Ist der Name schon Programm? Die GLP-Wählerschaft und ihre grünen und freisinnigen Wurzeln

Die Sicht­wei­se, wonach sich die GLP in Umwelt- und Ver­kehrs­fra­gen links und ansons­ten rechts posi­tio­niert, ist ver­kürzt. Die Ana­ly­se der poli­ti­schen Posi­tio­nen der Wäh­ler­schaft und der Par­tei­eli­te der GLP zeigt klar, dass die Par­tei für eine Kom­bi­na­ti­on von libe­ra­len und öko­lo­gi­schen Wert­hal­tun­gen steht. 

Wahlen und Waehlerschaft

Die grün­li­be­ra­le Par­tei (GLP) der Schweiz gehört zu den gros­sen Gewin­ne­rin­nen der natio­na­len Wah­len 2011. Erst 2007 von den schon bestehen­den Sek­tio­nen in den Kan­to­nen St. Gal­len und Zürich auf natio­na­ler Ebe­ne gegrün­det, konn­te sie sich bereits bei ihren zwei­ten Wah­len als natio­na­le Par­tei eta­blie­ren (Lachat et al. 2014). Im Vor­lauf der natio­na­len Par­la­ments­wah­len 2007 und 2011 wur­de der GLP trotz wach­sen­der Struk­tu­ren ver­mehrt «pro­gram­ma­ti­sche Unschär­fe» vor­ge­wor­fen (Seitz 2013). Dies wur­de durch die Tat­sa­che bestärkt, dass die GLP erst im Okto­ber 2014 die Leit­li­ni­en zu den inhalt­li­chen und stra­te­gi­schen Pro­gramm­schwer­punk­ten ein­heit­lich und in allen Sek­tio­nen ver­öf­fent­lich­te. Aus­ser­dem wur­de der Auf­stieg der GLP mit weni­gen Aus­nah­men von poli­ti­schen Neu­ein­stei­gern geprägt (Seitz 2013). Es wäre des­halb zu ein­fach, die GLP als Abspal­tung der Libe­ra­len oder der Grü­nen zu bezeich­nen. Auch wenn der Name kla­re Wor­te spricht, so offen­sicht­lich ist es nicht. Es stellt sich also die Fra­ge, wie stark sich die grü­nen respek­ti­ve frei­sin­ni­gen Wur­zeln der GLP in ihrer aktu­el­len Poli­tik nie­der­schla­gen. Oder kurz: ist grün-libe­ral schon Programm?

Ist grün-liberal schon Programm?

In unse­rem Buch­bei­trag ver­su­chen wir, die­se Fra­ge sowohl aus der Per­spek­ti­ve der Basis wie auch der Par­tei­eli­te zu erör­tern. Einer­seits gilt es, die Wäh­ler­schaft der GLP zu erfas­sen und zu ver­an­schau­li­chen, wer die GLP wählt und an wel­che poli­ti­schen Vor­stel­lun­gen die­se Unter­stüt­zung gebun­den ist. Hier­zu ver­wen­den wir Befra­gungs­da­ten der Schwei­zer Wahl­stu­die. Ande­rer­seits stellt sich die Fra­ge, wo sich die Par­tei selbst posi­tio­niert und inwie­fern sie dabei den Prä­fe­ren­zen ihrer Wäh­ler­schaft ent­spricht. Um die­se Eli­te­be­trach­tung ein­zu­brin­gen, haben wir die Posi­tio­nen der GLP in Ver­nehm­las­sungs­ant­wor­ten untersucht.

Zwar ist davon aus­zu­ge­hen, dass für die GLP das The­ma Umwelt zen­tral ist. Um die Posi­tio­nie­rung der GLP vor dem Hin­ter­grund der neu­es­ten Par­tei­en­for­schung und auch im Ver­gleich mit ande­ren Par­tei­en umfas­send ein­zu­ord­nen, stellt sich jedoch wei­ter die Fra­ge, wo sich die Par­tei bzw. ihre Wäh­ler­schaft im Hin­blick auf die ande­ren sali­en­ten Kon­flikt­li­ni­en im Schwei­zer Par­tei­en­sys­tem posi­tio­niert. Wir unter­schei­den des­halb drei Wer­te­di­men­sio­nen: den «alten» öko­no­mi­schen Kon­flikt um die Fra­ge, wie stark der Staat in den Markt inter­ve­nie­ren soll (ins­be­son­de­re über Sozi­al­po­li­tik), die Ein­stel­lun­gen im Kon­flikt zwi­schen Öko­lo­gie und Öko­no­mie sowie die Ein­stel­lun­gen betref­fend Öff­nung und Schlies­sung (ins­be­son­de­re Immi­gra­ti­on, supra­na­tio­na­le Inte­gra­ti­on). In unse­rer zen­tra­len Hypo­the­se for­mu­lier­ten wir dabei die Erwar­tung, dass die GLP mit ihrer Kom­bi­na­ti­on aus «grün» und «libe­ral» im Schwei­zer Par­tei­en­sys­tem eine Lücke füllt.

