­ten-Karus­sell“ um einen zwei­ten SVP-Sitz die­sen Dezem­ber lie­fern bereits wie­der die pas­sen­den Anschauungsbeispiele.

Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung von:

Udris, Linards; Lucht, Jens; Schnei­der, Jörg (2015). Con­tes­ted federal elec­tions in incre­a­singly com­mer­cia­li­zed media. A dia­chro­nic ana­ly­sis of elec­tions news coverage in Switz­er­land. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 21(4).


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Foto: www.admin.ch 

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