Die Berufe im neuen Nationalrat — Viele Selbständige und Vollzeitpolitiker

Die Stu­die­ren­den dräng­ten in den Natio­nal­rat: Jeder zehn­te der Kan­di­die­ren­den war noch am Stu­die­ren — gewählt wur­de trotz­dem kei­ner. Das neue Par­la­ment ist wie das alte: Unter­neh­mer und Selb­stän­di­ge sind über­ver­tre­ten, Ange­stell­te kön­nen kaum noch Poli­tik auf natio­na­ler Ebe­ne machen. 

Über 3800 Kan­di­die­ren­de woll­ten in den Natio­nal­rat gewählt wer­den. Die meis­ten gehen einem Beruf nach und ste­hen in einem Ange­stell­ten­ver­hält­nis. Eini­ge sind selb­stän­dig Erwer­ben­de oder Unter­neh­mer. Und gut jede zehn­te Kan­di­da­tin oder Kan­di­dat befin­det sich noch im Stu­di­um, wie Abbil­dung 1 illustriert.

Abbildung 1: Berufsbezeichnung der Kandidierenden, NR-Wahlen 2015

Kandidierende

Quel­le: Bun­des­amt für Sta­tis­tik, eige­ne Codierungen

Die ver­meint­li­che Über­ver­tre­tung der Stu­die­ren­den unter den Kan­di­die­ren­den lässt sich rela­tiv ein­fach erklären: 

  • In den gros­sen Kan­to­nen tra­ten über­pro­por­tio­nal vie­le Par­tei­en und Jung­par­tei­en zur Wahl an, was die Anzahl der Stu­die­ren­den unter den Kan­di­die­ren­den zusätz­lich erhöh­te, weil vie­le Lis­ten­plät­ze zur Ver­fü­gung standen. 

  • Die poli­ti­sche Kar­rie­re beginnt früh. Par­tei­en set­zen ger­ne auf ambi­tio­nier­te, jun­ge Mit­glie­der und för­dern die­se nach Mög­lich­keit. Dar­über hin­aus führt der Weg der meis­ten Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­tier über ein Stu­di­um. Dies zeigt sich auch, wenn man die Beru­fe der gewähl­ten  Natio­nal­rä­tin­nen und ‑räte betrachtet.

  • Das Par­la­ment der Schweiz ist ein Arbeits­par­la­ment. Die öffent­li­chen Debat­ten im Rats­saal machen nicht die Haupt­ar­beit eines Par­la­men­ta­ri­ers aus. Die Kno­chen­ar­beit wird in den Kom­mis­sio­nen und Frak­tio­nen gemacht. Poli­ti­sie­ren auf natio­na­ler Ebe­ne heisst dar­um vor allem, gros­se Men­gen an Infor­ma­tio­nen sit­zend und lesend zu ver­ar­bei­ten, ana­ly­tisch vor­ge­hen zu kön­nen und unzäh­li­ge Kon­tak­te zu ver­schie­dens­ten Stel­len und Per­so­nen zu pfle­gen. Eini­ge die­ser Fähig­kei­ten wer­den schon wäh­rend des Stu­di­ums trainiert. 

Berufsbezeichnung entscheidet nicht über erfolgreiche Wahl

Die Berufs­be­zeich­nung auf dem Wahl­zet­tel hat wenig Ein­fluss auf die Wahl­chan­cen der ein­zel­nen Kan­di­die­ren­den. Die Mehr­heit der Wäh­ler­in­nern und Wäh­ler ent­schei­det sich für eine Par­tei und wirft deren Lis­te unver­än­dert in die Urne. Um kumu­liert und pana­schiert zu wer­den, ist der Bekannt­heits­grad sowie die bis­he­ri­ge poli­ti­sche Arbeit einer Kan­di­da­tin oder eines Kan­di­da­ten wesent­lich wich­ti­ger als die Anga­be über den Beruf auf dem Wahlzettel. 

Stu­die­ren­de wur­den übri­gens in der Ver­gan­gen­heit schon meh­re­re ins Par­la­ment gewählt — aller­dings kan­di­dier­ten sie alle auf der Haupt­lis­te ihrer Par­tei, wie z.B. Pas­ca­le Bru­de­rer, Lukas Rei­mann oder Céd­ric Wermuth. 