Wählerschaft und Elite im Vergleich

Die Abbil­dung zeigt unse­re Ergeb­nis­se. Drei Merk­ma­le fal­len auf: Die GLP steht für sich allei­ne. Sie erscheint weni­ger öko­lo­gisch als die Grü­nen oder die SP. Zudem zei­gen sich Unter­schie­de zwi­schen der Posi­ti­on der Wäh­ler­schaft und der Parteielite. 

Waehlerschaft und Elite
 1: Die GLP vertritt eine eigene Position

Ähn­lich wie die bür­ger­li­chen Par­tei­en steht die GLP der sozia­len Umver­tei­lung sowie Steu­er­erhö­hun­gen skep­tisch und dif­fe­ren­ziert gegen­über. Sie betont aber klar die Ein­füh­rung von öko­lo­gi­schen Steu­ern sowie Steu­er­erleich­te­run­gen für Erneu­er­ba­re. Eben­so stark wie die lin­ken Par­tei­en befür­wor­tet sie sozia­le Inves­ti­tio­nen, betont aber wie die FDP die Not­wen­dig­keit ihrer Markt­wirt­schaft­lich­keit und finan­zi­el­len Nach­hal­tig­keit. Sowohl die Wäh­ler­schaft- als auch die Eli­te­be­trach­tung unter­stützt die Sicht­wei­se, dass sich die GLP damit sowohl von den lin­ken wie auch von den bür­ger­li­chen Par­tei­en abgren­zen kann.

2: Die GLP ist weniger ökologisch als die Grünen oder die SP

Zwei­tens erscheint die GLP in unse­ren Ana­ly­sen etwas weni­ger «grün» als man erwar­ten könn­te. In der Tat befür­wor­tet die Par­tei im Kon­flikt Öko­no­mie-Öko­lo­gie nicht ganz klar und immer die öko­lo­gi­sche Kom­po­nen­te. Sie grenzt sich sicher von den bür­ger­li­chen Par­tei­en ab, indem sie den Atom­aus­stieg, die nach­hal­ti­ge Res­sour­cen­nut­zung und den Land­schafts­schutz for­dert. Anders als die lin­ken Par­tei­en weist sie aber grund­sätz­lich auf markt­ori­en­tier­te Lösun­gen wie die öko­lo­gi­sche Steu­er­re­form hin. Wird das Augen­merk auf pro­tek­tio­nis­tisch-öko­lo­gi­sche Anlie­gen gelegt, kann die GLP nicht nur als weni­ger «grün» als die Grü­ne Par­tei, son­dern auch als weni­ger öko­lo­gisch als die SP bezeich­net wer­den. Ana­log dazu zei­gen die unter­such­ten Ver­nehm­las­sungs­ant­wor­ten, dass die öko­no­mi­schen Belan­ge zwi­schen 2011 und 2014 von der GLP rela­tiv häu­fi­ger zur Spra­che kamen als die öko­lo­gi­schen Anlie­gen. Die­se Ergeb­nis­se zeu­gen davon, dass die GLP den die Umwelt­po­li­tik prä­gen­den Kon­flikt zwi­schen öko­lo­gi­schem Nut­zen und öko­no­mi­schen Kos­ten inhä­rent in sich ver­eint. Kon­kret bedeu­tet dies, dass umwelt­po­li­ti­schen Anlie­gen zwar nor­ma­tiv hohe Prio­ri­tät ein­ge­räumt wer­den, die Unter­stüt­zung jedoch typi­scher­wei­se dras­tisch sinkt, wenn es um kon­kre­te Mass­nah­men geht, die mit kurz­fris­ti­gen und gut sicht­ba­ren öko­no­mi­schen Kos­ten ver­bun­den sind.

3. Unterschiede zwischen Basis und Elite

Die GLP unter­stützt wei­ter die gesell­schaft­li­che und wirt­schaft­li­che Öff­nung der Schweiz und nimmt so eine kul­tu­rell-libe­ra­le Hal­tung ein. Dies gilt jedoch stär­ker für die Eli­te als für die Basis: Wäh­rend die Ana­ly­se der Wäh­ler­schaft zwar auf einen gemäs­sig­ten Stand­punkt in der EU- und der Aus­län­der­fra­ge schlies­sen lässt, zeigt die Ana­ly­se der Ver­nehm­las­sun­gen auf, dass die GLP-Eli­te einer­seits die Öff­nung der Schweiz ten­den­zi­ell stär­ker befür­wor­tet als ihre Wäh­ler­schaft, und ande­rer­seits v.a. kul­tu­rel­le, reli­giö­se und nicht zuletzt indi­vi­du­el­le Selbst­be­stim­mung äus­serst hoch gewich­tet. Schliess­lich zeugt sowohl die Eli­te- wie die Basis-Per­spek­ti­ve von einer star­ken Befür­wor­tung sozia­ler Inves­ti­tio­nen. Anders als vor dem Hin­ter­grund ihrer libe­ra­len Kom­po­nen­te erwar­tet, gleicht die GLP in die­ser Hin­sicht stär­ker den lin­ken als den bür­ger­li­chen Parteien.

GLP: Kombination von liberalen und ökologischen Werthaltungen

Zusam­men­fas­send zei­gen unse­re Resul­ta­te der Wäh­ler­schafts- und Poli­teli­ten­ana­ly­se klar, dass die GLP durch­aus für eine Kom­bi­na­ti­on von libe­ra­len und öko­lo­gi­schen Wert­hal­tun­gen steht. Im Sin­ne von Seitz (2013: 152) bestä­ti­gen unse­re Befun­de dabei, dass die Sicht­wei­se ver­kürzt ist, wonach sich die GLP in Umwelt- und Ver­kehrs­fra­gen links und ansons­ten rechts posi­tio­niert. Über die ver­schie­de­nen poli­ti­schen The­men nimmt sie eine spe­zi­fi­sche Mischung von Posi­tio­nen ein, wel­che sich klar von jener ande­rer Par­tei­en unter­schei­det. Die­se Eigen­stän­dig­keit dient aber nicht nur als Erken­nungs­merk­mal der GLP, son­dern kann auch eine gewis­se Iso­lie­rung bedeu­ten. Letz­te­re wur­de bei der ers­ten lan­cier­ten Volks­in­itia­ti­ve der GLP zur Ener­gie- statt Mehr­wert­steu­er deut­lich: die Grün­li­be­ra­len haben es nicht geschafft – weder nach links, noch nach rechts – eine kri­ti­sche Mas­se an Ver­bün­de­ten zu fin­den, wel­che die­se Vor­la­ge unter­stütz­ten. Und dies obwohl sie sowohl Ener­gie­ef­fi­zi­enz und Kli­ma­zie­le wie auch markt­wirt­schaft­li­che Anrei­ze und steu­er­li­che Erleich­te­run­gen beinhal­te­te. Am 8. März 2015 schei­ter­te die Vor­la­ge mit 92 Pro­zent Nein-Stim­men an der Urne deut­lich: die Kom­bi­na­ti­on von öko­lo­gi­schen Anlie­gen mit markt­wirt­schaft­li­chen Anrei­zen moch­te die Schwei­zer Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ein­mal mehr nicht zu überzeugen.

Die GLP füllt eine Lücke

Grund­sätz­lich füllt die GLP also eine Lücke; und dies nicht nur im Umwelt­be­reich. Gera­de die dif­fe­ren­zier­te Betrach­tung unter­schied­li­cher sozi­al­po­li­ti­scher Dimen­sio­nen wie auch des Ein­be­zugs der «neu­en» gesell­schaft­li­chen Spal­tung bezüg­lich Öff­nung und Schlies­sung zeigt, dass die GLP über umwelt­po­li­ti­sche Belan­ge hin­aus eine «ande­re» Posi­ti­on ein­nimmt als die ihr nomi­nell ähn­lichs­ten Par­tei­en. Mit ande­ren Wor­ten: Die Abgrenz­bar­keit der GLP gilt für bei­de Attri­bu­te im Par­tei­na­men. Dabei sind zwei Ein­schät­zun­gen mög­lich: Nega­tiv aus­ge­drückt ist die GLP weder rich­tig grün noch rich­tig libe­ral. Posi­tiv aus­ge­drückt ist sie bei­des ein bisschen.

Hin­weis: Die­ser Text erschien auch in “Uni­Press – das Wis­sen­schafts­ma­ga­zin” (Heft-Nr. 165). 


Refe­ren­zen:

  • Lachat, Romain; Lutz, Georg; Sta­del­mann-Stef­fen, Isa­bel­le (2014). The 2011 Swiss Elec­tions: Intro­duc­tion. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 20(4): 515–519.

  • Seitz, Wer­ner (2013). Die Grün­li­be­ra­le Par­tei (GLP): Sind die Grün­li­be­ra­len eine Rechts­ab­spal­tung der Grü­nen? Ein Über­blick zu den Grün­li­be­ra­len, von der Grün­dung bis zu den Natio­nal­rats­wah­len 2011. In Maz­zo­le­ni, Oscar und Oli­vi­er Meuw­ly (Hrsg.), Die Par­tei­en in Bewe­gung. Nach­bar­schaft und Kon­flik­te. Zürich: Ver­lag Neue Zür­cher Zei­tung (123–156).

  • Sta­del­mann-Stef­fen, Isa­bel­le und Karin Ingold (2015): Ist der Name schon Pro­gramm? Die GLP-Wäh­ler­schaft und ihre grü­nen und frei­sin­ni­gen Wur­zeln, in Mar­kus Frei­tag und Adri­an Vat­ter (Hrsg.), Wah­len und Wäh­ler­schaf­ten in der Schweiz. Ana­ly­sen anläss­lich der Eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2015. Zürich, NZZ Verlag. 

Foto: Grün­li­be­ra­le Schweiz

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