Die Berufe der Gewählten sind kein Spiegelbild der Bevölkerung

Die beruf­li­che Zusam­men­set­zung des Natio­nal­rats ist alles ande­re als reprä­sen­ta­tiv, weder für die Kan­di­die­ren­den noch für die Gesamt­be­völ­ke­rung. In der Bevöl­ke­rung gibt es anteils­mäs­sig viel weni­ger Aka­de­mi­ker, Unter­neh­mer oder Land­wir­te als in der gros­sen Kammer. 

Abbildung 2: Berufsbezeichnung der Gewählten, NR-Wahlen 2015

Gewählte

Quel­le: Bun­des­amt für Sta­tis­tik, eige­ne Codierungen

Die häu­figs­ten Beru­fe der Natio­nal­rä­tin­nen und Natio­nal­rä­te der neu­en Legis­la­tur sind die glei­chen wie in der letz­ten Legis­la­tur. Unter­neh­mer und Rechts­an­wäl­te oder Juris­ten, die häu­fig als selb­stän­dig Erwer­ben­de tätig sind, domi­nie­ren bei den Berufen.

Voll­zeit­po­li­ti­ke­rin­nen und ‑poli­ti­ker, sei es im Natio­nal­rat oder einer Exe­ku­ti­ve, machen bereits zu Beginn der Legis­la­tur rund einen Vier­tel der Natio­nal­rä­tin­nen und Natio­nal­rä­te aus. Land­wir­te und Per­so­nen aus Gewerk­schaf­ten oder Ver­bän­den sind eben­falls zahl­reich im Par­la­ment anzutreffen. 

Die beruf­li­che Viel­falt, wel­che die Kan­di­die­ren­den auf­wie­sen, wird von den ins Par­la­ment gewähl­ten Per­so­nen also nicht wider­spie­gelt. Im Lau­fe der Legis­la­tur wird sich dies noch akzen­tu­ie­ren. Dies hat sei­ne Grün­de. So wie der Par­la­ments­be­trieb in der Schweiz orga­ni­siert ist, muss man zeit­lich und ört­lich mög­lichst unge­bun­den sein, um ein Amt aus­üben zu kön­nen. Opti­ma­ler­wei­se hat man weder einen Chef noch einen extern vor­ge­ge­be­nen Arbeits­plan. Das Amt auf natio­na­ler Ebe­ne ist mit einem nor­ma­len Ange­stell­ten­ver­hält­nis kaum mehr zu ver­ein­ba­ren. Unter­neh­mer und selb­stän­dig Erwer­ben­de wie Rechts­an­wäl­te, Land­wir­te, Juris­ten und Bera­ter, die auf Man­dats­ba­sis arbei­ten sowie Berufs­po­li­ti­ker sind dar­um klar im Vorteil.

Schweizer Parlament = schlechte Repräsentation? 

Ist dies ein Pro­blem? For­mal ist dar­an wenig aus­zu­set­zen. Im Schwei­zer Sys­tem mit offe­nen Lis­ten und der Mög­lich­keit des Kumu­lie­rens und Pana­schie­rens haben es die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler in der Hand, wer ins Par­la­ment gewählt wird.  Den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern ist dar­um offen­bar eine mög­lichst reprä­sen­ta­ti­ve Zusam­men­set­zung der Berufs­bil­der nicht beson­ders wich­tig. Das gilt übri­gens nicht nur für die Beru­fe, son­dern auch für das Geschlecht oder Alter. Unter 35-jäh­ri­ge und über 65-jäh­ri­ge sind im Par­la­ment unter­ver­tre­ten, die Frau­en machen nur knapp einen Drit­tel aus. 

Die poli­ti­sche Aus­rich­tung einer Kan­di­da­tin oder eines Kan­di­da­ten ist für die Wäh­ler­schaft ent­schei­den­der als Beruf, Alter oder Geschlecht. Ob es durch die ein­sei­ti­ge Zusam­men­set­zung des Par­la­ments zu Ver­zer­run­gen kommt, was die Abbil­dung von poli­ti­schen Prä­fe­ren­zen der Bevöl­ke­rung im Par­la­ment angeht, ist eine auch in der Schweiz dis­ku­tier­te Fra­ge (vgl. Port­mann et al). Die Inter­es­sen der Land­wir­te oder gewis­ser ande­rer Bran­chen mit einer star­ken Lob­by sind auf alle Fäl­le nicht immer deckungs­gleich mit den Inter­es­sen der Gesamtbevölkerung. 


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Foto: DeFacto

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